98 Prozent aller SAP-Systeme sind verbesserungsbedürftig

02.06.2006
Die Beratungsfirma Nucleus Research hat die Produktivität von Firmen mit SAP-Systemen mit denen anderer Hersteller verglichen. Erstaunliches Ergebnis: Wo SAP im Unternehmenseinsatz ist, fällt sie oftmals geringer aus. Doch Schuld daran ist meist gar nicht die Software, sondern die Anwender selbst sind es, die ihre Systeme nicht optimal nutzen.

Eine kürzlich von Nucleus Research veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass die Produktivität von SAP-Kunden, verglichen mit dem Branchendurchschnitt, um 20 Prozent geringer ausfällt. Das Dienstleistungsunternehmen für Managementberatung und IT-Consulting West Trax Deutschland und die Unternehmensberatung Experton Group kommen zu einem anderen Ergebnis. Diana Bohr von West Trax und Luis Praxmarer von Experton ermittelten in einer gemeinsamen Studie, dass es die Anwender selbst sind, die ihre SAP-Systeme wirtschaftlich nicht optimal nutzen.

Die Produktivität von SAP-Anwendungen hängt in erheblichem Maße vom Standardisierungsgrad ab. Lediglich zwischen 30 und 50 von realisierbaren 70 bis 80 Prozent des Standardisierungspotenzials aber werden in deutschen Unternehmen derzeit durchschnittlich genutzt. Eigenentwicklungen treiben die Wartungskosten eines jeden ERP-Systems in die Höhe. Die automatisierten Standardmechanismen sind nicht mehr anwendbar, und es entstehen zeitintensive, manuelle Aktivitäten mit erheblichem Aufwand. Vor allem bei Upgrades auf aktuellere Releases sowie bei Konsolidierungen bedeutet dies eine nicht zu unterschätzende finanzielle Investition.

Die Untersuchung zeigt, wie sehr Eigenentwicklungen die IT-Budgets belasten. Schließlich erfordert jedes Support-Package oder jedes Bugfix eine individuelle Überprüfung oder eine Anpassung, damit Prozesse im Betrieb nicht unterbrochen werden. Zudem belasten Eigenentwicklungen den Helpdesk höher als eine sauber dokumentierte und getestete Standardtransaktion.

Damit nicht genug. Je weniger auf Standardfunktionen zurückgegriffen werden kann, desto höher gestaltet sich der Aufwand für Schulungsdokumente und Konzepte, die zusätzlich erstellt und gepflegt werden müssen. Hinzu kommt, dass es zurzeit keine Standards beim Dokumentieren und Kommentieren des ABAP-Codes gibt. Bei nötigen Anpassungen bleibt oftmals nur noch das mühevolle Einarbeiten in fremden Code, was viel Zeit und Geld kostet.

Natürlich sind Eigenentwicklungen und -anpassungen niemals vollständig vermeidbar, weil speziell benötigte Funktionen in der SAP-Software im Standard nicht immer verfügbar sind. In solchen Fällen ist die Programmierung von Erweiterungen und die manuelle Pflege des Codes unumgänglich. Es gibt aber zahlreiche Eigenentwicklungen, die speziell nach Upgrades durch SAP-Standardtransaktionen ersetzt werden könnten. Eine systematische Prüfung der Updates ist eine seltene Ausnahme. Im Gegenteil: In den Unternehmen herrscht oft ein permanenter Zeitdruck, sodass IT-Verantwortliche die Erweiterung der Standardoptionen bewusst nicht in Erwägung ziehen und lieber alte Codes überarbeiten und weiterhin einsetzen. So wird jahrelang Ballast mitgeschleppt; bei jedem größeren Projekt müssen die Eigenentwicklungen kosten- und zeitintensiv an die neuen Gegebenheiten angepasst werden.

All dies führt dazu, dass am Ende der Wertschöpfungskette die Produktivität eines Unternehmens stark reduziert ist. Der Grund dafür ist also nicht nur in ROE(Return on Equity)-Ergebnissen zu finden, wie eine aktuelle Studie von Nucleus vermuten lässt. Zwar nimmt ein ERP-System starken Einfluss auf die Produktivität eines Unternehmens, dennoch muss man, um zu einer glaubwürdigen Aussage zu gelangen, weitere Aspekte wie die Geamt-IT-Infrastruktur und Geschäftsprozesse berücksichtigen. Hinter Entscheidungen zwischen Standard oder Eigenentwicklung stecken oftmals auch politische und weniger technische Beweggründe. Viele Landesgesellschaften oder Tochterunternehmen konzentrieren ihre Anstrengungen darauf, speziellen Anforderungen der Konzernkontrolle zu entgehen. Als Beispiel kann hier die globale Umstrukturierung eines Unternehmens genannt werden, das seine Aktivitäten von einer geografischen Fokussierung auf eine globale Geschäftsbereichsausrichtung verändern will.

Eine Standardsoftware wie SAP ist immer dann am produktivsten, wenn der verfügbare Standard so optimal wie möglich eingesetzt wird. Das heißt, dass nur dann auf Individuallösungen zurückgegriffen werden sollte, wenn daraus ein deutlicher Wettbewerbsvorteil resultiert oder die Standardfunktionen nicht ausreichen, um die Anforderungen des Unternehmens zu erfüllen. Ratsam für alle SAP-Anwender ist es deshalb, sich intensiv und ernsthaft mit den versteckten Einsparpotenzialen ihres Systems auseinander zu setzen. Oberste Zielsetzung: Die Standardpotenziale so weit wie möglich ausschöpfen. Der grundsätzlich gute Ansatz, den SAP mit dem Customer Competence Center realisieren wollte, wurde nicht konsequent genug umgesetzt. Damit ist die kompetente Verbesserung von Effizienz und Produktivität in den meisten Unternehmen nicht mehr ausreichend gegeben. Bei vielen externen System-Integratoren und Outsourcern fehlt die Motivation zu einer solchen Verbesserung. Die Konsequenz sind alternde SAP-Systeme. Das ist auch der Grund für eine erschreckende Zahl, die viele nicht wahrhaben wollen: 98 Prozent aller SAP Systeme sind verbesserungsbedürftig.