Recht im Internet/Die Idee einer neutralen Instanz als Umschlagplatz für Kundendaten

Agenten auf der Jagd nach dem Profil des gläsernen Verbrauchers

10.11.2000
Das Internet-Zeitalter bringt eine neue Währung - die Kundendaten. Möglichkeiten zum Sammeln dieser Informationen liefert das Web genug. Doch ihr Wert erschließt sich nur durch eine intelligente Aufbereitung. Hier prallen jedoch Kunden- und Anbieterinteressen aufeinander. An dieser Konfliktstelle tritt, wie Eckart Vierkant* beschreibt, der Infomediary auf den Plan, der die begehrten Profile zum Nutzen aller verwaltet.

"Until now, the biggest lie on the Internet hasn´t been about alien abductions. It´s been: Don´t worry, the web will make money." Dieser Anzeigentext einer amerikanischen Firma für E-Commerce-Lösungen greift eines der meist diskutierten Themen auf, wenn es um die richtige Strategie von Internet-Auftritten geht. So fällt es vielen Unternehmen schwer, ihr Online-Angebot in bare Münze umzusetzen.

Die meisten Angebote im Internet, insbesondere zur Information und Unterhaltung, sind für Online-Konsumenten kostenlos. Nur wenige Anbieter (zum Beispiel die Online-Ausgabe des "Wall Street Journal": www.wsj.com) konnten eine Nutzungsgebühr durchsetzen. Die übrigen Angebote bezahlt der Surfer mit seiner Aufmerksamkeit oder - in zunehmendem Maße - mit seinen Daten. Im ersten Fall können die Anbieter die Aufmerksamkeit der Besucher nutzen, um Werbeeinnahmen zum Beispiel durch die Platzierung von Bannern zu erzielen.

Immer mehr Angebote verlangen dem User jedoch neben seiner Aufmerksamkeit auch Daten zu seiner Person, seinem sozialen Status oder seinen Interessen ab. Unbestritten hat sich hier die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kundendaten für Unternehmen einen Wert an sich darstellen. Diese Informationen sind zu einer gängigen Währung in der Beziehung zwischen Kunden und Anbietern geworden. Doch die Geschäftspraktiken im Umgang mit dem "digitalen Gold" gehen oftmals noch an etablierten Marktregeln vorbei und haben nichts mit einem ausgewogenen Tauschverhältnis zu tun.

Nun ist das Sammeln von Kundendaten nicht erst mit dem Internet entstanden, allerdings hat es dort einen Umfang und eine Bedeutung erreicht, die in der klassischen Ökonomie nicht denkbar war. Der Grund liegt in der besonders bequemen und einfachen Art, in der auf elektronischem Wege die Daten gesammelt werden können. Einerseits fallen ausführliche Daten über die Aktivitäten der Verbraucher automatisch an, ohne dass der Anbieter dafür einen großen Aufwand betreiben muss. Andererseits liegen die gesammelten Daten in digitaler Form vor, und digitale Daten können mit heutiger Technologie schnell, bequem und ohne Medienbruch weiterverarbeitet werden (siehe Kasten "Von Bits und Bytes").

Insgesamt ist so eine Verdichtung, Analyse und Auswertung der Daten mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden. Einer der größten Vorteile liegt aber in neuen Möglichkeiten, die in der Informationsverwendung entstanden sind. So kann unter dem Stichwort der Personalisierung die Kommunikation über ein Massenmedium individuell auf den einzelnen Konsumenten ausgerichtet werden.

Die Erkenntnisse, die ein Anbieter über seine User generieren kann, sind dabei vielfäl-tig und umfassend. Automatisiert fallen Nutzungsdaten in den so genannten Log-Files an. Hier werden über jeden Surfer Informationen registriert, die dessen Nutzung der Web-Seiten, die Herkunft des Users, seinen Weg von und zum Anbieter sowie Informationen über sein Betriebssystem, verwendeten Browser etc. betreffen. Diese nutzungsbezogenen Daten lassen zunächst keine Identifikation des Users zu. Ein großes Interesse vieler Online-Anbieter gilt dementsprechend personenbezogenen Daten der Konsumenten.

