450 000 Aussendungen pro Tag

27.02.2008
Das ökologisch vorbildliche Logistikzentrum der HUK-Coburg erfasst, integriert und verschickt die gesamte Post des Versicherers.

Hohe Anforderungen werden heute an Versicherer gestellt: Mehr als eine halbe Million Briefe, Mails und Faxe bekommt und verschickt die HUK-Coburg an manchen Tagen. Gesetzliche Vorgaben wie die Solvency-II-Richtlinie zwingen dazu, sämtliche Geschäftsprozesse lückenlos zu dokumentieren und zu bewerten. Gleichzeitig steigt der Wettbewerbsdruck: "Kunden sind heute kritischer und vor allem anspruchsvoller geworden. Die Wechselbereitschaft ist groß. Versicherer müssen daher nicht nur attraktive Konditionen bieten, sondern auch exzellenten Service", erläutert Björn Schwabe von der Abteilung Zentrale Dienste der HUK-Coburg. Dieses Versprechen ist ohne moderne Informationstechnik und klar definierte Workflows für eine durchgängige und aktenlose elektronische Bearbeitung von Dokumenten nicht mehr einzulösen. Nur so lassen sich Kundenberater bundesweit schnell und umfassend mit Informationen versorgen.

Die HUK in Zahlen

Gegründet 1933, gehört die HUK-Coburg Versicherungsgruppe heute zu den großen deutschen Versicherern. Sie vereint zwei Lebens- und zwei Krankenversicherer, eine Bausparkasse und eine Servicegesellschaft. Mit über acht Millionen Kunden erwirtschaftete die Gruppe im Jahr 2006 Beitragseinnahmen von 4,7 Milliarden Euro. Das Unternehmen beschäftigt rund 8600 Mitarbeiter, 4700 davon in der Zentrale im oberfränkischen Coburg. Bundesweit verfügt der Konzern über 38 Außenstellen zur Schadensregulierung, sowie mehr als 400 Kundendienstbüros.

Projektsteckbrief

Projektart: Modernisierung der Input- und Output-Prozesse.

Branche: Versicherer.

Zeitrahmen: Frühjahr 2005 bis August 2006.

Stand heute: produktiv.

Aufwand: 80 Millionen Euro.

Dienstleister: internes Projekt-Management.

Ergebnis: Prozess- und Kostenoptimierung beim Postein- und -ausgang, höherer Automatisierungsgrad und Reaktionsgeschwindigkeit bei der Postverarbeitung.

Herausforderung: "Alles unter einem Dach".

Nächster Schritt: weitere Projekte zur Dokumentenklassifikation und -identifikation.

Green IT bei der HUK

Die HUK-Coburg betreibt ein übergreifendes Energie-Management, das ihr Rechen- und Logistikzentrum sowie ihre Verwaltungsgebäude einschließt. Hierbei kommt Speichertechnik für Wärme und Kälte zum Einsatz, mit deren Hilfe sich der Energiebezug aus den teuren Spitzenlastzeiten in günstige Schwachlastzeiten verschieben sowie die Anlagentechnik effizienter einsetzen lässt. Der Energieverbund koppelt mehrere Energieversorgungssysteme und erzielt dank Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung und effizienter Kältespeicherung einen hohen Gesamtwirkungsgrad. Der Bedarf an Primärenergie sinkt dadurch um etwa 10 300 Megawattstunden pro Jahr, oder anders ausgedrückt: Die Energiekosten sinken um rund 20 Prozent pro Jahr. Dank des Energie-Managements sind weitere fünf bis sechs Prozent im Jahr möglich.

Zwar kannte der Versicherer seine Prozesse in der Postbearbeitung, doch musste er ihre technische Basis modernisieren, um die gestiegenen Anforde-rungen zu erfüllen. So existierten zwei Rechenzentren, das In- und Output-Management fand verteilt auf engstem Raum statt. Zudem lagen die Einrichtungen in einer hochwassergefährdeten Zone in der Coburger Innenstadt.

