Hasso Plattner im CW-Gespräch

"Abap und Java sind künftig gleichberechtigt"

14.12.2001
Die Integrationsplattform "Mysap Technology" ist für SAP eine der bedeutendsten Innovationen. Statt mit betriebswirtschaftlicher Standardsoftware will das Walldorfer Softwarehaus nun auch mit seiner Technik Geld verdienen. Vorstandssprecher Hasso Plattner erläutert im Gespräch mit den CW-Redakteuren Christoph Witte und Martin Ottomeier die neue Lösung und das Verhältnis zur Konkurrenz.

CW: Was ist Mysap Technology?

PLATTNER: Mysap Technology ist eine eigene Philosophie. Das Projekt hat langfristigen Charakter und wird noch viel Arbeit erfordern - insbesondere, es in unseren verschiedenen Anwendungssystemen auch zu leben. Alle Abteilungen müssen da mitziehen.

CW: Was zeichnet es aus?

PLATTNER: Zunächst einmal können wir bei einer Transaktion mehrere interpretierende Sprachen verwenden. Bisher hatten wir eine interpretierende Sprache, nämlich Abap. Anwendungen in Programmiersprachen wie C oder Java konnten nur als Unterprogramme verwendet werden. Künftig können Anwendungskomponenten gleichberechtigt entweder als Abap-, Javabeans- oder Java-Anwendung erstellt werden. Das Frontend wird komplett auf Java-Technologie ausgerichtet. Bis jetzt war es an die Windows-Plattform gebunden. Jeder, der Java Server Pages (JSP) programmieren kann, kann nun auch Anwendungen für Mysap erstellen.

CW: Wofür werden Sie Mysap Technology nutzen?

PLATTNER: Auf dieser Grundlage werden wir neue Anwendungen erstellen, zum Beispiel Marktplätze und Portale. Das sind logische Konzepte, die auf der neuen Technik aufsetzen. Mit ihr können künftig Komponenten für Mysap auch auf andere Weise als Abap-Programm erstellt werden.

CW: Werden Sie Mysap-Komponenten ebenfalls in Java programmieren? Und welche Zukunft hat Abap langfristig?

PLATTNER: Wir werden sowohl in Java als auch in Abap programmieren. Eine neue Komponente, die wir beispielsweise in fünf Jahren entwickeln werden, wird immer noch mehr Anteile in Abap als in Java haben. Java hat zum Beispiel keine Tabellenverarbeitung. Eine kommerzielle Anwendung besteht aber im Wesentlichen aus Datenbankabfragen und geschachtelten Tabellenverarbeitungen. Die Benutzeroberfläche erstellen wir dagegen künftig in Java. Alle unsere Abap-Entwickler werden jetzt jedenfalls auch auf Java geschult.

CW: R/3 ist dann also nur noch eine Komponente in dieser Anwendungswelt?

PLATTNER: Genau. Und dementsprechend werden wir R/3 auch nicht mehr fortentwickeln. Das für Mitte nächsten Jahres angekündigte R/3 Enterprise wird das letzte R/3-Release sein. Danach werden wir Funktionalität in R/3 nur noch aus Kompatibilitätsgründen vorhalten. Nur noch Rechnungswesen und HR, also Personal-Management sowie Lohn und Gehalt, werden dort weiter gepflegt. Die anderen Module werden in die jeweiligen Mysap-Anwendungen übergehen, zum Beispiel unser Marketing- und Vertriebsmodul SD in Mysap CRM. Bereits heute sind 90 Prozent der SD-Funktionalität in Mysap CRM 3.0 überführt worden. R/3 wird also schrumpfen.

CW: Wenn R/3 Enterprise Mitte 2002 herauskommt, dann läuft die Wartung noch bis Mitte 2005. Heißt das, dass alle R/3-Anwender bis dahin auf Mysap umsteigen müssen?

PLATTNER: Nein. Wir werden die Fortführung der Wartung davon abhängig machen, wie viele Anwender dann noch R/3 einsetzen. Unser Ziel ist es natürlich, in etwa fünf Jahren die Mehrzahl der Kunden auf Mysap zu haben. Aber viele Anwender nutzen zum Beispiel SD-Funktionen wie Order Fulfilment. Daher werden wir SD aufrechterhalten. Aber die Weiterentwicklung geschieht in Mysap CRM.