Dabei reichen oftmals nur wenige Informationen aus, um einen Konsumenten kennen zu lernen und einschätzen zu können. So hat sich insbesondere in den USA die Generierung von "ZAG"-Daten etabliert, das heißt Zip Code (Postleitzahl), Age (Alter) und Gender (Geschlecht). Anhand dieser Daten können treffsichere Informationen über Gehaltsklasse, Konsumgewohnheiten und ähnliche Eigenschaften der betreffenden Person gewonnen werden. Auch in Deutschland wird die Postleitzahl bereits als Anhaltspunkt für die Bonität von Kunden herangezogen. So bestimmt zum Beispiel Primus-Online anhand der Adresse, ob ein Kunde Vorkasse leisten muss oder die Ware nach Lieferung und Erhalt einer Rechnung bezahlen kann.

Um ein Profil weiter zu schärfen, können schließlich weitere Informationen per Cookies oder GUIDs gesammelt werden. Hierbei werden Miniatur-Dateien auf dem Rechner des Users abgelegt, die seine Aktivitäten verfolgen und beim nächsten Kontakt mit den Web-Seiten des Anbieters darüber berichten. Als Ergebnis erlangt der Anbieter ausführliche Kenntnisse über Interessen und Gewohnheiten. So gewonnene Daten stehen jedoch im Kreuzfeuer der Kritik, da sie zumeist weder mit Kenntnis des Users, geschweige denn mit seinem Einverständnis gesammelt werden.

Schöpft man alle Möglichkeiten der Informationssammlung aus, entsteht der gläserne User, dessen Name, Alter, Adresse, sozialer Status, Interessen, Vorlieben und Online-Aktivitäten bekannt sind. Der Anbieter steht nun vor der Frage, wie er welchen Nutzen aus diesen Informationen ziehen kann.

Eine einfache Möglichkeit zur Nutzung der gesammelten Daten liegt im Verkauf der Datensätze an Adressverlage, Direktmarketiers oder einzelne Unternehmen. Die Daten (zumeist Adressen) werden dann dazu verwendet, Konsumenten per Post, Telefon oder E-Mail mit Werbebotschaften anzusprechen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass sich Konsumenten von der ungesteuerten Werbeflut gestört fühlen und Hemmungen gegenüber dem Internet und E-Commerce aufbauen beziehungsweise die beteiligten Unternehmen einen Imageverlust erleiden. Grundsätzlich ist der reine Datenhandel erlaubt. Unter dem Aspekt der informationellen Selbstbestimmung der Konsumenten wird er jedoch von vielen Seiten kritisch beurteilt.

Doch Daten bieten weitaus mehr als nur einen "Verkaufswert". Sie beinhalten Informationen, die einzeln für sich schon interessant sind, jedoch intelligent aufbereitet, verknüpft und ausgewertet ein immenses Nutzenpotenzial für grundsätzlich jedes Unternehmen bieten. So kann der Anbieter auch anonymisiert, also ohne persönliche Identifizierung des Users, Kenntnisse über das Verhalten einzelner Käufer, Käufergruppen oder über das allgemeine Kaufverhalten erlangen, seine Zielgruppe finden und selektieren sowie die Beziehung zu seinen Kunden intensivieren und verbessern. Darüber hinaus ermöglicht eine sorgfältige Profilierung, Angebot und Kommunikation individuell auf den einzelnen Kunden auszurichten.

Im Gegensatz zur ungesteuerten Werbung mittels Mailings wird Werbung hier zur Information. Sie stört nicht und geht nicht unter, sondern ist erwünscht und wird beachtet, da sie die Interessen des Kunden trifft. Individuelle Kaufvorschläge können ihn begeistern, weil er das findet, was er eigentlich gar nicht gesucht hat, während der Anbieter den Umsatz steigert und die Bindung zum Kunden erhöht.

Es ist jedoch nicht zu verhehlen, dass auch eine solche Profilbildung mit einigen Problemen behaftet ist. Auf Anbieterseite entsteht das operative Problem, die anfallenden Daten zu verarbeiten. Ist dies aufgrund der digitalen Form grundsätzlich komfortabel möglich, so kann doch bei erfolgreichen Online-Angeboten die Datenmenge zu einer wahren Datenflut werden. Beispielsweise fielen bei dem Internet-Portal Excite bereits im Februar 1998 alleine in den Log-Files jeden Tag 40 Gigabyte Nutzungsdaten an.

