CeBIT-Trends/Analysten propagieren das Echtzeit-Unternehmen

Agieren in der Jetzt-Wirtschaft

14.03.2003
Mehr denn je spüren es die Unternehmen: Zeit ist eine überaus kostbare Ressource. Wer nicht sofort auf sich ändernde Marktbedingungen reagiert, gerät beim Ringen um Kunden und Marktanteile unweigerlich ins Hintertreffen. Für die Gartner Group steht deshalb fest: Die Zukunft gehört dem Realtime Enterprise (RTE). Von Gabi Visintin*

Obwohl das Internet die Wirtchaft im Allgemeinen enorm beschleunigt und den Faktor Zeit kräftig aufgewertet hat, zeigt sich die Realität vieler Unternehmen davon noch weitgehend unbeeinflusst: Die E-Mail des Kunden bleibt tagelang ohne Antwort, die geänderten Liefertermine des Zulieferers werden nicht an die Produktion weitergegeben, der Vertriebsmitarbeiter weiß nichts über die Beschwerde des Kunden. Grund: Mangelhaft organisierte Arbeitsabläufe, nicht harmonisierte Daten und wenig beachtete Informationen. Wertvolle Zeit verstreicht ungenutzt bis endlich reagiert werden kann.

Dekadente Vergeudung von Zeit

Unverzügliche Reaktion ist aber nach einhelliger Meinung renommierter Unternehmensberater, allen voran die Gartner Group, für das Überleben der Unternehmen in einer globalen Wirtschaft unerlässlich. Zeit ist für sie neben den bekannten Punkten Qualität und Preis der entscheidende Wettbewerbsfaktor. Ausschließlich Organisationen, die sich konsequent zum Realtime Enterprise (RTE) bekennen, werden in der serviceorientierten "Jetzt-Wirtschaft" gedeihen, schrieben die Gartner-Analysten den Teilnehmern ihres Symposium/Itxpo in Cannes letzten November ins Stammbuch.

"Zeit, beziehungsweise der Fokus auf die dekadente Vergeudung von Zeit, wird die treibende Kraft, um mittels Technologie deutliche Verbesserungen für das Geschäft zu erzielen", gab Research Director Mark Raskino die Stoßrichtung vor. Unter RTE versteht demzufolge Gartner eine Organisation, die mittels aktueller Informationen ihre Konkurrenzfähigkeit verbessert und so Verzögerungen im Management und in der Ausführung kritischer Geschäftsprozesse behebt.

Nun muss man Gartner in Bezug auf die RTE-Idee nicht unbedingt Altruismus unterstellen. Schließlich verdient die US-amerikanisch Firma ihre Dollars mit Unternehmensberatung. Zudem decken sich viele Aspekte des RTE mit den Vorgaben der bereits vor geraumer Zeit ebenfalls von Gartner vorgestellten Paradigmen des Zero-Latency- und Ad-Hocracy-Unternehmens.

Wissen ohne Verzug mobilisieren

Und doch trifft Gartner mit dem Realtime Enterprise den Nerv der Zeit. "In einer schwachen Konjunktur sind Unternehmen erfolgreich, wenn sie ihre Effizienz nach oben treiben und die Kosten nach unten bringen. Egal in welcher Branche: Man kann nicht Preisführer sein, wenn man die Geschäftsprozesse nicht via Internet auf Kunden, Partner, Zulieferer und Angestellte ausdehnt", schließt sich Craig Conway, Chef des amerikanischen Unternehmenssoftware-Herstellers Peoplesoft, der Argumentation von Gartner an. Nur so könne die Information ohne Umschweife zu den Schlüsselpersonen eines Geschäftsprozesses gelangen. Mit Nachdruck fordert Conway, nicht an Abteilungs- oder Unternehmensgrenzen Halt zu machen. "Der Verkauf ist der erste Part einer langen Reihe von Ereignissen, die Ausführung, Lieferung, Rechnungsstellung, Zahlungseingang und After-Sales-Support umfasst", verdeutlicht der Manager am Beispiel des Vertriebs die umfassende RTE-Perspektive.

