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ACTA - was Sie wissen müssen

24.02.2012
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Warum ist der Protest gegen ACTA so massiv?

Besonders die Web-Gemeinde fühlt sich übergangen - die Verhandlungen fanden über viele Jahre im "stillen Kämmerlein" statt. Erst nachdem einige Informationen gegen den Willen der Verhandlungspartner "geleakt" worden waren, gab es offizielle Informationen. Eine weitere Gefahr sind die vagen Formulierungen in dem Abkommen, die viel Platz für Interpretationen lassen. Während die ACTA-Befürworter meinen, es werde nur noch einmal schriftlich fixiert, was sowieso bereits Gesetz sei, fürchten die Kritiker massive Einschnitte in die Freiheit des Internets. So könnten Provider beispielsweise dafür haftbar gemacht werden, wenn ihre Kunden Urheberrechtsverstöße begingen. Das brächte mehr Überwachung der Anwender mit sich, um den illegalen Download von Musik und Filmen zu unterbinden. Ohne Zutun einer Behörde könnte im Zweifelsfall sogar der Internetzugang gesperrt werden. Darüber hinaus soll laut ACTA bereits die Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen unter Strafe gestellt werden - Videoportale wie Youtube gerieten ins Schussfeld, weil jeder hochgeladene Clip vor Veröffentlichung kontrolliert werden müsste. Das liefe dem ursprünglichen Zweck dieser Angebote entgegen und könnte ihr Aus bedeuten.

ACTA-Befürworter halten dagegen, dass es keine expliziten Verpflichtungen zur Nutzerüberwachung seitens der Provider gebe und die Sperrung von Zugängen ebenfalls nicht vorgesehen sei.

Am Ende wird es zunächst Auslegungssache in jedem Einzelfall sein. Die ACTA-Gegner wollen gar nicht erst die Möglichkeit schaffen, neue Zensur- und Sperrinfrastrukturen per Gesetz zu installieren. Gerade auch, weil auf EU-Ebene bereits die "Intellectual Property Rights Enforcement Directive" (IPRED) als Richtlinie in Planung ist, die alle oben genannten, von den Kritikern befürchteten Punkte gesetzlich festzurren soll. Ist ACTA erst einmal Gesetz, wird es IPRED leicht haben.

Welche Pro- und Contra-Meinungen gibt es?

Die ACTA-Befürworter stammen vor allem aus der Unterhaltungsindustrie, die mit der Digitalisierung von urheberrechtlich geschützten Inhalten und deren vereinfachtem Bezug auf kostenlosen respektive illegalen Wegen ihre Umsätze einbrechen sieht. Interessant ist, dass es in erster Linie die Rechteverwerter sind, die sich massiv für das Abkommen einsetzen und weniger die Urheber selbst.

Stellvertretend für die Content-Lobby das offizielle Statement von MarkMonitor, das die Markenrechtsansprüche von Unternehmen weltweit durchsetzt: "Wir glauben, dass Markenrechtsinhaber, Konsumenten und diejenigen, die digitale Inhalte erstellen, einen Schutz vor Cyberkriminellen und Piraten verdienen. Wir glauben auch, dass die Legislative den Schutz des Rechts am geistigem Eigentum und die Sicherheit der Konsumenten maximieren muss - gleichzeitig aber muss der Interessenskonflikt mit den Vorzügen eines offenen und freien Internets minimiert werden."

Stellvertretend für die Urheber die Meinung des Netzaktivisten und ACTA-Gegners Jacob Appelbaum, die er im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE im Rahmen einer Vortragsveranstaltung der TU München kundtat: "Die Verbände verfolgen Interessen, die denen der Künstler entgegen stehen. Fast alle Kreativen, mit denen ich mich ausgetauscht habe, können die ACTA-Bestrebungen nicht nachvollziehen. Ich arbeite selbst gelegentlich als Fotograf und fühle mich nicht richtig vertreten. Die Lobbyverbände machen die Inhalte nicht, sie halten nur die Rechte an diesen Inhalten - aus welchen Gründen auch immer. Sie behandeln Ideen und kreative Erzeugnisse wie Öl oder Kohle. Sie machen sie zu Geld, haben aber sonst keine weiteren Interessen an dem, was sie verkaufen."

Wie geht es jetzt mit ACTA weiter?

Durch den Widerstand in einigen Staaten ist auch das EU-Parlament hellhörig geworden - so fordern die Grünen in Straßburg beispielsweise, die ACTA-Bemühungen einzustellen. Es gibt eine Online-Petition von Bürgerrechtlern, um in Brüssel Einspruch gegen die Ratifizierung durch das EU-Parlament zu erheben. Der Verein "Digitale Gesellschaft" ruft dazu auf, die EU-Parlamentarier direkt mit den Schattenseiten von ACTA zu konfrontieren. Die EU-Kommission kündigte ob des allgemeinen Drucks in dieser Woche an, das Abkommen dem Europäischen Gerichtshof zur juristischen Prüfung vorzulegen. Ergo: Ob und wenn ja, wann und wie ACTA tatsächlich Recht und Gesetz in Europa wird, ist derzeit offen wie nie zuvor.