Sinnvoll ist eine Migration nach BS2000 oder Unix

8890-Anwender müssen sich bald nach Alternativen umsehen

17.08.1990

Schlechte Aussichten für die Anwender der Nixdorf-Systeme 8890: Zwar garantieren die Paderborner die Wartung der Rechner und Betriebssysteme, "solange die Maschinen im Feld sind", doch Kapazitätsprobleme und mangelnde Servicequalität werden die Kunden voraussichtlich schon bald zwingen, nach Alternativen zu suchen. Winfried Berger* beschreibt den Status quo und die Perspektiven.

Bereits vor der Bekanntgabe des Zusammenschlusses mit Siemens zur SNI erklärte Nixdorf 1989 den Rückzug aus dem Großrechner -Bereich, also die Preisgabe der unter dem Namen 8890 vermarkteten Produktlinie. Diese Aussage kam damals auf Druck der Nixdorf-Benutzergruppe Nibeg zustande, die von dem Hersteller eindeutige Aussagen bezüglich der Weiterentwicklung dieses Systems forderte.

Kein Angebot für ein Hardwarewachstum

Damals verkündete Nixdorf die folgenden Entscheidungen:

- Einstellung der Entwicklung der Betriebssysteme, aber

- Wartungsgarantie für die Betriebssysteme bis Ende 1995 und

- Wartungsgarantie für die Hardware bis Ende 1995.

Nachdem Anfang 1990 feststand, daß Siemens einen Zusammenschluß mit Nixdorf durchführen wird und alle DV-Aktivitäten in die SNI übertragen werden wird, erhofften sich viele 8890-Anwender von SNI die Fortführung und Weiterentwicklung dieser Produktlinie. Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile hat sich die SNI zur künftigen Produktstrategie der Unternehmens geäußert.

Bevor die Situation der Nixdorf-8890-Kunden beschrieben wird, soll kurz auf die Entwicklung des Nixdorf-8890-Rechners zurückgeblickt werden: Nixdorf startete diese Hardwareserie 1980 mit den Modellen C-30 und C-50. Die Hardware wurde von dem israelischen Hersteller Elbit geliefert. Als Betriebssystem kam das VSE-kompatible "Nidos" zum Einsatz, das Nixdorf bei der Akquisition des US-Softwarehauses TCS eingekauft hatte.

Zielmarkt war zum einen sicherlich der vorhandene IBM-Markt (Ablösung), zum anderen richtete sich das Angebot auch an die großen Anwender der "geraden" 8870-Modelle, denen Nixdorf im oberen Bereich kein Angebot für ein Hardwarewachstum machen konnte.

Die 8890-Familie hatten die Paderborner damals eindeutig gegen die Hardwareserien 4331 und 4341 von IBM positioniert, und Nixdorf erhoffte sich ein großes Ablösegeschäft als sogenannter PCM-Anbieter. Die Listenpreise lagen nämlich 15 bis 20 Prozent unter den vergleichbaren IBM-Preisen.

Nixdorf trat also mit diesem Produkt als Konkurrent zu IBM in den /370 Markt ein. In der Folge führten die Paderborner mittelständische Unternehmen in den /370-Markt ein - zu bedeutend niedrigeren Kosten, als eine IBM-Hardware und ein IBM-Betriebssystemen sie verursacht hätten.

Im Jahre 1983 erwarb Nixdorf eine Lizenz des VM-Betriebssystems VM/ESX von dem US-Softwarehaus Spartakus. Fortan versuchte der Hardware-Anbieter, die Basic-Programme der Comet-Anwendungen für die "ungerade" 8870-Hardware unter VM/ESX ablauffähig zu machen.

Auf diese Weise sollte die 8890 zusätzlich die Wachstumsprobleme großer Comet-Anwender lösen. Im 8870-Bereich wuchs die Hardwarekapazität mit zehn bis 15 Prozent jährlich nur bescheiden, und dieses Wachstum wurde bei großen Anwendern durch die Installation von immer wieder neu verfügbaren Anwendungen bereits aufgezehrt.

Ab 1984 verkürzten sich jedoch die Entwicklungszyklen im /370-Markt enorm. So stellte die IBM in diesem Jahr die neuen Hardwaremodelle 4361 und 4381 vor. Nixdorf reagierte darauf mit der Ankündigung der Modelle C-12 bis C-72, die Leistungsverbesserungen mit sich brachten. Der Hardwarelieferant war immer noch Elbit.