Der Versicherungskonzern beschloss daher den Bau eines eigenen Rechen-, Input- und Outputzentrums samt zentraler Warenwirtschaft. Nach achtzehnmonatiger Bauzeit wurde das Logistikzentrum im August 2006 eingeweiht.

Alles unter einem Dach

Auf einer Fläche von 3,7 Hektar beherbergt das Zentrum heute alle Systeme und Arbeitsplätze für den bundesweiten Posteingang. In Spitzenzeiten beschäftigen Postverarbeitung und Versand bis zu 500 feste und temporäre Mitarbeiter. Mehr als 80 Millionen Euro ließ sich die HUK-Coburg den Neubau kosten und investierte dabei auch in Umwelttechnologien wie Blockheizkraftwerk, doppelisolierte Außenhaut, Kraft-Wärme-Kältekopplung und Geothermie (siehe Kasten Seite 36: "Green IT bei der HUK").

In Hochlastzeiten durchlaufen heute täglich über 78 000 Vorgänge (Briefe, E-Mails und Faxe) den Posteingang des Logistikzentrums. Hinzu kommen bis zu 450 000 Aussendungen am Tag. Das alles muss laut Schwabe über unterschiedliche Kommunikationskanäle bundesweit an die Kunden-Center verteilt werden. Der gesamte Posteingang trifft zunächst im Logistikzentrum - geordnet nach Versicherungssparten wie Komposit-, Lebens- oder Krankenversicherung - ein und wird maschinell geöffnet, gegebenenfalls nach Inhalt separiert, entklammert, geglättet und zu Scan-Stapeln sortiert. Beim Scan-Gut werden die einzelnen Vorgänge durch so genannte Patch-Codeblätter getrennt.

Derart vorbereitet, gelangen die Dokumentenstapel zu den Scanner-Arbeitsplätzen. Dort laufen elf Hochleistungsscanner "M03 Typ 421" des Scanner-Spezialisten Inotec, die über HP-Scan-Server gesteuert werden. Die Scan-Geschwindigkeit liegt bei maximal 150 Seiten pro Minute im Duplex-Verfahren, Schwarzweiß oder Farbe mit einer Auflösung von 200 dpi. Faxe und E-Mails, die in elektronischer Form eintreffen, werden zur Weiterverarbeitung analog der klassischen Briefpost sofort in die entsprechenden Workflows eingesteuert.

In einigen Sparten ist OCR/ICR-Technik (Optical/Intelligence Character Recognition) zur Erfassung von Briefpost (derzeit "Smartfix" von Insiders Technologies) seit Jahren im Einsatz. Deren Nutzung wird kontinuierlich ausgedehnt und optimiert, was aber steigende Lizenz- und Entwicklungskosten verursacht. Daher soll die Dokumentenerfassung durch Barcodes weiter automatisiert werden.

Bei ausgefüllten Formularen beispielsweise können die Barcode-Leser der Scanner die Daten unmittelbar auslesen und zusammen mit dem Image in den Workflow weiterleiten. Dadurch lassen sich laut Schwabe heute schon 20 bis 25 Prozent der Briefe als so genannte Response-Dokumente ohne OCR-Software "blind verarbeiten".

Andererseits gibt es immer wieder nicht oder falsch erkannte Dokumente, die dann Hilfskräfte im Logistikzentrum per Hand nachbearbeiten müssen. Unterstützt wird die Indizierung durch eine spartenübergreifende Anwendung, die auf der für diese Arbeiten angepassten Scan-Software "DPU" der Firma Janich & Klass basiert.

Host-Integration

Die Prozesskette im Posteingang wird über die Softwarekomponente "HUK-Capture-Flow" gesteuert. Die selbst entwickelte Lösung nutzt IBM Websphere MQ als Messaging-Infrastruktur und verwendet in Microsoft .NET programmierte Steuerungsfunktionen. Sind bei der Indizierung Vergleiche mit dem Partner- und Vertragsbestand in den Bestandssystemen nötig, übernehmen Host-Services (IBM z/OS/ Cics / PL1 / DB2) und IBM Websphere MQ den Datenaustausch.

