Akademiker durch Berufserfahrung

13.12.2005
Von Helga Ballauf
Wenn die Grenzen zwischen beruflichem und akademischem Lernen durchlässiger werden, profitieren alle davon: Betriebe, Mitarbeiter und Hochschulen.

Die gelernte Fachinformatikerin Claudia R. war immer vorn dran: als das Berufsbild neu entstand, als sie sich im Job weiterbildete und als sie die IHK-Prüfung zum IT-Business Manager machte. Das soll dem Bachelor-Niveau entsprechen, hat sie gehört. Kann sie sich beim bevorstehenden Auslandseinsatz darauf berufen? Richard G. hat erst das Krankenkassengeschäft von der Pike auf gelernt, dann im Learning-by-doing-Verfahren auf Datenverarbeitung umgesattelt und ist im Laufe der Jahre zum IT-Leiter aufgestiegen. Was sein umfassendes Erfahrungswissen wohl auf der Universität wert wäre, würde er gerne wissen.

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  • wie sich verufliche und im Studium erworbene Fähigkeiten vergleichen lassen;

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Kluft zwischen akademischer und beruflicher Welt

Berufserfahrung soll künftig auch für ein Hochschulstudium zählen. "Die Kluft zwischen beiden Welten ist noch sehr groß", berichtet Antonio Jorba, IT-Leiter bei der Entega Service GmbH in Darmstadt. Er macht mit bei einem Kooperationsprojekt vor Ort, an dem auch die Technische Universität und die Fachhochschule beteiligt sind, weil er sich von dem Austausch eine praxisnähere IT-Ausbildung erhofft. Außerdem heißt Jorbas Anliegen: "Wer schon lange im Beruf ist, muss die Chance auf einen Titel bekommen, ohne an der Uni wie ein Studienanfänger behandelt zu werden." Ihm schwebt ein maximal zweijähriges berufsbegleitendes "Quickstudium" vor, in dem IT-Quereinsteiger oder dual ausgebildete Fachkräfte theoretisches Wissen und akademische Titel erwerben: "Das wäre die richtige Motivation für ein paar unserer potenziellen Nachwuchsführungskräfte in der Firma. Und uns würde ihr Know-how bei der Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse helfen."

Doch so weit ist es noch nicht. Zunächst müssen die Experten aus Betrieb und Hochschule im Detail abwägen, bei welchen Kenntnissen die Berufserfahrenen die Nase vorn haben und was IT-Studierende besser können. Einfach festzustellen ist beispielsweise, dass ein sogenannter IT Product Coordinator viel mehr von der Entwicklung von Produktideen, von der Überprüfung ihrer Realisierbarkeit, von Teambildung und Controlling versteht, als Studierende an der Hochschule je lernen könnten. Schwieriger ist, Studieninhalte an Hochschulen zu finden, die den fortgeschrittenen Kenntnissen eines IT-Professionals entsprechen.

Messbarkeit von Können

Die Herausforderung liegt in der Mess- und Vergleichbarkeit von Können. Drei Aufgaben müssen bewältigt werden, sagt Kerstin Mucke vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) in Bonn. "Wie definiere ich Kompetenzen? Welche Instrumente taugen zur Bewertung? Wie gelingt die Umsetzung?" Im IT-Sektor gibt es relativ günstige Voraussetzungen, sind doch die Spezialisten- und Professionalprofile des Weiterbildungssystems so beschrieben, dass sie sich mit Studieninhalten vergleichen lassen. Mucke und Kollegen haben in Analogie zum European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS), dem europaweit geltenden Creditpoint-System für Bachelor- und Masterabschlüsse, "hochschulkompatible Leistungspunkte in der beruflichen Bildung" entwickelt. Als man das System versuchsweise auf die IT-Aufstiegsfortbildungen anwendete, kam heraus: Alle vier operativen Professionals - IT System Manager, IT Business Manager, IT Marketing Manager und IT Business Consultant - erfüllen im Schnitt die Anforderungen des Bachelor-Niveaus. Was einschließt, dass ein IT-Entwickler möglicherweise in Mitarbeiterführung und Personal-Management noch etwas nachzuholen hat. Oder dass ein erfahrener IT-Projektleiter fundiertere Lösungen als jeder noch so pfiffige Studienabsolvent dieser Fachrichtung findet.

Das neue IT-Weiterbildungssystem, das Gewerkschaften, Staat und Arbeitgeberverbände gemeinsam entwickelten, soll zu einer größeren Transparenz und Durchlässigkeit der Abschlüsse führen.
Das neue IT-Weiterbildungssystem, das Gewerkschaften, Staat und Arbeitgeberverbände gemeinsam entwickelten, soll zu einer größeren Transparenz und Durchlässigkeit der Abschlüsse führen.

Die Salzgitter Service und Technik GmbH ist betrieblicher Partner der TU Braunschweig. Die Dienstleistungstochter des Salzgitter-Konzerns vermarktet dabei das in der IT-Weiterbildung gewonnene Know-how. Dagmar Reulecke und ihre Crew begleiten sechs angehende Professionals von kleineren IT-Betrieben der Region als Fachberater und Lernprozessbegleiter bis zur IHK-Prüfung. Die Kandidaten lassen zunächst ihre Kenntnisse und später den Kompetenzzuwachs messen. "So erkennen sie und wir, wo sie im Vergleich zu Uniabsolventen Wissenslücken haben." Der Vorteil für die Beteiligten an dem Projekt: Sie können gleich die zusätzlichen Qualifikationen erwerben. Das Interesse der beteiligten Firmen beschreibt Reulecke so: "Die Unternehmen verlieren gute Leute mit dualer Ausbildung nicht an die Hochschule, wenn sie Karriere am Arbeitsplatz machen können."