Ein Jahr später kündigte IBM eine neue, stark modifizierte Betriebssystem-Version von VSE nämlich VSE/SP an. Die notwendige Nachentwicklung ist Nixdorf bis heute schuldig geblieben. Dafür kündigten die Paderborner Ende 1985 neue Hardwaremodelle an, die sogenannte D-Serie, die nicht mehr von Elbit, sondern von dem japanischen Computerhersteller Hitachi geliefert wurden. Nixdorf bezog die Hardware über Comparex, die EDV-Vertriebstochter von BASF und Siemens.

Auf der Hannover-Messe CeBIT kündigte Nixdorf 1986 endlich das neue Betriebssystem VM/ESX an. Mit diesem Betriebssystem war Comet unter einer ähnlichen Oberfläche wie auf der 8870 ablauffähig gemacht worden. Damit wollte Nixdorf die dritte Kundengruppe für die Vermarktung der 8890 auftun, nämlich die großen 8870-Comet-Kunden, die der Midrange-Welt der 8870 entwachsen waren.

Ende 1986, also nur ein Jahr, nachdem Nixdorf den Vertrieb aufgenommen hatte, stellte Hitachi die Produktion der von den Deutschen als 8890 vertriebenen Maschinen ein. Bei Hitachi liefen diese Rechner unter der Produktbezeichnung M 240.

Im Frühjahr 1987 kündigte die IBM in diesem Marktsegment eine neue Maschine an: die 9370. Damit drückte der US-Hersteller die Hardwarepreise enorm nach unten, und auch Nixdorf mußte die Preise erheblich senken.

Glaubt man den Angaben der Diebold-Veröffentlichungen, so ist Nixdorf mit dem Verkauf der Hardware insgesamt recht erfolgreich gewesen. Bis Anfang 1989 sollen rund 830 Systeme verkauft worden sein. Die Diebold-Statistik sieht wie folgt aus:

Jahr Installationen

1986 420

1987 540

1988 685

1989 830

Dabei kann ein durchschnittliches Hardware-Investitionsvolumen mit einer Million Mark veranschlagt werden. Allerdings bilden die Anwender dieser Systeme - wie bereits beschrieben - keine homogene Gruppe, es verbergen sich vielmehr drei sehr unterschiedliche Kundengruppen hinter diesen Installationszahlen, nämlich die Nidos-Anwender, die VM/ESX Benutzer (Comet-Aufsteiger) und die PCM-User (VSE-Gruppe).

Rückzug des Herstellers schafft große Probleme

Jede dieser unterschiedlichen Kundengruppen hatte eine andere Ausgangssituation und somit andere Beweggründe für die Entscheidung zugunsten der 8890. Und für jede dieser Gruppen entstehen aus dem 8890-Rückzug des Herstellers verschiedene Probleme, die unterschiedliche Lösungsansätze erfordern. Die speziellen Ausgangssituationen der einzelnen Gruppen führten im übrigen dazu, daß sich innerhalb der Benutzervereinigung Nibeg zwei Gruppen bildeten.

Die Aufteilung der Kunden auf die einzelnen Kundengruppen sieht etwa wie folgt aus: Die kleinste Gruppe dürften mit etwa 100 bis 120 installierten Systemen die VM/ESX-Anwender sein. Der Rest verteilt sich ungefähr gleichmäßig auf Nidos- und VSE-Benutzer, so daß es in jeder Gruppe etwa 350 Kunden gibt.

De-facto-Standard der IBM nie verlassen

Am leichtesten können diejenigen Kunden mit der heutigen Situation leben, die das komplette IBM-Betriebsystem-Umfeld auf der 8890 betreiben, also die Nixdorf-Maschine als kostengünstige Alternative zu den IBM-Rechnern installiert haben; dabei handelt es sich um die Gruppe der PCM-Kunden, die sich zum überwiegenden Teil aus Großkonzernen zusammensetzt.

Für diese Kundengruppe gibt es mehrere Alternativen am Markt: Angefangen vom Umstieg auf IBM-Maschinen der Serien 9370 bis 4381 über kompatible Rechner von HDS, Comparex oder Amdahl bis zu Anwendungskonvertierungen auf andere Betriebssysteme wie BS2000 oder Unix.