Weiterhin besteht angesichts der interessanten Daten eine gewisse Verlockung, die damit verbundenen Möglichkeiten zu missbrauchen und nicht nur im Sinne einer verbesserten Kundenbeziehung einzusetzen. Dementsprechend versuchte eine Führerscheinbehörde in den USA, ihren Etat aufzubessern, indem sie Daten über ihre Bürger erlösmaximierend verkaufte. Doch auch ohne die Vorsätzlichkeit des genannten Beispiels besteht die Gefahr, dass durch allzu sorglosen Umgang mit den Daten die wertvollen Informationen in falsche Hände geraten. So waren auf frei zugänglichen Web-Seiten einer Lotterie die Kreditkarteninformationen ihrer Kunden zu finden. Mehrere Beispiele dieser Art sind in zahlreichen Schlagzeilen bekannt geworden, so dass bei den Konsumenten bereits ein Misstrauen entstanden ist, vor dessen Hintergrund selbst eine sorgfältige Profilierung bereits als Eingriff in die Privatsphäre empfunden wird.

In der W3B-Studie von November 1999 zeigt sich das durch mangelnde Datensicherheit ausgelöste Misstrauen bereits sehr deutlich. So wird auf die Frage nach dem dringendsten Handlungsbedarf im Internet der Schutz der persönlichen Daten an zweiter Stelle genannt. Beinahe zwei Drittel aller Befragten betrachten die unzureichende Datensicherheit als eines der größten Probleme beim Online-Shopping. Mehr als die Hälfte der Interviewten sehen darin sogar einen Grund, einen bereits begonnenen Online-Einkauf abzubrechen.

Die Datensicherheit hat als Problem des Internet also bereits das Bewusstsein der Konsumenten und sogar die Stufe der Handlungsrelevanz erreicht. Sie kann somit zu einer ähnlichen Entwicklungsbarriere für Internet und E-Commerce werden, wie es bis vor einigen Monaten noch die hohen Kosten für die Internet-Nutzung waren. Sollen Internet und E-Commerce also die großen Erwartungen erfüllen, ist ein fairer und sorgfältiger Umgang mit den Teilnehmerdaten unerlässlich, um das Vertrauen der Konsumenten in das Medium aufzubauen oder zurückzugewinnen.

Das Wissen um die Bedeutung der Datensicherheit scheint sich zunehmend auszubreiten. Doch über den richtigen Weg und die geeigneten Maßnahmen herrscht keine Einigkeit. Die Diskussionen reichen von der Forderung nach einer tief greifenden staatlichen Regulierung bis hin zur Hoffnung auf vollständig selbstregulierende Effekte. Dementsprechend haben sich verschiedene Organisationen und Unternehmen des Schutzes der User inzwischen angenommen. So spüren Gütesiegel im Internet vertrauenswürdige Anbieter (insbesondere Shops) auf und zeichnen ihren sorgfältigen Umgang mit Kundendaten aus. Darüber hinaus kann sich der Internet-User umfassend über die Themen Datenschutz und Privatsphäre auf Informationsseiten wie www.sicherheit-im-internet.de informieren. Dort findet er auch Formulare und Hilfestellungen, um einer unerwünschten Datenverwendung entgegenzuwirken. Weitere Unterstützung kommt von so genannten Anonymizern oder aus dem Bereich der Verschlüsselungstechniken, um weniger Spuren in Netz zu hinterlassen.

Einen besonders umfassenden Ansatz zur Vertrauensbildung in Internet und E-Commerce zeigen John Hagel III und Marc Singer in ihrem Buch "Net Worth". Sie beschreiben zur Vertrauensbildung eine unabhängige Institution des Marktes, welche die wertvollen Kundendaten verwaltet und zwischen Konsumenten und Wirtschaft im Internet vermittelt. Seine Funktion als Zwischenhändler - im Englischen "intermediary" - für Informationen brachte ihm den Namen "Infomediary".

Mit dem Infomediary stellen die Autoren dem Konsumenten einen Berater in Sachen Datensicherheit zur Seite, etwa vergleichbar einem Steuerberater oder Rechtsanwalt. Mit dessen Hilfe kann der User sein eigenes Profil organisieren und bestimmen, wer wann welche Informationen zu welchem Zweck erhält. Da die Informationen für die Anbieter einen Wert beinhalten, können sie gehandelt werden und somit einen Gegenwert für den User erzielen.

