CW-Redakteurin Ulrike Ostler sprach mit Klaus Eierhoff

"90 Prozent des Internet-Marktes sind noch nicht erschlossen"

12.11.1999

CW: Ist es richtig, daß der Online-Buchhändler Barnesandnoble.com, an dem Bertelsmann zu 50 Prozent beteiligt ist, eine höhere Börsenbewertung genießt als die US-Traditionsbuchhandelskette Barnes & Noble?

EIERHOFF: Ja. Während der US-Buchhändler Barnes & Noble Inc. im vergangenen Geschäftsjahr rund 4,67 Milliarden Mark einnahm und der Marktwert (Juli 1999) bei einer Umsatzrendite von 2,3 Prozent Plus auf 3,5 Milliarden Mark geschätzt wird, liegt der Umsatz beim Internet-Pendant Barnesandnoble.com bei nur 0,12 Milliarden Mark, der Marktwert im Juli 1999 lag aber bei 5,5 Milliarden Mark und die Umsatzrendite bei einem Minus von 134 Prozent.

CW: Warum ist für die Internet-Firmen Profitabilität zweitrangig?

EIERHOFF: Es handelt sich hier um neue Geschäftsmodelle mit veränderten Marktregeln. So ist die hohe Börsennotierung ein glänzendes Akquisitionsinstrument und die Ausgabe von Aktien an Mitarbeiter ein starkes Argument, wenn es darum geht, gute Leute zu finden. Darüber hinaus sind weltweit noch rund 90 Prozent des Marktes nicht erschlossen, weil ein noch höherer Prozentsatz der Haushalte von der Internet-Technik unberührt ist.

Warum also sollte ein Unternehmen, daß vor zwei, drei Jahren ins Online-Geschäft eingestiegen ist, zugunsten geringer Gewinnspannen in einem Kleinstmarkt auf Investitionen verzichten? Wenn noch 90 Prozent des Marktes zu verteilen sind, dann investiere ich lieber in den Gewinn von Marktanteilen. Schließlich ist es leichter, jetzt ein Stück vom Kuchen zu erwerben, als es hinterher dem Wettbewerber abzujagen.

CW: Bei ihrer hohen Marktkapitalisierung könnten manche Internet-Unternehmen traditionelle Anbieter wie Siemens übernehmen. Welche Überlegungen leiten die Anleger?

EIERHOFF: Sie investieren in die Wachstumsdynamik und das neue, zukunftsträchtige Geschäftsmodell von Online-Firmen. Ihre Erwartungshaltung ist folgende: Die werden es den traditionellen Anbietern schon zeigen. In dem Moment, in dem ein Online-Haus in etablierte Geschäftsbereiche investieren würde, wäre die Wachstumsdynamik gestoppt, die Bewertung kaputt und die Blase Zukunftspapier geplatzt.

CW: Die offizielle Aussage aus Ihrem Haus lautet: "Die Bertelsmann AG geht nicht an die Börse, Tochtergesellschaften aber sehr wohl." Fürchten Sie die Instabilität der Online-Geschäftswelt? Glauben Sie, den Konzern nicht zu gefährden, sollten Ihre Tochterunternehmen an der Börse durchfallen?

EIERHOFF: Es geht hier nicht um Beträge aus der Portokasse. Wir reden über Anlaufverluste, die im Milliardenbereich liegen. Insofern können wir nicht mal eben so probieren. Die Alternative wäre eine Finanzierung des Internet-Markts aus dem Cash-flow des Konzerns, doch das ist bei dem Wachstumstempo des Zukunftsmarkts schlichtweg unmöglich.

Bertelsmann könnte vielleicht per annum um zehn bis 15 Prozent wachsen. Schauen wir uns aber unsere Mitbewerber an - und da reden wir nicht über die anderen Dicken wie Sony oder Time Warner, sondern die Startups - treffen wir auf dreistellige Wachstumsraten. Deshalb kann sich der Konzern damit nicht vergleichen, wohl aber Pixelpark, BOL, Travelchannel, Andsold und andere. Ihnen muß die Kapitalbildung an der Börse ermöglicht werden, damit sie ihr Wachstumstempo halten können.

CW: Zwar ist bekannt, daß Bertelsmann die Konkurrenz im eigenen Haus zum Nutzen des Konzerns einzusetzen weiß, doch die neuen Regeln im Online-Geschäft könnten auch angestammte Geschäftsfelder, etwa den Buchclub, wegputzen.

EIERHOFF: Jeder Geschäftsführer entscheidet bei uns über die Geschicke und Belange seines Aufgabenbereichs. Zugleich sind die Betriebe gehalten, sich bei Auftragsvergaben auch Dienstleistungsgebote im eigenen Konzern einzuholen. Ist das Leistungsprofil von Fremdfirmen besser, müssen sie die Freiheit haben, deren Angebot anzunehmen.

Das betrifft auch BOL und den Buchclub. Da gibt es eine gute Möglichkeit zu einem profitablen Miteinander. So könnte ein Online-Kunde feststellen, daß das gewünschte Buch in etwas anderer Aufmachung beim Buchclub preisgünstiger ist. Trifft das mehrfach zu, tritt er vielleicht dem Club bei. Auf der anderen Seite könnten BOL-Kioske, die in den Club-Centern stehen, dem Online-Handel Kunden zuführen und dem Club dafür Provisionen einbringen.

CW: Das Modell ist auf das Verhältnis von Einzel- und Online-Handel übertragbar?

EIERHOFF: Natürlich. Ich hätte nichts dagegen, wenn etwa Buchhändler in ihren Läden BOL-Kioske aufstellten. Wir hätten ein Zusatzgeschäft, und der Einzelhändler könnte seinen Kunden beispielsweise unser komplettes fremdsprachiges Repertoire anbieten.