Der große Vorteil für diese Kunden liegt darin, daß sie bezüglich der Betriebssystem -Umgebung den von IBM vorgegebenen De-facto-Standard nie verlassen haben und deshalb nicht in eine Randgruppe geraten sind. Diese Anwender bewegen sich mit dem Betriebssystem VSE in einer Gruppe von etwa 36 000 Anwendern weltweit, für die auch außerhalb von IBM Software entwickelt wird.

Schwieriger ist das Problem für die Nidos-Kundengruppe; Sie benutzt nicht nur ein anderes Betriebssystem, sondern auch ein anderes Umfeld aus TP-Monitor, JCL, Spooling etc. Damit hat sich diese Gruppe definitiv vom Quasi-Standard entfernt. Dies wird den Kunden erst jetzt bewußt, da sie zu einer Konvertierung auf andere Betriebssysteme gezwungen sind.

Wie weit diese Anwender von VSE entfernt sind, zeigt die recht aufwendige Portierung in Richtung VSE-CICS, die sich kaum komplett maschinell durchführen läßt. Die Nidos-Anwender stehen also nicht nur vor einem Hardwarewechsel sondern müssen auch größere Konvertierungen im Betriebssystem Bereich durchführen.

Allein der Wechsel des TP Monitors - von TCP nach CICS stellt viele schon vor unlösbare Probleme. Zwar werden Konvertierhilfen angeboten, doch sind diese Werkzeuge keineswegs soweit ausgereift, daß die Umstellung gänzlich automatisch vollzogen werden kann. Der manuelle Aufwand ist meist vorher nicht absehbar.

Außerdem beschränken sich die Konvertierhilfen entweder nur auf Cobol oder nur auf CPG, so daß viele Kunden zwei verschiedene Tools benötigen Einige Anwender werden sicherlich diesen Aufwand scheuen und deshalb versuchen, den TP-Monitor TCP (Shadow) unter VSE weiterzubetreiben. Die se Kunden sollten allerdings beachten, daß sie sich damit wiederum in eine Randgruppe begeben; in Deutschland gibt es nur etwa 100 Shadow-Installationen .

Umorientterung hin zu anderen Systemwelten

Interessant und untersuchenswert sind in diesem Zusammenhang jedoch die Ansätze von Siemens oder HP, die Anwendungen nach BS2000 beziehungsweise Unix zu portieren. Der Kunde sollte jedoch unbedingt vor einer Umstellung seine gesamte DV-Entwicklung durchleuchten und versuchen, eine neue Positionierung seiner DV einschließlich der Anwendungen vorzunehmen.

Erstaunlich ist auch, daß ein Großteil der 8890 Kunden in einem Umsatzbereich liegen, der kleiner als 100 Millionen Mark ist. Für diese Kundengruppe ist eine Marktanalyse und die eventuelle Umorientierung hin zu anderen Systemwelten wie Unix, VMS oder BS2000 sicherlich prüfenswert. Nicht nur die reinen Umstellungskosten sollten dabei beachtet werden, sondern auch die laufenden Kosten sowie die Leistungsfähigkeit und Vielfalt der zur Verfügung stehenden Software.

Viele dieser Kunden hatten sich von Nixdorf in der Vergangenheit über eine Konvertierung von der 8870 in die heutige DV-Architektur führen lassen, ohne daß ihm immer klar gewesen wäre, daß dieser Weg in die 1370-Architektur führte. Damals wurde wahrscheinlich so argumentiert, daß dies der kostengünstigste Weg sei, um die Investitionen in die Anwendungen zu erhalten. Im nachhinein betrachtet, erscheint es fraglich, ob dieser Weg tatsächlich der kostengünstigere war. Denn diese Kunden stehen heute mit einem Bein fest in der /370-Welt, und IBM erwartet sie freudig.

Die letzte und kleinste Kundengruppe, auf die einzugehen ist, besteht aus den VM/ESX-Anwendern, sprich: Comet-Benutzern. Diese Gruppe hat die größten Probleme mit dem Gesamtumfeld, denn Nixdorf hat hier eine eigene Anwendungssoftware, die für das Midrange-System 8870 unter dem Betriebssystem Niros konzipiert war, auf einem /370 -Betriebssystem ablauffähig gemacht.