Ein weiteres wichtiges Argument spricht für Realtime: Kundenzufriedenheit. "Nur wer den Überblick behält, kann schnell reagieren, wenn Umsatzeinbrüche und sinkende Margen drohen oder wenn sich Kundenkontakte als problematisch erweisen", argumentiert Wolfgang Bosch, Vorstand des auf Geschäftsprozess-Management spezialisierten Saarbrücker Software- und Beratungshauses IDS Scheer. Deswegen seien zweierlei Dinge unerlässlich: Das Wissen über das Geschehen im betrieblichen Umfeld muss sich ohne Zeitverzug mobilisieren und die Folgerungen daraus müssen sich ohne Umschweife in Handlungen umsetzen lassen. Für den Berater ist mit dem "Echtzeit-Unternehmen" deshalb eine Unternehmenskultur verbunden, die durch kontinuierliche Beschleunigung der Management-Prozesse die eigene Agilität nachhaltig verbessert und verzögerungsfrei sowohl auf externe als auch interne Änderungen reagiert. In einem RTE sorgen die Transparenz der Information (Realtime-Informationsfluss) sowie ereignisgetriebene Steuerung (Auftragseingang, Planungsänderung, Mitarbeiterverfügbarkeit etc.) dafür, dass sich alle beteiligten Abteilungen und Firmen umgehend mit Problemlösungen beschäftigen und alternative Strategien in Angriff nehmen, um keine Verzögerungen in den Abläufen aufkommen zu lassen.

Bosch erkennt in der Idee des RTE eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen, von den unterschiedlichen Unternehmensbereichen in Angriff genommenen (Software-) Strategien wie des kundenorientierten Customer-Relationship-Managements (CRM) oder des eng auf die logistische Thematik fokussierten Supply-Chain-Managements (SCM). "Unternehmen, die sich intensiv mit SCM und Supply-Chain-Controlling (SCC) sowie Supply-Chain-Event-Management (SCEM) beschäftigen, haben sich bereits ein gutes Stück in Richtung RTE bewegt. Denn diese Instrumentarien sind gleichermaßen Voraussetzung und Bausteine einer RTE-Infrastruktur", erläutert der Berater. "Dies fängt bereits bei der Planung an, die durch SCM revolutioniert wurde."

Folgen und Handlungsoptionen durchspielen

Ein Beispiel aus der Lieferkette: Im Gegensatz zu "SCM-freien" Firmen stützen sich Unternehmen und Partner im RTE auf harmonisierte, integrierte Planungsdaten. Erfährt beispielsweise ein Vertriebschef kurzfristig von der Ausschreibung eines signifikanten Großauftrags, werden in einem RTE die Auftragsdaten direkt und ohne Verzug zur Kalkulation gegeben und mit Hilfe eines globalen SCM-Systems Verfügbarkeit und Liefertermin, auch unter Berücksichtigung freier Produktionskapazitäten und verfügbarer Komponenten, verifiziert. Vage Terminzusagen, die allein auf typischen Größen aus Produktion und Logistik beruhen, werden hier von Berechnungen vor dem Hintergrund der tatsächlichen Situation im Unternehmen ersetzt.

Stockt wiederum die Material- beziehungsweise Komponentenzulieferung, weil der LKW zwar unterwegs ist, plötzlich aber mit einer Panne festsitzt, wird dies mit Hilfe des SCEM allen Partnern und Unternehmensstellen bekannt, und es lassen sich umgehend die Folgen und etwaige Handlungsoptionen durchspielen. Die Produktion kann die Auswirkungen einer verspäteten Lieferung bei rechtzeitiger Information abfangen beziehungsweise mildern, indem man beispielsweise die Werkzeuge umrüstet, eine andere Teilefertigung vorzieht oder die ins Auge gefasste Fertigung auf ein Schwesterwerk umleitet. Ist die Ladung durch einen Unfall gänzlich unbrauchbar, besitzt mitunter noch der Lieferant Vorräte auf Halde oder kann umgehend Teile nachproduzieren. Entsprechend passt die Produktion die Planung an und schafft es, einen zugesagten Kundentermin dennoch zu halten.

Middleware statt Batch-Lauf

Gartner, IDS Scheer, Peoplesoft oder die Information Management Group (IMG) haben mehr oder weniger differenzierte Leitfäden vorgestellt, um Unternehmen eine erste Orientierung für die Transformation hin zum RTE zu geben. Diese Leitfäden setzen sich sowohl aus strategischen als auch technischen und organisatorischen Aufgaben zusammen, die sich wechselseitig beeinflussen. Sind die Prozesse im Unternehmen auf Echtzeit "getrimmt", darf die IT-Architektur die unterschiedlichen Prozesselemente nicht räumlich oder zeitlich binden und muss sich ebenso flexibel an Prozessveränderungen anpassen lassen sowie verzögerungsfrei arbeiten. Die Erfordernis der Realtime-Information macht es mitunter notwendig, gewachsene Routineverfahren zum Datenaustausch zwischen den Unternehmenssparten oder mit Geschäftspartnern nicht mehr als nächtlichen Batch-Lauf zu betreiben, sondern durch prozessorientierte Middleware abzulösen. Eine konsistente Informationsbasis etwa bei den Stammdaten zählt ebenso zu den unerlässlichen Voraussetzungen.

