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Krebskranke Ex-Mitarbeiter klagen gegen IBM

26.09.2003

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Klage mehrerer ehemaliger IBM-Mitarbeiter sowie der Angehörigen einer mittlerweile verstorbenen Kollegin gegen Big Blue könnte Sprengstoff für die gesamte Chip-Industrie in sich bergen. In einer Anhörung vor einem Gericht in San Jose muss Richter Robert Baines entscheiden, ob er die Klage zulässt. In dieser wird die IBM beschuldigt, ihren in Halbleiterfabriken arbeitenden Mitarbeitern verschwiegen zu haben, dass sie dort gesundheitsgefährdende Substanzen einsetzt. Diese seien für teilweise seltene Formen von Krebserkrankungen auch bei jungen Menschen verantwortlich. Sollte Baines die Klage zulassen und diese auch noch erfolgreich sein, könnten sich hieraus erhebliche Konsequenzen für die IT-Produktionsbranche ergeben.

Allerdings haben der weltgrößte Chiphersteller Intel sowie Infineon bereits ausgedrückt, sie würden einer möglichen Klage gelassen entgegensehen. In ihren Produktionsstätten würden höchste Sicherheitsvorkehrungen eingehalten, um Mitarbeiter vor schädlichen Substanzen zu schützen. Suzanne Rubio hatte nach einem Bericht des "Wall Street Journal" in einer IBM-Fertigung fünf Jahre lang Festplatten zusammengebaut und geprüft. Dann diagnostizierten Ärzte bei ihr einen Hirntumor. Sie arbeitete noch zwei Jahre, unterzog sich gleichzeitig einer medizinischen Behandlung, starb aber 1991.

Ihre Verwandten sowie weitere betroffene ehemalige IBM-Angestellte haben nun Klage gegen Big Blue eingereicht. Sie beschuldigen das Unternehmen, sie nicht nur den krebserrregenden Substanzen ausgesetzt zu haben, sondern sie über die Gesundheitsrisiken auch belogen zu haben. IBM sagte, die Klage sein ohne Substanz und müsse abgewiesen werden. Eingereichten Unterlagen zufolge traten bei Hunderten von IBM-Mitarbeitern im Alter zwischen 30 und über 50 Jahren zum Teil seltene Krebsausprägungen auf. IBM selbst führte eine "Unternehmens-Mortalitätsliste", in der Big Blue die Tode von 30 000 Mitarbeitern dokumentiert. Diese Liste, so IBM, sollte allerdings nur die Unterstützungsforderungen von Hinterbliebenen erleichtern helfen.

Experten sind sich uneinig darüber, ob man zwischen dem Einsatz toxischer Mittel etwa in Halbleiterproduktionsstätten und dem Ausbruch von Krebserkrankungen einen Zusammenhang herstellen kann. Richard Clapp, ein Wissenschaftler, der über die Entstehung und Verbreitung von Krankheiten an der Boston University forscht, hat die Mortalitätsliste für die Klageführenden überprüft und gesagt, die Aufzeichnungen zeigten eine signifikant erhöhte Zahl von Krebstoten unter jungen Arbeitern. IBM hätte, so der Epidemiologist weiter, diesen Trend bereits seit 1975 bei Männern und ab 1985 auch bei Frauen entdecken können. Die IBM-Mitarbeiter waren Trichloräthylen, Cadmium, Toluol, Benzol und Arsen ausgesetzt, schreibt das "Wall Street Journal".

Alan Bender, Epidemiologist am Minnesota Department of Health, vertritt hingegen die Meinung, dass zu viele andere Faktoren die Ursachenforschung erschweren würden. Die Klage berücksichtige etwa nicht die Frage, inwieweit Kläger auch durch Rauchen gegebenenfalls gesundheitliche Schäden davontrugen. Auch etwaige genetische Dispositionen könnten Schuld an einer Krebserkrankung sein. Bender, der nicht mit IBM in einem Interessenverhältnis steht, urteilte über die Analyse Clapps, sie beweise lediglich, dass "Statistiken zu nichts taugen." (jm)