Es ist erstaunlich, daß Nixdorf dieses Kunststück überhaupt gelungen ist. Leider hat der Anbieter die Folgeprobleme bei dieser Entwicklung wohl nicht erkannt: Comet wurde auf der Basis der 8870 ständig weiterentwickelt, und so hatten die Entwickler der Emulation auf der 8890 nicht nur mit den Fehlern zu kämpfen, sondern mußten zusätzlich ständig die Neuerungen nachtragen. Große Probleme bereitet auch noch die Datennachbildung von Basic unter Niros (Gleitkomma-BCD Format) auf der 8890. (Vergleiche auch CW Nr. 28 vom 15. Juli 1990, Seite 8: "Comet: Ein Produkt am Ende seines Life-Cycles").

Neben den Anwendern, die die Standardsoftware Comet nutzen, gibt es eine kleinere Gruppe, die eine individuelle Lösung in Basic entwickelt hat oder entwickeln ließ. Diese Kunden haben grundsätzlich dieselben technischen Probleme wie die 8890-Comet-Anwender, sie wollen oder müssen ihre Investitionen in die Software ebenfalls retten.

Für diese Kundengruppe stehen nun verschiedene Lösungsansätze zur Verfügung. Der erste Vorschlag lautet: Portierung nach Unix. Leider gibt es hier zur Zeit keine fertige Lösung am Markt. Das Produkt des Anbieters SAM für die Portierung von Basic-Anwendungen unter 8870 auf Unix-Systeme läßt sich jedoch schnell an die veränderten Bedingungen der 8890 anpassen.

Gravierende Änderungen im Comet-Programm

Diese Lösung werden vor allem solche Kunden suchen, die überwiegend Individualsoftware einsetzen oder gravierende Änderungen im Comet vorgenommen haben. Offen sind hier immer noch die lizenzrechtliche Frage und das Wartungsthema.

Die Alternative heißt völlige Neukonzeption. Dies ist sicherlich die schwierigere Entscheidung, doch erfordern besondere Situationen oft kreative Entscheidungen. Hier gilt es, eine neue Software zu finden, die vom Leistungsumfang die Comet-Lösung abdeckt und außerdem neuere Technologie nutzt oder nutzbar macht. Eine Eins-zu-eins-Ablösung wäre sicherlich als Rückschritt zu werten.

Offen bleibt, was SNI diesen Kunden konkret anbieten wird. Sicherlich kann niemand die Entscheidungen des Anbieters vorwegnehmen, folgende Fragen sollen jedoch einige Denkanstöße geben:

- Stellt die 8890 eine zukunftsträchtige Produktserie mit einem Leistungsumfang dar, den Siemens heute nicht mit eigenen Produkten abdecken kann?

- Ist es wirtschaftlich sinnvoll, für etwa 100 Kunden ein eigenes Betriebssystem zu erhalten (VM/ESX)?

- Ist es aus Sicht des Herstellers (Kosten) und aus Sicht der Kunden (Zukunftssicherheit, Leistungsfähigkeit, Offenheit) sinnvoll, eine Konvertierung von Nidos nach BS2000 vorzunehmen?

Die Beantwortung dieser Fragen zeigt schnell, daß es keineswegs im Sinne des Anbieters sein kann, zwei weitere Betriebssysteme zu warten und zu pflegen. Die Kosten für die Erstellung eines Konvertier-Tools von Nidos nach BS2000 rechnen sich schnell, wenn dadurch die Nidos-Wartung früher eingestellt werden kann.

Mit der bis 1995 garantierten Wartung können die Anwender schließlich auch nicht glücklich werden, da sie früher oder später an Kapazitätsgrenzen stoßen werden und spätestens dann gezwungen sind, sich nach Alternativen umzuschauen. Ferner dürfte der Support immer schlechter werden, weil auch innerhalb von SNI niemand mehr mit einem "totgesagten" Betriebssystem arbeiten will.

Daraus ergibt sich vielleicht eine andere, viel gravierendere Frage, nämlich die, wie lange denn der Anwender noch den dringend benötigten Support von SNI bekommen kann. Hier ist der Hersteller gefordert, den Anwendern endlich reinen Wein einzuschenken und klare Konzepte vorzulegen.