Abschied vom traditionellen Büro

30.04.1981

Günther Lamperstorfer Geschäftsführer der Infora GmbH, Köln und Stuttgart

Niemand wird im Ernst die großen Effekte der spezialisierten Technik zum Diktieren,

Telefonieren, Rechnen, Schreiben und zur Datenverarbeitung bestreiten, aber jedes Gerät ist nur einem eng umrissenen Zweck gewidmet. Deshalb arbeitet die Computerindustrie intensiv daran, diese technischen isolierten Werkzeuge am Arbeitsplatz durch bausteinartig anpassungsfähige, integrierte Büroinformationssysteme abzulösen, die mehr Funktionen zur direkten Kommunikation bieten.

Der Übergang auf multifunktionale Systeme mit gerätetechnischer Integration am Arbeitsplatz ist damit vorgezeichnet. Visuelle schriftliche und sprachliche Informationen stehen ebenbürtig nebeneinander und müssen deshalb auch mit gleichrangiger Technik behandelt werden.

Schon heute ist die arbeitsphysiologische und ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen durch die Ansammlung von Telefonen, Sprechanlagen, Diktiergeräten, Bildschirmen, Schreibmaschinen Kopiergeräten etc. sehr schwierig.

Wenn das notwendige Repertoire von Bürofunktionen nicht beschnitten werden soll, dann bleibt als Ausweg nur die Zusammenführung von Funktionen und Elementen, welche diese Werkzeuge gemeinsam haben.

Ein vorerst idealer (wenn auch utopischer) Endzustand ist dann erreicht, wenn von ein und demselben multifunktionalen Terminal aus der Sachbearbeiter über Informationen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichster Art (Bild, Sprache, Daten etc.) verfügen kann, soweit sie für Inhalt und Umfang seiner Arbeit erforderlich sind.

Um die Auswirkungen einigermaßen richtig abzuschätzen, muß man das, was sich im Büro anbahnt, in einen größeren Zusammenhang einordnen. Dieser ist gekennzeichnet durch das bereits angedeutete Zusammenlaufen der Computertechnik mit der Telekommunikation, was sich - zu Ende gedacht, in den folgenden drei Punkten ausdrücken läßt:

* Computerleistung ist für jedermann und allerorts zugänglich;

* freier Zugriff zu Datenbanken und Dokumentationssystemen;

* universelle Bild- und Zeichenübertragung.

Auf der einen Seite stehen dabei mächtige Informationsverarbeitungssysteme, auf der anderen benutzerfreundliche multifunktionale Datenstationen. Beide Systeme sind miteinander verbunden durch einheitliche Datenübertragungs- und Datenvermittlungssysteme.

Anders ausgedrückt: Dem Büro, dessen ureigenstes Anliegen Informationsprozesse sind, wird eine Kommunikationsinfrastruktur unterlegt. Damit - und nur damit - wird die Voraussetzung geschaffen, daß Informationsprozesse mit adäquaten Mitteln bearbeitet werden.

- Für viele von uns bedeutet das zunächst einmal, den Denkansatz zu ändern und den mengenbezogenen Vergleich zwischen Produktivität in der Produktion und im Büro aufzugeben.

Es ist sicher unbestritten, daß im Bürobereich noch ungleich größeres Rationalisierungspotential liegt; aber indem man als Kriterium für diesen Vergleich die Menge der zu erledigenden Kommunikationsvorgänge heranzieht, degeneriert man das Büro zu einem textproduzierenden Betrieb. Diese Meßlatte führt sicher nicht zu objektiven Aussagen - im Gegenteil- solches Vorgehen fördert geradezu Fehlentwicklungen wie den lawinenartigen Ausstoß von Texten.

- Die Telekommunikation wird wie jede neue Kommunikationstechnologie auch neue Kommunikationsformen für das Büro nicht nur ermöglichen, sondern bedingen. Den herkömmlichen Kommunikationsformen einfach die neue Technologie überstülpen, hieße Innovationen vergeuden, wäre "Etikettenschwindel" .

- Neue Technologie darf nicht um ihrer selbst willen realisiert werden. Die Realisierung darf sich nicht am technisch Machbaren orientieren, sondern muß benutzergerecht in Anwendungen umgesetzt werden. Das setzt Kenntnisse des gegenwärtigen und zukünftigen Informationsbedarfs sowie des Einsatzes von Methoden zur Planung und Einführung neuer Anwendungen voraus.

- Sicher werden auch in Zukunft wesentliche Innovationen - vor allem im Bereich der Speichertechnologien - Einfluß auf die Gestaltung von Büroinformationssystemen nehmen. Aber der praktische Einsatz dieser modernen Informationstechniken wird dabei weniger durch spektakuläre Technologien als durch die sinnvolle Nutzung der bekannten Techniken und Methoden bestimmt.

- In dem Maße, wie das Nebeneinander der Bürokommunikationsströme mehr und mehr integralen Charakter erhält, muß diesen individualisierten und interaktiven Dialogmöglichkeiten durch intensive Informationsbevorratung und Koordination der Kommunikationsarten entsprochen werden. Die heute schon existierenden (USA und Europa) etwa 600 öffentlich zugänglichen wissenschaftlich-technischen Datenbanken legen dafür beredtes Zeugnis ab. Angesichts allgemeiner Bemühungen um die Popularisierung von Rechnerintelligenz werden redundante und parallel geführte Informationen und Programme immer weniger vertretbar.

Das alles freilich bedeutet Abschied nehmen vom traditionellen Büro, Abschied von bisherigen bestehenden Berufen und fordert die Lernfähigkeit der betroffenen Mitarbeiter aufs neue heraus.

- Themen wie Ausbildung und berufliche Weiterbildung werden mehr denn je eine Schlüsselrolle in der künftigen Entwicklung spielen, um die Heranführung der Mitarbeiter an neue Aufgaben zu erreichen. Da bisherige Lernfähigkeiten des Menschen Mitauslöser für das nun vor uns liegende Instrumentarium der Informationsverarbeitung sind, können und müssen wir diese Lernfähigkeit auch als sichere Größe in unsere künftige Rechnung miteinbeziehen können.

- Ein nichtorganisierter Prozeß kann das beste Vorhaben zu Fall bringen. Da Informationsverarbeitung mehrschichtig die Organisation, Mitarbeiterausbildung und auch deren Motivation betrifft, haben nur organisierte Anpassungsvorgänge einigermaßen Aussicht auf Erfolg. In einigen Unternehmungen wird dieser organisatorischen Anpassung Rechnung, getragen, indem ein sogenannter "Kommunikations-Manager" ernannt wurde. Mit seiner Hilfe soll erreicht werden, daß keine Strukturbrüche entstehen, sondern die Strukturen sich - entsprechend der Zielvorgabe - stetig wandeln.

- Die Identifizierung des Managements mit der Kommunikations-lnfrastruktur, die unser Leben und speziell die Bürowelt durchziehen wird, ist eine weitere wichtige Voraussetzung. Identifizierung in dem Sinne, daß das neue Instrumentarium angenommen und bewußt gestaltet wird.

Die entstandene Flut von Informationsprozessen wird uns lange Zeit in Atem halten. Nur ihre traditionelle Behersschung wird Triviales erträglich und Kreatives möglich machen.