Kolumne

"Ach, Europa"

02.05.1997

Schon lange ärgern sich die gemächlichen Europa-Politiker über das hohe Tempo, mit dem die US-Wirtschaft das Thema Electronic Commerce vorantreibt. Wer nun glaubt, der alte Kontinent würde sich die Innovationsgeschwindigkeit der Neuen Welt aufdrängen lassen, irrt gewaltig. Ein unabhängiges Expertengremium namens European Communication Council (ECC) plant jetzt einen ganz unerwarteten Schlag gegen die Bedrohung aus Übersee.

Vierzehn Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern befruchteten sich gegenseitig und gebaren schließlich folgende Idee: Europa braucht ein eigenes Internet. Eine Neukonfiguration des weltweiten Netzes müsse her, die ein "ausgewogenes Verhältnis" zwischen nationalem und internationalem Datenverkehr sicherstelle.

Die US-Dominanz in den neuen Kommunikationstechnologien hat laut ECC zu einer "Umkehrung des Kolonialkomplexes" geführt. Einfach gesagt: Europa sei in die "kulturelle Abhängigkeit" der Amerikaner geraten, weshalb nun verstärkt europäische Inhalte in die Online-Dienste gebracht werden müssen.

Leider sind die Eurokraten nicht aufrichtig. Tatsächlich ist es nicht die kulturelle, sondern die wirtschaftliche Dominanz der Amerikaner, die Europas Vordenker beunruhigt. Kulturell haben Coca-Cola und McDonalds, Hollywood und Disney World, Aerobic und Rollerblades längst ihre Spuren in der hiesigen Kulturlandschaft hinterlassen - und niemand ist ernsthaft daran interessiert, diese zu beseitigen.

Fakt ist, daß Europa den vielleicht wichtigsten Trend der Neuzeit verschlafen hat und nun die Notbremse ziehen will. Das Internet ist das Medium, das die Wettbewerbsbedingungen im Weltmarkt nahezu egalisiert; ärgerlicherweise haben sich die Europäer nicht darauf eingerichtet. Sie sind auf dem elektronischen Marktplatz unterrepräsentiert, ihr Warenangebot im Netz ist kaum entwickelt.

Sich nun in den Schmollwinkel zurückzuziehen und ein eigenes Netz aufzumachen ist eine Schlußfolgerung ohne Logik. Europa würde Handelsbarrieren aufbauen und sich vom Weltmarkt abkoppeln. Das kann nicht im Interesse derer sein, die sich erfolgreich in innovativen Industrien tummeln und den wohl größten und preiswertesten Vertriebskanal der Welt uneingeschränkt nutzen wollen.