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Sapphire 2003: Henning Kagermann rechnet weiter mit schwierigen Zeiten

SAP rennt seinen Kunden davon

27.06.2003
SAP will mit erweiterten Produkten, neuen Vertriebspartnern und als Konstante im Markt neue Kunden gewinnen. Doch ohne deren Entlastung vom Kostendruck wird jede noch so interessante Technik zum Ladenhüter.

ORLANDO (COMPUTERWOCHE) - SAP hofft, mit Produkterweiterungen, neuen Vertriebskooperationen und als Helfer gegen die allgemeine Verunsicherung im Markt neue Kunden zu gewinnen. Doch so schlüssig sich die Konzepte auf der Kundenmesse "Sapphire" auch anhörten - wenn es nicht gelingt, die Kunden vom Kostendruck zu entlasten, wird jede noch so interessante Technik zum Ladenhüter.

"Ich gehe davon aus, dass die Verunsicherung im Markt weiter andauern wird." Mit dieser Prognose eröffnete Henning Kagermann, Vorstandssprecher von SAP, die diesjährige Sapphire, die vom 16. bis 18. Juni in Orlando, Florida, stattfand. Viele Unternehmen würden ihre IT-Budgets weiter kürzen, sagte er den zahlreich erschienenen CIOs, die im Orange Convention Centre am Rande Orlandos seiner Rede zuhörten. Dabei räumt der SAP-Chef ein, die Situation selbst falsch eingeschätzt zu haben: "Ich dachte, wenn wir ein paar Monate warten, werden die Zeiten besser. Aber ich habe falsch gelegen." Angesichts dieser schwierigen Ausgangslage versucht Kagermann, den deutschen Softwarehersteller als verlässlichen Partner darzustellen, der seinen Kunden dabei helfen könne, Kosten zu senken und Geschäftsvorteile zu erzielen.

SAP will keine Marktanteile kaufen

Mit dem Hinweis auf Vertrauen und Investitionssicherheit versuchte Kagermann auch, potenzielle Kunden zu locken, die von den anhaltenden Übernahmequerelen rund um Oracle, Peoplesoft und J. D. Edwards irritiert sind. "Wir hoffen, zeigen zu können, dass es Alternativen im Markt gibt." Ein möglicher Merger der Konkurrenten bereite ihm keine Kopfzerbrechen. Sollte es Oracle gelingen, Peoplesoft zu schlucken, hätte dies kaum Auswirkungen auf das SAP-Geschäft. Zusammen hielten beide Wettbewerber nicht einmal die Hälfte der weltweiten Marktanteile von SAP. Für die Walldorfer selbst kämen Übernahmen in dieser Größenordnung nicht in Frage: "Wir kaufen uns keine Marktanteile."

Doch während im Vorfeld der Sapphire SAP-Verantwortliche wie Shai Agassi getönt hatten, es würden sich Scharen enttäuschter Peoplesoft-Kunden in Orlando melden, schlug die Unternehmensspitze auf der Veranstaltung selbst leisere Töne an. Applikationen vom Kaliber Peoplesofts oder Oracles würden nicht von heute auf morgen abgelöst. Außerdem seien die Äußerungen Agassis so zu verstehen, dass zahlreiche Kunden neben SAP-Applikationen auch Peoplesoft-Produkte im Einsatz hätten. Diese seien auf der Sapphire eben auch zahlreich vertreten.

Kagermann appellierte an die Anwender, mehr Mut zu technischen Innovationen aufzubringen. Um diese zu finanzieren, müssten die IT-Budgets anders aufgeteilt werden als bisher. Würden bislang rund zehn Prozent in Innovation, 30 Prozent in Konsolidierung und 60 Prozent in den laufenden Betrieb fließen, sollten künftig 40 Prozent für Innovationen, 20 Prozent für Konsolidierung und 40 Prozent für den Betrieb aufgewendet werden.