Dabei werden Daten und Privatsphäre der User zunächst geschützt. Weiterhin wird ein umfassendes Profil erstellt, an dem nun die weiteren Serviceleistungen des Infomediary ansetzen. Diese reichen vom Gewinn bringenden Handel bis zur Selektion der passenden Angebote, die er zum richtigen Zeitpunkt an den User heranträgt und ihm so Suchkosten und Zeitaufwand erspart. Ein Multiplikator all dieser Vorteile liegt schließlich in der Kombination mehrerer User-Profile. So können einzelne Kunden von den Profilen der anderen profitieren, indem über ähnliche Interessen Erkenntnisse für den Einzelnen gewonnen werden. Und auch die in der Profilkombination liegende User-Macht den Anbietern gegenüber ist nicht zu unterschätzen. Alles in allem ist der Infomediary für den Verbraucher also Wächter, Berater, Agent und Broker in einem.

Die Voraussetzung für einen funktionierenden Infomediary und den damit verbundenen User-Nutzen liegt in der Qualität des Profils. Je mehr Informationen bereitgestellt werden, je detaillierter sie sind und je besser sie verarbeitet werden, desto eher kann der Infomediary seine beschriebenen Funktionen erfüllen. Dazu ist ein Vertrauen aufzubauen, vergleichbar einem Anwalt-Klienten- oder Arzt-Patienten-Verhältnis.

Diese erste Sicht des Infomediary klingt nun weniger nach institutioneller Unabhängigkeit, sondern mehr nach parteiischer Einseitigkeit zugunsten der Konsumenten. Doch auch dem Anbieter haben die Autoren einiges zu bieten. Kennzeichen einer sinnvollen Institution ist die Verbesserung des Marktgeschehens durch Senken des gegenseitigen Suchaufwandes. Hier profitiert auch der Anbieter, indem er die Adressaten nicht einzeln suchen und kontaktieren muss. Er findet sie vielmehr direkt beim Infomediary.

Dieser bietet dabei ein qualitativ besonders hochwertiges Kontaktumfeld. Denn die Konsumenten, zu denen der Anbieter Zugang erhält, sind an seinen Produkten und Botschaften interessiert und stehen vielleicht unmittelbar vor einer Kaufentscheidung. Er trifft sie zudem in einer vertrauensvollen Atmosphäre und kann an dem Image des Infomediary partizipieren. Zu dem Kontakt werden also die Kaufbereitschaft und das Vertrauen der Konsumenten quasi mitgeliefert.

Der Infomediary hat zudem weitaus mehr und genauere Informationen über den Konsumenten, als der Anbieter je erhalten würde, und nimmt ihm gleichzeitig als "Profilierungsprofi" die Aufbereitung dieser Datenmassen ab. So kann er neben dem Kontakt auch zahlreiche Informationen aus Marktstudien bieten. Durch Aggregation und Analyse einer Vielzahl von Profilen ist der Infomediary in der Lage, dem Anbieter nützliche Erkenntnisse über die Konsumenten zu liefern und gleichzeitig das Profil und die Privatsphäre der einzelnen User zu schützen.

Zugegeben, das stark zukunftsgerichtete Konzept von Hagel und Singer mutet zum Teil wie eine Internet-Fiction an. Es bietet aber bedeutende Anhaltspunkte für die Wirtschaft, wie der Umgang mit den Kundendaten arbeitsteilig erfolgen kann, so dass eine für beide Seiten Gewinn bringende Situation entsteht. So ist als angenehmer Nebeneffekt das Entstehen eines neuen lukrativen Wirtschaftszweiges zu beobachten, der der Internet-Ökonomie einen neuen Schub verleihen kann. Handlungsbedarf für ein professionelleres Profil-Management ist jedenfalls ausreichend geboten. Denn dass die Online-Konsumenten sich mit der derzeit unbefriedigenden Behandlung ihrer persönlichen Daten zufrieden geben, ist auf Dauer wohl nicht anzunehmen.

*Eckart Vierkant ist Dozent an der Freien Universität Berlin und Autor des Buches "Internet Ökonomie".

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Quelle: Nicholas Negroponte

Abb: Hinter dem Browser läuft eine gewaltige Analyseprozedur ab, um das Profil eines jeden Kunden zu schärfen. Quelle: Hagel/Singer, Net Worth