CW: Das neue Konzept erlaubt eine leichte Integration von Anwendungskomponenten, die Drittanbieter zuliefern. Was werden Sie da zulassen?

PLATTNER: Das bestimmen die Kunden. Zum Beispiel werden wir mit Sicherheit Siebel pa-rallel zu unserem eigenen CRM in das Portal aufnehmen. Selbst wenn Siebel nur noch die Nummer zwei ist, ist es für unsere Portalgruppe interessant, die Anwendung zu unterstützen und darauf aufbauend Anwendungen und Services anzubieten.

CW: Steht bei SAP jetzt der Plattformgedanke im Vordergrund?

PLATTNER: Für uns sind Plattform und Lösungen künftig gleich wichtig. Wir kommen aus der Lösungswelt und erweitern unser Geschäft um Plattformen. Microsoft zum Beispiel geht den umgekehrten Weg: Sie kommen aus der Plattformwelt und bieten nun unter anderem über die Great-Plains-Übernahme auch Lösungen. Microsoft wird damit ein wichtiger Konkurrent, da wollen wir gegenhalten.

CW: Aber die Software kann trotzdem integriert werden?

PLATTNER: Auch wir stellen unsere Anwendungen künftig als Web-Service zur Verfügung. Kunden haben dann die Wahl. Wir bieten ein Portal, in dem auch Microsoft-Services, zum Beispiel die Office-Suite, angeboten werden wird. Microsoft seinerseits wird SAP-Anwendungen zum Beispiel in Office einbetten.

CW: Liegt in der Konkurrenz zu Microsoft auch der Grund für die Java-Entscheidung?

PLATTNER: Nein. Das hängt damit zusammen, dass wir uns mit Microsoft nicht darüber einigen konnten, auch andere IT-Systeme als Windows zu unterstützen. Viele unserer großen Kunden benutzen kein Windows NT, sondern Mainframes, Unix-Maschinen oder AS/400. Wir glauben nicht, dass Java die bessere Plattform ist, es ist aber sicher die breitere.

CW: Der Versuch, Anwendungen via ASP im Netz verfügbar zu machen, war nicht erfolgreich. Was ist bei Web-Services anders?

PLATTNER: Das Business-Modell hat nicht funktioniert. Unsere ASP-Lösung Pandesic war sehr erfolgreich. Die Kunden waren hochzufrieden. Aber damit war kein Geld zu verdienen, da die Unternehmen, die dieses Modell genutzt haben, nicht das Umsatzwachstum erzielt haben, dass wir uns versprochen hatten.

CW: Was bedeutet die Neuausrichtung für das Geschäftsmodell der SAP?

PLATTNER: Wir haben rund 900 Softwarepartner. Wenn die ihre Anwendungen als Java- und JSP-Anwendungen schreiben, können wir sie sofort in unser Portal einbinden. Wir könnten zum Beispiel den Vertrieb dafür übernehmen und gleich eine erweiterte Lösung anbieten. Das haben wir schon einmal versucht. Damals waren wir aber nicht sehr erfolgreich - vor allem, weil wir es logistisch nicht hinbekommen haben. Das stellt sich jetzt anders dar. Daher werden wir das neu überdenken.

CW: Welche Software wollen Sie künftig noch selber machen und welche Komponenten über Partner abdecken?

PLATTNER: Die Virtual Machine für die Ausführung von Java Code entwickeln wir natürlich nicht selbst. Für die J2EE-Services haben wir im vergangenen Jahr Prosyst gekauft. Bei solchen Standardanwendungen bringt es uns nichts, das selber zu fertigen. Aber betriebswirtschaftliche Software werden wir weiterhin selber erarbeiten. Viele CRM-Komponenten waren von Anbeginn Bestandteil unserer Software, zum Beispiel die Kundenauftragsbearbeitung. Ein CRM müssen wir also selbst entwickeln. Wir wollen weiter wachsen, und das können wir nicht allein mit der Finanzbuchhaltung. Aber auch mit dem Verkauf von Technologien werden wir künftig Geld verdienen wollen.

