Rainer Janßen x Münchener Rück Top-Ten x IT-Executive des Jahres

Aktiver Vordenker

11.11.2005
Rückversicherer können nur überleben, wenn sie Risiken richtig einschätzen. Für die IT, die man dazu braucht, ist bei der Münchener Rück Rainer Janßen verantwortlich.

Wer in Janßens Büro kommt, blinzelt erst einmal. Zwei deckenhohe Fensterfronten leiten so viel Licht in den Raum, dass Besucher sich an die blendende Helligkeit gewöhnen müssen.Der 20. Stock bietet einen überwältigenden Ausblick, der von München bis zum Panorama der Alpengipfel reicht. Aber Rainer Janßen, CIO der Münchener Rückversicherungsgruppe, hat so viel Spannendes zu berichten, dass die außergewöhnliche Umgebung rasch Kulisse wird.

"Meine Chefs erwarten zuerst von mir, dass alles läuft", erklärt er lapidar sein Tun. Was sich zunächst eher nach einem Hausmeister anhört, gewinnt an Bedeutung, sobald Janßen aufzählt, welche Projekte seine IT in den vergangenen Jahren gestemmt hat und was er getan hat, um den Anforderungen eines so globalen Geschäfts wie dem des weltgrößten Rückversicherers gerecht zu werden. "Strategisch wohl am wichtigsten ist die Vereinheitlichung unserer Kernverwaltung, die 2002 beschlossen wurde. Wir versichern Risiken weltweit, und nur wenn wir diese Risiken global ausbalancieren, bleiben wir ein gesundes Unternehmen."

Der CIO könnte jetzt dramatische Beispiele von Schäden durch Hurrikans, Erdbeben oder geborstene Staudämme zitieren, die sein Unternehmen auch versichert. Doch er erzählt von KFZ-Versicherungen: "Nehmen Sie nur diesen furchtbaren Hagelschlag, der 1984 in München niederging. Da haben Sie jahrelang noch verbeulte Autos herumfahren sehen. Die Besitzer hatten entweder längst die Versicherungssumme kassiert oder die Käufer ein billiges Auto mit Hagelschaden gekauft, wie es damals hieß. Einen solchen Schadensfall würde ein lokaler Versicherer nicht überleben. Er sichert dieses Risiko bei uns ab, und wir können ein regionales Ereignis aufgrund unseres globalen Geschäfts austarieren, weil es eben nicht überall gleichzeitig hagelt."

Solche Kalkulationen gehen nicht nach Bauchgefühl, sondern nur mit höherer Mathematik. In Algorithmen gegossen hilft sie, das Risiko und die zu zahlende Prämie beziehungsweise die Rückversicherungspolice zu berechnen. Die Verfahren sind hochkomplex und müssen auch mit Geoinformationssystemen gekoppelt werden, um das Naturkatastrophenrisiko richtig einzuschätzen. Diese Methoden sind die Kernkompetenz der Münchener Rück, deshalb entwickelt sie die Underwriting-Plattform auch in .NET selbst. Eine erste Version für das Property- und Casualty-Vertragsgeschäft wird schon weltweit, außer bei der US-Tochter American Re, eingesetzt.

In den Verwaltungssystemen setzt Janßen auf Standardprodukte von SAP und somit für die Bestandsverwaltung und das versicherungstechnische Rechnungswesen auf SAP FS-RI, die Rückversicherungssoftware der SAP. Die Basisstufe enthält die Funktionen "Vertrag", "Schaden", "technisches Rechnungswesen" und "Retrozession" - sozusagen die Rückversicherung der Rückversicherer. Noch ist das neue System nicht ausgerollt: "Während anfangs die Probleme darin lagen, die Vertreter der Geschäftsseite zu überzeugen, dass es sich dabei um ein Business-Projekt handelt, kämpfen wir jetzt mit der einen oder anderen Tücke der Technik", räumt der IT-Boss ein. Deshalb habe man sich entschlossen, den Rollout in München auf Frühjahr 2006 zu verschieben. Danach wird sukzessive zuerst die American Re und dann der Rest der Welt in die einheitliche Plattform migriert.

Vorteile der Standardisierung Dieser kleine Rückschlag scheint Janßen keineswegs anzufechten. Er sieht sich und seine IT auf dem richtigen Weg. Und der hört sich prinzipiell erst einmal einfach an: "Unsere Leute können im Prinzip alles an Software haben, so lange es von SAP oder Microsoft ist", grinst er. Ernsthaft erklärt er, dass gerade bei den weltweiten Operationen die Standardisierung nicht nur der Verwaltungssoftware und -prozesse, sondern vor allem der Risikobewertung den großen Vorteil darstelle, den es nach wie vor auch für die Münchener Rück zu erringen gilt. Vollständig hat er diese Früchte noch nicht geerntet. Doch Janßen gibt sich zuversichtlich und hat gleich das nächste Ziel vor Augen: "Richtig ein Schuh wird erst daraus, wenn wir die Risikobewertung für das Versicherungsgeschäft mit den Risiken an den globalen Finanzmärkten verrechnen, wo wir das Kapital zur Deckung der Versicherungsrisiken angelegt haben."

Heute beschäftigen sich drei von Janßens vier Entwicklungsteams mit Standardsoftware. Die vierte Gruppe entwickelt auf Basis von Microsoft .NET die Rückversicherungs-spezifischen Werkzeuge. Daneben müssen sehr viele Spezialwerkzeuge wie Geo- informationssysteme oder mathematische Systeme zur Finanzsimulation bereitgestellt werden: "Wir haben allein am Standort München mehr als 1000 Softwarepakete in der zentralen Softwareverteilung. Heterogenität ist unser Geschäft."

Inspiriert und detailgenau Zwar kann sich der CIO über ein in den vergangenen Jahren um 20 Prozent gewachsenes Budget freuen, das heute bei rund 330 Millionen Euro liegt, aber nun hoffentlich seine Spitze erreicht hat. Aber der 52-Jährige hat sich für die Zukunft einiges vorgenommen: Er will eine durchgängige weltweite Serviceorganisation schaffen. Außerdem geht es ihm darum, dass künftig "jeder mit jedem von Desktop zu Desktop zusammenarbeiten kann". Dabei soll je nach verfügbarer Bandbreite Application Sharing funktionieren sowie Video- oder Web-Conferencing. Zudem möchte er bis dahin die Fachbereiche in die Lage versetzt haben, Shared-Service-Center einzurichten.

Aber noch etwas treibt ihn um und an: Janßen hat sich dem Thema Industrialisierung der Softwareentwicklung verschrieben. Er will, dass "wiederholbare Ergebnisse" am Ende von Softwareprojekten stehen. "Ingenieurmäßig" müsse man das betreiben, sagt er. Genauso wie er seinen Job macht. Inspiriert, aber auch im Detail sehr genau: wie ein guter Ingenieur. n

Christpoh Witte