Scharf geht der SAP-Chef mit dem Thema Konsolidierung ins Gericht. "Konsolidierung hat keinen Wert für das Geschäft", urteilt Kagermann. Damit räume man lediglich den Unrat auf, der sich in der Vergangenheit angehäuft habe. "Statt etwas zu bewegen, paralysiert das die Unternehmen." Die Hoffnung, mit Hilfe von Enterprise-Application-Integration-(EAI-) Tools die anstehenden Integrationsaufgaben zu lösen, sei trügerisch. Vielmehr würden die Anwender damit die Komplexität der eigenen IT-Infrastruktur weiter erhöhen.

Mit diesem sicher nicht ganz uneigennützig gemeinten Ratschlag verweist Kagermann auf die SAP-eigene Integrationsinfrastruktur. Kosten ließen sich am besten dadurch senken, alles aus einer Hand zu kaufen - am besten natürlich von SAP. Botschaften wie diese kannten die Anwender bisher vor allem von Oracle-Chef Larry Ellison, während SAP stets die Offenheit und Integrationsfähigkeit seiner Plattform betont hatte. Die Softwarearchitektur für die Koexistenz mit Lösungen anderer Hersteller fasst SAP in der "Enterprise Services Architecture" (ESA) zusammen. Im Zentrum steht dabei die "Netweaver"-Plattform. Hier integrieren die Walldorfer Funktionen wie das Portal, Business Intelligence, Knowledge-Management und Data-Master-Management. Konkurrierende Plattformen wie IBMs Websphere oder Microsofts .NET sollen sich über Standards wie Web-Services einbinden lassen. Auf Netweaver baut das weitere Applikationsportfolio von SAP auf. Dazu zählen die "Mysap Business Suite"

sowie Einzelprodukte wie Customer-Relationship-Management- und Supply-Chain-Management-Lösungen.

Mit CRM und SCM haben die einzigen Neuerungen aus dem Produktbereich zu tun, die auf der Sapphire vorgestellt wurden. Allerdings beziehen sich diese weniger auf Funktionen als auf die Anpassung an bestimmte Industrien. So unterstützt CRM, Version 4.0, nun 23 verschiedene Industriezweige mit insgesamt 280 End-to-End-Geschäftsprozessen. Die überarbeitete SCM-Lösung wurde an 20 neue Prozessketten angepasst und bietet Erweiterungen für 30 bereits bestehende Prozesse.

Kagermann: Die Starken werden stärker

Mit dem auf Integration ausgelegten Produktportfolio will SAP-Chef Kagermann weiter Marktanteile gewinnen. "Die Starken werden stärker", prognostizierte der studierte Physiker. Die jüngsten Zahlen der Analysten scheinen ihn zu bestätigen. Gartner zufolge gelang es SAP im vergangenen Jahr, in den Segmenten CRM, SCM sowie dem Kerngeschäft Enterprise Resource Planning (ERP) im Vergleich zur Konkurrenz Marktanteile zu gewinnen. Als Alarmsignal ist jedoch zu werten, dass die weltweiten Umsätze 2002 in allen drei Segmenten einbrachen. So gingen die Lizenzeinnahmen für neue ERP-Software um neun Prozent auf fünf Milliarden Dollar zurück. In den Bereichen SCM und CRM verdienten die Hersteller sogar 20,5 beziehungsweise 25 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.

Angesichts der ernüchternden Marktzahlen sowie der rückläufigen Lizenzeinnahmen, die SAP in der letzten Quartalsbilanz auswies, verlässt sich der deutsche Softwarekonzern künftig verstärkt auf Partner, um Neukunden zu finden. Dabei setzen die Walldorfer auf einen Schmusekurs mit einstigen Konkurrenten. Erklärte Ex-Chef Hasso Plattner noch im vergangenen Jahr, die wirkliche Bedrohung SAPs gehe von Microsoft und IBM aus, wurden beide Unternehmen auf der diesjährigen Sapphire als wichtige Verbündete präsentiert. So demonstrierte beispielsweise SAP-Vorstandsmitglied Agassi zusammen mit Eric Rudder, Senior Vice President für .NET bei Microsoft, wie sich mit wenigen Mausklicks .NET-basierende Applikationen in die SAP-Infrastruktur integrieren lassen.

