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Rettet der Tablet PC die Branche?

07.11.2002
Microsoft und zahlreiche Hardware-Partner rufen heute den Tablet PC als "Evolution des Notebooks" aus. Dataquest rechnet aber aus mehreren Gründen zunächst mit verhaltener Nachfrage.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Heute stellt Microsoft gemeinsam mit zahlreichen Hardwarepartnern - im Prinzip allen namhaften Notebook-Herstellern mit Ausnahme von IBM und Dell - den so genannten Tablet PC vor, der zunächst als "Evolution des Notebooks" für vor allem Unternehmensanwender vermarktet wird.

Von einem Rechner, der Papier und Bleistift wirklich ersetzen kann, träumt Microsoft-Gründer und Chief Software Architect Bill Gates seit Jahrzehnten. Nun ist - nach mehreren vergeblichen Anläufen der Vergangenheit - aus seiner Sicht die Zeit reif, Hard- und Software leistungsfähig genug für ein solches Konzept. Dass die Anwender dies genauso sehen, ist weniger wahrscheinlich, auch wenn die Hersteller neuen Schwung im Markt mehr als dringend gebrauchen könnten.

Was ist denn eigentlich ein Tablet PC?

Toshibas "Portégé 3500" ist ein typischer "Convertible".
Toshibas "Portégé 3500" ist ein typischer "Convertible".

Was verbirgt sich denn nun genau hinter dem neuen Gerätetyp Tablet PC? Um es kurz zu machen: Es handelt sich im Prinzip um ein Notebook, bei dem hinter dem Display ein Digitizer angebracht ist, der wie ein Grafiktablett funktioniert (es handelt sich also nicht um einen berührungsempfindlichen Touchscreen). Mithilfe eines speziellen Stiftes kann der Benutzer auf dem Bildschirm schreiben und Steuerelemente des Betriebssystems bedienen. Hardwareseitig gibt es zwei wichtige Formfaktoren - den "Convertible" mit integrierter Tastatur, dessen Bildschirm sich für den reinen Tablet-Einsatz um 180 Grad drehen lässt, und ein reines Tablett ("Slate"), bei dem sich Tastatur und sonstiges Zubehör nur über eine Docking-Station anschließen lassen.

Softwareseitig steuert Microsoft dazu eine spezielle Version von Windows XP bei. Diese unterscheidet sich von der normalen durch eine sprachspezifische Handschrifterkennung - eine deutsche Engine erkennt also keine englische Schrift - und Zusatzfunktionen für den Umgang mit "digitaler Tinte". In der Schrifterkennung stecken rund vier Jahre Entwicklungszeit, und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen: Auch die letzte "Sauklaue" entziffert die Software fast fehlerlos, ohne dass man sie zuvor trainieren, also an die eigene Schreibe gewöhnen müsste - das weitaus Beste, was wir in diesem Bereich bislang gesehen haben.

"Digitale Tinte" braucht passende Software

Hinter der digitalen Tinte verbirgt sich die Möglichkeit, Notizen und Zeichnungen in ihrer ursprünglichen handschriftlichen Form auf dem Rechner zu bearbeiten oder an andere Tablet-PC-Besitzer zu versenden - wer ein herkömmliches Windows verwendet, muss sich dann allerdings mit Grafiken begnügen. Die digitale Tinte dagegen ist mehr als eine Grafik - ihre Inhalte werden in Echtzeit digitalisiert, sodass Betriebssystem und entsprechend angepasste Software den Inhalt erkennen können, ohne ihn in die bislang übliche "Times-New-Roman-Form" umwandeln zu müssen (was aber selbstverständlich möglich ist).

Das "Windows Journal" aus Windows XP Tablet PC Edition verwaltet handschriftliche Notizen des Benutzers.
Das "Windows Journal" aus Windows XP Tablet PC Edition verwaltet handschriftliche Notizen des Benutzers.

Die Nutzung dieser Technik mit sicher noch weitgehend ungeahnten Möglichkeiten erfordert allerdings auch speziell angepasste Anwendungssoftware. Microsoft selbst stellt entsprechende Erweiterungen zunächst für seine aktuelle Bürosuite "Office XP" bereit - als kostenlosen Download zwar, aber die zahlreichen Anwender älterer Office-Releases bleiben außen vor. Genauso wie - vorerst - die des hauseigenen Browsers "Internet Explorer", bei dem man Web-Adressen nicht handschriftlich eingeben kann (allerdings bietet Windows XP Tablet Edition als "Krücke" auch eine Bildschirmtastatur).

Zum heutigen Start kündigten darüber hinaus bereits namhafte ISVs (Independent Software Vendors) Tablet-PC-fähige Anwendungen an - Adobe Systems etwa will in einer kommenden Version des "Acrobat Reader" die digitale Tinte unterstützen, und SAP plant ein Release von "mySAP.com CRM", das handschriftliche Eingaben in Dokumentenfelder gestattet. Daneben gibt es auch schon eine Reihe von Tools von Grafikspezialisten wie Corel oder Alias Wavefront sowie verschiedene vertikale Lösungen.

Dataquest: Der Run kommt erst in einigen Jahren

Obwohl Microsoft und seine Partner eine Menge Hoffnung auf den Tablet PC setzen, glauben die Marktforscher von Gartner Dataquest nicht, dass die neue Hardware so bald reißenden Absatz finden wird. In ihrem Research Paper "Tablet PC is coming, but slowly" prognostizieren sie für das Jahr 2003 verkaufte Stückzahlen von 425.000 Einheiten, das wären 1,2 Prozent des weltweiten Notebook-Markts. Als mögliche Hemmschuhe führen die Auguren zuvorderst die hohen Gerätepreise um die 2000 Dollar an, dazu kämen noch mangelnde Anwendungsunterstützung sowie plumpe ["clumsy"] Hardware-Designs, die zusammengenommen wahrscheinlich außer den technikverliebtesten Early Adopters die meisten Anwender abschrecken dürften.

Selbst in vertikalen Nischenmärkten, wo heute bereits stiftgesteuerte Rechner im Einsatz seien, würden die meisten Firmen sicher erst ein bis zehn verschiedene Tablet-PC-Modell sechs bis neun Monate lang testen, bevor sie irgendwelche größeren Stückzahlen bestellten, mutmaßt Dataquest. Längerfristig werde der Tablet PC aber seinen Weg machen, glauben die Experten: Im Jahr 2007 sollen wenigstens 35 Prozent aller Notebooks Screen-Digitizer und wegdrehbare oder abnehmbare Tastaturen aufweisen. (tc)