CW: Wie viel Umsatz wollen Sie damit erwirtschaften?

PLATTNER: Wir wollen mittelfristig einen signifikaten Teil unseres Umsatzes damit erzielen. Wir beschäftigen im Bereich Portals and Markets rund 900 Entwickler. Wenn Sie das mit den Entwicklern in der restlichen SAP vergleichen, können Sie sich ausrechnen, wie viel Umsatz wir da brauchen. (SAP beschäftigte im September 2001 rund 7000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung. Mit 900 Entwicklern müssten Portals and Markets also zukünftig rund 13 Prozent zum SAP-Umsatz beitragen, Anm. d. Red.)

CW: Sie haben über CRM, SCM und PLM gesagt, Sie wollten sich in diesen Märkten an den Marktführern messen lassen. Gilt das auch für das Technologiegeschäft?

PLATTNER: Es wäre natürlich vermessen, IBM, Bea oder Microsoft überholen zu wollen. Aber unser Ziel ist es, ein nennenswerter Player zu sein.

CW: Noch ein Wort zu den Geschäftszahlen. Im dritten Quartal sahen Ihre Ergebnisse nicht mehr so gut aus. Sie mussten Ihre Wachstumsprognose zurücknehmen.

PLATTNER: Aber davor hatten wir zwei phantastische Quartale. Das dritte Quartal war immer noch gut. Die Ergebnisse wurden dadurch beeinträchtigt, dass wir uns für eine Milliarde Euro an Firmen beteiligt haben. Da die Firmen abgewertet worden sind oder sich selbst abgewertet haben, hatte das einen buchmäßigen Einfluss. Aber das Ebitda-Ergebnis ist immer noch hervorragend - besser als bei anderen Softwarefirmen. Und außerdem hat das US-Geschäft massiv unter den Folgen des 11. September gelitten.

CW: Bei CRM haben Sie nach eigenen Angaben 1000 Kunden. Tom Siebel bezweifelt das. Er habe noch keine Kundenliste gesehen.

PLATTNER: Siebel hatte im vergangenen Jahr 80 Prozent Wachstum und jetzt deutlich weniger. Warum? Natürlich ist der Markt insgesamt zurückgegangen, aber einen Großteil der Abschlüsse machen jetzt wir. Von den 1000 Siebel-Installationen bei SAP-Kunden sind nur 30 in die SAP-Systeme integriert. Das ist traurig. Mittlerweile hat Siebel in einer Reihe von Auswahlprojekten gegen SAP verloren. Und auch einige Ablösungen stehen an. Wir sind mittlerweile klar die Nummer zwei.

CW: Wie sehen Sie die konjunkturelle Entwicklung in Amerika und Europa?

PLATTNER: Ich kann nur sagen, was andere auch sagen. In Amerika haben wir das Schlimmste wahrscheinlich hinter uns. In Europa ist die Talsohle aber noch nicht erreicht. Von Kundenseite ist es so, dass viele große amerikanische Unternehmen wieder zu uns kommen und mit uns reden. Das macht Mut. Auch in Europa machen wir unsere Abschlüsse. Hierzulande ist es eher das psychologische Umfeld. Jeder redet von der Krise - beim Kanzler angefangen. Das verunsichert.

CW: Wie sehen Sie Oracle als Mitbewerber?

PLATTNER: Sie schwimmen, weil sie ihren Kopf verloren haben: Ray Lane. Er konnte den Kun-den etwas verkaufen, was nicht da war. Er hat Oracle als den Internet-Provider schlechthin positioniert. Bei den Dotcom-Unternehmen der Bay Area war Oracle damit absolut dominant. Das Geschäft ist nun weggebrochen. Oracle hat einige Kunden durch Insolvenzen verloren, die jetzt keine Wartung mehr zahlen. Das wird sich auswirken. Larry Ellison ist fast die gesamte Führungsmannschaft abhanden gekommen. Und Ellison kann nicht alles allein machen. Wenn aus der SAP-Führungsriege zwei oder drei solcher Spitzenkräfte gingen, das könnte ich jedenfalls nicht so einfach kompensieren.

Christoph Witte, Martin Ottomeier

mottomeier@computerwoche.de