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Dubiose Transaktionen bei SER Systems

21.06.2002
Angesichts der drohenden Insolvenz wollten Vorstand und Aufsichtsrat der SER Systems AG wesentliche Vermögensteile leitenden Mitarbeitern zuschachern. Aktionärsschützer sprechen von Bilanzmanipulationen und Täuschung der Anleger.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Angesichts der drohenden Insolvenz wollten Vorstand und Aufsichtsrat der SER Systems AG wesentliche Vermögensteile leitenden Mitarbeitern zuschachern. Das Landgericht Koblenz verbot die fragwürdigen Management Buyouts per einstweiliger Verfügung. Trotzdem veräußerte SER zwischenzeitlich das gesamte US-Geschäft. Aktionärsschützer sprechen von Bilanzmanipulationen und Täuschung der Anleger.

SER-Gründer Gert Reinhardt gab vor Gericht zu, die Aktionäre belogen zu haben.
SER-Gründer Gert Reinhardt gab vor Gericht zu, die Aktionäre belogen zu haben.

Die Pleite des fünftgrößten deutschen Softwareunternehmens scheint kaum noch abwendbar. Als das Management im Februar überraschend eine katastrophale Bilanz vorlegte, dämmerte Anlegern und Kunden, wie ernst die Lage wirklich ist. Bei einem Umsatz von 149 Millionen Euro schrieb der einst hochgelobte Spezialist für Dokumenten-Management-Systeme (DMS) 163 Millionen Euro Verlust für das Jahr 2001.

Flugs präsentierten Vorstand und Aufsichtsrat einen vermeintlichen Rettungsplan: Über zwei Management-Buyouts (MBOs) wollten sie fast das gesamte Konzernvermögen an leitende Manager veräußern. Nur so lasse sich die drohende Insolvenz abwenden, erklärten sie den verunsicherten Aktionären. Auf einer eilig einberufenen Hauptversammlung (HV) am 26. April gaben die ihr Plazet. Doch am 4. Juni untersagte das Landgericht Koblenz die Übertragung der Vermögenswerte.

Die HV-Beschlüsse "sind gesetzwidrig zustande gekommen und deshalb nichtig", heißt es in der Urteilsbegründung, die der CW vorliegt. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatten die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre e.V. (SdK) und weitere Anteilseigner gestellt, "um die vom Vorstand und Aufsichtsrat beabsichtigten dubiosen Finanztransaktionen zu stoppen".

Die wirtschaftliche Schieflage des ehemaligen Vorzeigeunternehmens am Neuen Markt hatte sich Ende 2001 dramatisch zugespitzt. Wegen offenkundiger Liquiditätsprobleme forderten die Gläubigerbanken eine vorzeitige Rückzahlung der Kredite in Höhe von zirka 35 Millionen Euro. Seit 1998 hatte SER Systems acht Firmen gekauft und dabei nach Meinung von Experten seine Kerngeschäftsfelder DMS und Workflow vernachlässigt.

Gleichwohl versuchte Vorstandschef Gert Reinhardt noch im Februar 2002, die Lage schönzureden. Um die Liquidität des Unternehmens stehe es "deutlich besser, als es manche Analysten immer wieder zum Besten geben", sagte er der CW. Im Verfahren vor dem Landgericht Koblenz musste Reinhardt einräumen, dass die SER-Gruppe auch nach den geplanten Management-Buyouts insolvent werden würde, sollten die Banken einem bislang verweigerten Forderungsverzicht nicht zustimmen.

Nun fahren Aktionärsschützer schwere Geschütze gegen den Unternehmensgründer auf. Reinhardt und dessen Angehörige halten zusammen mehr als ein Viertel des Aktienkapitals. Auf der strittigen Hauptversammlung hätten er und der Aufsichtsratschef Roland Paule die Anteilseigner "angelogen", wesentliche Informationen zu den beabsichtigten MBOs seien ihnen "bewusst vorenthalten worden".

Für die europäischen und die US-amerikanischen Gesellschaften planten Reinhardt und Paule jeweils ein MBO. Als Käufer trat im ersten Fall ein "Management-Team" unter Leitung des Geschäftsführers der SER Solutions Deutschland GmbH, Kurt-Werner Sikora, auf. Das US-Geschäft sollte an ein Unternehmen des ehemaligen Finanzvorstands der SER Systems AG, Carl Mergele, übergehen.

"Einen angemessenen Kaufpreis hätten die Manager allerdings nicht zu bezahlen", moniert SdK-Vorstand Klaus Schneider. Mergele etwa hätte für die ohne Software und Markenrechte rund 15 Millionen Dollar schwere Übernahme der US-Gesellschaften lediglich mit 15 Prozent der von ihm gehaltenen US-Firma KES Acquisitions LLC bezahlt. Nach SdK-Informationen handelt es sich bei KES um eine Vorratsgesellschaft ohne jeden Wert. Hinzu kommt: Zur Vorbereitung der Transaktion hätte die deutsche SER Systems gegenüber der US-Tochter SER Systems Inc. - und damit mittelbar gegenüber den Käufern - auf Zahlungen in Höhe von 45 Millionen Dollar verzichtet.

Reinhardt habe zwar eidesstattlich versichert, dass er nichts mit der KES zu tun habe, berichtet ein Insider. Es gebe aber Hinweise darauf, dass er mit KES "unter einer Decke steckt". So habe er bereits Immobilien am US-Sitz der KES erworben. Gemeinsam mit dem ehemaligen SER-Finanzchef Mergele soll er zudem Teile der US-Gesellschaften zu hohen Preisen weiterverkauft haben. In der Hauptversammlung am 26. April habe davon niemand etwas gewusst.

