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AOLs Chairman Steve Case tritt unter Druck zurück

13.01.2003
Mit Steve Case tritt auch der letzte hochrangige AOL-Manager von seinem Posten bei AOL Time Warner zurück. Damit gewinnen nach dem Platzen der Internet-Blase die "alten Medien" wieder die Oberhand.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nachdem er in den vergangenen Monaten unter wachsenden Druck durch sowohl Aktionäre als auch den Vorstandskollegen geraten war, hat Steve Case (44) seinen Rücktritt als Chairman (Verwaltungsratsvorsitzender) von AOL Time Warner mit Wirkung zum Mai dieses Jahres angekündigt. Case wird dem Medienriesen aber auch weiterhin als Director zur Verfügung stehen.

Cases Abgang beendet die kurze und unrühmliche Herrschaft von America Online (AOL) über Time Warner. Was anfangs als Siegeszug des Internet-Zeitalters gewertet wurde, entpuppte sich rasch als Fehler, nachdem AOLs Wachstum ins Stocken geriet und die unterschiedlichen Unternehmenskulturen zu heftigen internen Querelen führten. Der Aktienkurs von AOL Time Warner litt in den vergangenen zwei Jahren erheblich, das Unternehmen büßte in diesem Zeitraum fast 200 Milliarden Dollar Marktwert ein.

Das Schicksal von AOL Time Warner liegt nun allein in Händen von CEO (Chief Executive Officer) Richard Parsons (53). Für diesen könnte der Rückzug des AOL-Gründers den Weg für einschneidendere Restrukturierungsmaßnahmen ebnen - denkbar wären eine Wiederausgliederung von America Online oder die Streichung von AOL aus dem Firmennamen.

Als einer der wichtigsten Drahtzieher beim Absägen von Steve Case gilt laut "Wall Street Journal" Gordon Crawford, Manager bei AOLs größtem institutionellen Anleger Capital Group. Crawford, dem unter anderem beste Beziehungen zu Ted Turner (Vice Chairman AOL) und John Malone (Chairman Liberty Media) nachgesagt werden, hatte Cases Ablösung in den vergangenen Monaten mit Macht forciert. Im Jahr 2000 gehörte der Capital-Group-Mann noch zu den ausgesprochensten Befürwortern der Fusion von AOL und Time Warner, änderte aber später seine Meinung unter anderem nach Meldungen über AOLs umstrittene Bilanzierungspraxis. Er drohte Case an, mit dem 7,6-prozentigen Anteil seines Unternehmens bei dessen nächster Hauptversammlung gegen ihn zu stimmen. Noch ist unklar, ob Capital Group auch gegen einen Verbleib von Case im Board votieren wird.

Der drohenden Aktionärsstreit war offenbar einer der Gründe, die Case zu seiner Entscheidung bewogen. "Es bestand die Möglichkeit, dass die Diskussion wieder hochkochen würde, je näher wir dem Mai kommen, und das Unternehmen kann sich derzeit keine Ablenkung leisten", erklärte Case. Er habe über die Feiertage nachgedacht und sei zu dem Schluss gekommen, dass er besser abtrete, auch wenn er im Verwaltungsrat noch überwältigen Rückhalt gehabt habe, sein Amt weiterzuführen.

Board-Mitglied Franklin Raines, hauptberuflich Chairman und CEO von Fanny Mae, erklärte, es habe am Rande einer Sitzung zwar Gespräche darüber gegeben, dass große Anleger den Rücktritt von Case forderten. Dieser habe seinen Job aber bestens erledigt. Als möglichen Nachfolger brachte Raines CEO Parsons ins Spiel. Diese Besetzung ist aber nicht unbedingt selbstverständlich, weil die populäre Praxis, beide Ämter in Personalunion zu besetzen, durch die Bilanzskandale der jüngeren Vergangeheit zunehmend in der Kritik steht. Auch Ted Turner lobte Case und äußerte sich erfreut darüber, dass dieser weiterhin im Board bleiben wolle. "Ich bewundere Steve Cases Entscheidung, unser Unternehmen und seine Mitarbeiter vornanzustellen", so Turner.

Der in Honolulu auf Hawaii geborene Case gründete den Online-Dienst America Online im Jahr 1985 und baute ihn über die Jahre bis zum mit mehr als 35 Millionen Kunden größten Internet Service Provider (ISP) weltweit auf. Mit dem in der Hochphase des Internet-Booms überbewerten Aktien seines Unternehmens verleibte er sich vor drei Jahren den "klassischen" Medienkonzern Time Warner ein. Der Deal hatte seinerzeit ein Rekordvolumen von 156,14 Milliarden Dollar. Das resultierende Gemeinschaftsunternehmen kam in Spitzenzeiten (im Mai 2001) auf rund 260 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung; inzwischen ist der Börsenwert auf 66,5 Milliarden Dollar gefallen.

Mit Case verliert auch der letzte Architekt der Time-Warner-Übernahme seine Führungsposition bei AOL Time Warner. Vor gut einem Jahr trat Gerald Levin als CEO des Gemeinschaftsunternehmens zurück, nachdem er sich mit Case überworfen hatte; im vergangenen Sommer ging auch der frühere AOL-President Robert Pittman, der aus der Time-Warner-Ecke zunehmend unter Druck ob seines Management-Gebarens geraten war. Einen neuen Job braucht sich Steve Case übrigens nicht ernsthaft zu suchen - er besitzt der letzten Pflichtveröffentlichung bei der US-Börsenaufsicht zufolge 11,5 Millionen AOL-Aktien und 18,3 Millionen Anteilsoptionen; allein die Aktien sind beim aktuellen Kurs gut 170 Millionen Dollar wert. (tc)