IBM vertreibt SAP-Pakete

Mit IBM vereinbarten die Walldorfer ein Vertriebsabkommen für ihre Mittelstandspakete "All-in-One" und "Business One". Danach sollen IBM und seine Partner branchenindividuell angepasste SAP-Pakete verkaufen. Betrieben mit 50 bis 100 Mitarbeitern sollen zum Beispiel vorkonfigurierte Lösungen zwischen 450.000 und 500.000 Dollar angeboten werden. Darin enthalten sind bereits die Kosten für die Implementierung. Gartner-Analystin Yvonne Genovese geht davon aus, dass SAP mit diesem Angebot und weltweit über 90.000 IBM-Partnern die Präsenz seiner als zu teuer verschrienen Lösungen im Mittelstand verbessern könne. Während sich in diesem Bereich die Lizenzkosten kaum noch unterschieden, seien viele Kunden in der Vergangenheit vor dem hohen Implementierungsaufwand der SAP-Lösungen zurückgeschreckt.

Aufruhr unter den Partnern?

Ob sich IBM reibungslos in die SAP-Welt integriert, bleibt indes abzuwarten. Experten mutmaßen, dass der Deal für einigen Aufruhr unter den bestehenden SAP-Partnern sorgen wird. Da die Walldorfer jedoch inzwischen einen schärferen Ton den Partnern gegenüber anschlügen und diese sich in der aktuell schwierigen Situation kaum Ärger mit SAP leisten könnten, sei mit offenem Aufruhr nicht zu rechnen. IBM wird sich dagegen kaum gängeln lassen. Außerdem ist die Vertriebsvereinbarung nicht exklusiv. So vertreibt IBM beispielsweise auch die Produkte von Peoplesoft. Hier bleibt die Frage, inwieweit IBM einen Anbieter wie Peoplesoft favorisiert, der sich aus dem Infrastrukturgeschäft heraushält und auf Websphere als Integrationsplattform setzt.

Analysten beurteilen die Bemühungen von SAP, sich in einzelnen Märkten zu behaupten, unterschiedlich. So sei es den Walldorfern gelungen, im Bereich CRM gegenüber Marktführer Siebel Boden gutzumachen, bemerkte Gartner-Analyst Rob DeSisto. Mit der Netweaver-Plattform biete SAP einen technischen Integrationsansatz, an dem sich die anderen Softwareanbieter orientieren müssten, lobte auch Jennifer Chew, Analystin von Forrester Research. Und nach Einschätzung von Bruce Richardson von AMR Research kann SAP angesichts der Unruhen im Markt während der nächsten zwei Jahre gar nicht verlieren.

Andere Experten warnten dagegen, SAP sei mit seinen Visionen einem Großteil seiner weltweit über 19.000 Kunden weit voraus. Die meisten seien mit anderen Problemen beschäftigt. Viele wollten zum Beispiel im Laufe des Jahres zumindest auf die R/3-Version 4.6c migrieren, da am 31. Dezember 2003 der Support für ältere Versionen ausläuft. Allerdings könnte dieser Termin angesichts wachsender Kundenwiderstände bröckeln. So erklärte SAP-Vorstandsmitglied Gerhard Oswald vor kurzem im CW-Gespräch, man könne die Wartungsverträge nicht so einfach auslaufen lassen, sollten die Anwender kein Geld für einen Release-Wechsel haben.

Auch die Finanzanalysten sind zwiegespalten. Während Knut Woller von der HVB Equity Research angesichts der Verunsicherung im Markt auf SAP als sicheren Hafen für die Kunden setzt, warnen die Analysten der Vereins- und Westbank vor unsicheren Marktbedingungen. Sie sehen keine Erholung des Softwaremarktes und gehen deshalb davon aus, dass SAP nicht die Umsatz- und Überschussmarken des Vorjahres erreichen wird. Daher raten sie: Verkaufen. (ba)