Für den europäischen MBO stellt sich die Lage ähnlich dar. Offiziell war von einem "angemessenen Kaufpreis" in Höhe von 17 Millionen Euro die Rede. Ein von der SER Systems AG beauftragter Wirtschaftsprüfer taxierte demgegenüber allein den Wert der zu übertragenden Tochtergesellschaften auf bis zu 34,5 Millionen Euro. Unberücksichtigt ist dabei der Wert zugehöriger Software- und Markenrechte.

Selbst der angegebene Kaufpreis hätte sich noch um mehrere Millionen Euro reduziert, weil sich der Konzern verpflichtete, die Tochtergesellschaften vor der Übertragung an das Management von sämtlichen Verbindlichkeiten freizustellen. "Der zur Freistellung erforderliche Betrag ist dann von dem angeblich vereinbarten Kaufpreis abzuziehen", schreibt die SdK in einer offiziellen Mitteilung. Unterm Strich hätten die "Käufer" somit für die SER-Vermögenswerte wenig bis gar nichts bezahlen müssen.

Die Informationen zu den MBOs sind keine Behauptungen, sondern gehen aus den mehrere hundert Seiten starken Verträgen hervor, betont SdK-Vorstand Schneider. Das Problem dabei: Weil die Konzernleitung die Texte erst zur Hauptversammlung vorlegte, blieb keine Zeit mehr für eine gründliche Prüfung. Damit hat das Management laut dem Landgericht Koblenz auch gegen das Aktiengesetz verstoßen.

Offensichtlich gelogen haben Reinhardt und Paule, als es um die gesetzlich vorgeschriebene Veröffentlichung des Jahresabschlusses ging. Auf der Hauptversammlung im April erklärten sie, der Jahresabschluss sei noch nicht fertig gestellt; den Aktionären wurde deshalb weder ein Jahresabschluss mit Lagebericht noch eine Bilanz für das Geschäftsjahr präsentiert. Entgegen dieser Darstellung lag der Jahresabschluss vor; die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young hatte aber die Testierung verweigert. Die Jahresabschlüsse entsprächen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, so die Prüfer, und für die MBOs fehle es an der erforderlichen "Fortführungsprognose", sprich Überlebensfähigkeit, des SER-Konzerns für das Jahr 2002.

Dass es Reinhardt offenbar nur noch darum geht, das eigene Auskommen zu sichern, belegt sein weiteres Vorgehen. Trotz der einstweiligen Verfügung betrieb er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den MBO der US-amerikanischen Gesellschaften. Das geht aus einem Schreiben vom 3. Juni an die Gläubigerbanken der SER-Gruppe hervor, das der SdK vorliegt. Sollte eine Lösung nicht innerhalb von sieben Tagen vorliegen, müsse er Insolvenz beantragen, drohte der Manager. Würde man dagegen schnell handeln, hätten die Aktionäre keine Möglichkeit mehr, den Deal anzufechten. "Außer Schulden wäre von der SER Systems AG nichts mehr übrig geblieben", sagt Schneider dazu.

Am 13. Juni erwirkte die SdK eine zweite einstweilige Verfügung beim Landgericht Koblenz. Sie untersagt es der SER Systems AG, vertreten durch Reinhardt und Paule, ihre US-Beteiligungen an die KES Acquisitions LLC, also die von Mergele gehaltene Gesellschaft, "ohne genehmigenden Beschlusss der Hauptversammlung zu veräußern". Trotzdem meldete SER am 18. Juni überaschend Vollzug. Unternehmenssprecherin Bärbel Heuser-Roth erklärte auf Anfrage, die zweite Verfügung sei zu spät gekommen. "Das ist ein unerhörter Vorgang", kommentiert Schneider diese Entwicklung. Die SdK werde prüfen lassen, ob die Verträge mit Blick auf die gerichtliche Verfügung rückdatiert wurden.

In einer Ad-hoc-Meldung vom 18. Juni beschreibt SER die Lage nun so: "Angesichts der Ungewissheit über den zeitlichen Ablauf und den Ausgang der Anfechtungsverfahren sind die beiden MBO-Teams nicht mehr zur Durchführung der MBOs auf der Grundlage der genehmigten Verträge bereit." Der Vorstand könne daher die Hauptversammlungsbeschlüsse nicht mehr vollziehen. Stattdessen werde die SER AG zusammen mit den deutsch-österreichischen Tochtergesellschaften fortgeführt. Voraussetzung dafür sei allerdings der Verkauf der US-Gesellschaften gewesen, "um mit dem Verkaufserlös eine tragfähige neue Vereinbarung mit den kreditgebenden Banken zu erreichen".

Verbunden mit der Fortführung der SER AG im deutschsprachigen Raum sei auch eine Erweiterung des Vorstands. Kurt-Werner Sikora, Geschäftsführer der SER Solutions Deutschland GmbH, übernehme den Vorstandsvorsitz von Reinhardt, der bis auf weiteres im Vorstand verbleibe, "um die gemeinsam entwickelte neue Strategie zu unterstützen".

Trotz mehrmaliger Anfragen nahm Reinhardt bis Redaktionsschluss nicht Stellung zu den Vorwürfen. Unternehmensinternen Quellen zufolge hält er sich seit mehr als zwei Wochen in den USA auf und wird voraussichtlich nicht mehr nach Deutschland zurückkehren.

Ob der Fall SER damit beeendet ist, war bis 18. Juni offen. Verlierer sind wie so oft die Kleinaktionäre. Ihnen hatte Reinhardt im Juni 2000 ein Kursziel von 250 Euro vorgegaukelt. Seit Anfang April ist die Firma im Geregelten Markt gelistet, wo sie nicht mehr der Publizitätspflicht unterliegt. Am 17. Juni notierte die Aktie mit 0,16 Euro. (wh)