Weniger Schnittstellen-Pflege

Deswegen fühlen sich auch Hersteller aus den Segmenten Hardware, Standardsoftware, Portalsoftware, EAI, Content- und Knowledge-Management, Data Warehouse/BI-Tools und Prozessdesign berufen, ihre Produkte für ein RTE diesem neuen Paradigma unterzuordnen. Schließlich gilt es, Informationen, Daten, Anwendungen und Systeme in Einklang zu bringen und auf unterschiedlichen Ebenen zu betrachten. Und in der Tat kann jedes Produkt sein Scherflein zu einer Lösung beisteuern - vorausgesetzt, das Gesamtbild ist stimmig.

Wie so häufig, ist hierbei weniger manchmal mehr. Denn wer von vornherein Anwendungssoftware auswählt, die wie bei Peoplesoft in der Architektur konsequent auf das Internet ausgerichtet ist, muss sich weniger um aufwändige Schnittstellen-Pflege kümmern.

Ebenso müssen die von allen Seiten auf das Unternehmen zuströmenden Daten zu aussagekräftigen Informationen reduziert und den Prozessen beziehungsweise Managern zugeführt werden. " Nicht alle Daten kommen aus guten Quellen. Zunehmend müssen auch Offline-Anwendungen eingebunden werden" warnt Helmuth Gümbel allerdings vor Blauäugigkeit. Für den Berater von Strategy Partners müssen die Systeme deshalb eine gewisse Chaosresistenz vorweisen. Gleichwohl erkennt Gümbel an, dass die Grundlage eines RTE, die Wertekette "Daten-Informationen-Entscheidung", ständig wichtiger wird.

"Auch wenn Realtime Enterprise der nächste große Schritt für die Strategie der Unternehmens-IT ist, bedeutet es nicht, dass wir zu den großen IT-Budgets vergangener Tage zurückkehren", beruhigte Gartner-Mann Raskino in Cannes die Gemüter von CIOs, die nach E-Commerce und E-Business ein neuerliches kostspieliges IT-Abenteuer auf sich zukommen sahen. Anstelle eines Großprojekts propagierte der Forschungsdirektor kleine, greifbare Ziele, die kombiniert mit Internet-Technik mehr Effizienz in den Prozessen schaffen. Er empfahl den Unternehmen, sich radikale Ziele bezüglich der Verbesserung von Größen wie Perfect Order-Time (vom Lead über die korrekte Lieferung bis zur Faktura) oder Order-to-Cash-Cycle zu setzen. Die Vorgabe des Gartner-Analysten: Eine einmalige dreiprozentige Reduktion reicht als "Payback" nicht aus. Die jährliche oder zweijährliche Einsparung muss zwischen 30 und 90 Prozent betragen. (bi)

*Gabi Visintin ist IT-Journalistin in Filderstadt.

Sechs Schritte

- Standardisieren Sie Ihre Geschäftsprozesse.

Konzentrieren Sie sich zuerst auf die Prozesse, die den größten Einfluss auf Zeit, Kosten und Genauigkeit haben.

- Verlagern Sie Prozesse ins Internet.

Senken Sie die Kosten und verringern Sie die Komplexität, indem Sie die Anwendungen auf einem Server anstatt auf Tausenden von Client-Rechnern platzieren.

- Verknüpfen Sie Ihre Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und Investoren mit den Prozessen.

Bieten Sie den Zugriff auf Ihre Anwendungen über einen WebBrowser - überall, jederzeit und mit jedem Gerät.

- Stellen Sie Informationen in Echtzeit zur Verfügung.

Geben Sie Ihren Entscheidungsträgern alle relevanten Daten, die sich kostengünstig zusammentragen lassen.

- Sorgen Sie für einen anspruchsvollen Integrationsgrad.

Stellen Sie Informationen zusammen und bieten Sie damit Ihren Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Investoren ein abgestimmtes, weltweit gültiges Bild Ihres Unternehmens.

- Verkürzen Sie Projektlaufzeiten.

Implementieren Sie Anwendungen schrittweise und innerhalb kürzester Zeit durch vorkonfigurierte Datenmodelle und Integrationsfunktionen. Quelle: Peoplesoft