Die originalen Papierdokumente werden nach dem Scannen nicht gleich vernichtet, sondern in einem 24 Millionen Blatt fassenden Vertikallift-Lager abgelegt. Darauf greifen Sachbearbeiter im Bedarfsfall über das eigens für die HUK-Coburg entwickelte Lagerführungssystem zu, das Dienste des Lagerverwaltungssystems von Erhard & Partner über IBM Websphere MQ nutzt.

Die elektronisch erfassten Dokumente landen im Host-basierenden Dokumenten-Management-System "HUK-DMS", das z/OS, DB2 sowie die Komponente IBM Content Manager nutzt. Hinzu gesellt sich eine selbstentwickelte Workflow-Komponente (auf Basis der IBM-Software z/OS, Cics, PL/1 und DB2), die Geschäftsvorfälle und Termine über eine integrierte, regelbasierende Lastverteilung auf die Mitarbeiter der Kunden-Center und Fachbereiche verteilt.

Der Sachbearbeiter greift schließlich über seinen elektronischen Postkorb auf die Dokumente zu. Die Arbeitsumgebung umfasst einen Dokumenten-Viewer ("Jadice Viewer" von Levigo) und eine HUK-spezifische Versicherungsanwendung.

Neben der Technik wurden auch der Außendienst und die bisherigen Vertriebsstellen umgebaut und in Kunden-Centern zusammengelegt. So kann die HUK heute eine telefonische Erreichbarkeit ihrer Berater von über 90 Prozent sicherstellen, indem Anrufe automatisch auf die freien Nebenstellen bundesweit geroutet werden. "Wenn ich aber die Telefonie bundesweit verteile, müssen auch die Informationen überall verfügbar sein", erklärt Norbert Dittrich, Bereichsleiter Postbearbeitung/Image.

"Früher musste man bei Engpässen in der Dokumentenverarbeitung oder beim Personal irgendwo in Deutschland eine Abteilung finden, die einem einen Teil der Arbeit abnehmen konnte", erinnert sich Dittrich. "Manche Wettbewerber haben das Problem heute noch." Bei der HUK-Coburg steuert jetzt eine maschinelle Lastverteilung die Bearbeitung des Posteingangs.

Ein Dokument stehe am selben Tag oder spätestens bis zum Mittag des folgenden Tages bundesweit jedem Sachbearbeiter zur Verfügung, ergänzt Kollege Schwabe. "Aktuell arbeiten wir beispielsweise an einem Konzept, das sicherstellt, dass Faxe innerhalb von fünf Minuten nach ihrem Eintreffen qualifiziert aufbereitet einem Sachbearbeiter zugänglich sind. Im Pilotbetrieb gelingt uns das bereits in über 90 Prozent der Fälle."

Auch der Output profitiert von den verbesserten Abläufen, erläutert Harald Eichhorn, Bereichsleiter Druck- und Versandservice. Dazu trug die Ablösung der bisherigen Host-basierenden Textverarbeitung und des Massendrucks samt Ressourcenverwaltung durch eine Unix- und Java-basierende Infrastruktur bei.

Zentrales Output-Management

Statt der alten 3270-Clients nutzen Sachbearbeiter jetzt die Textverarbeitungskomponente "M/Text CS" und die Output-Management-Komponente "M/OMS" von Kühn & Weyh. So ist ein einheitliches Textsystem entstanden, das in die vielschichtige Systemwelt der HUK integriert ist und überall identisch formatierten Output produziert.

Ferner betreibt der Versicherer erstmals ein zentrales Output-Management-System unter Unix, mit dem er alle ausgehenden Dokumente auf die Ausgabemedien Drucker, Fax, E-Mail und DMS/Archiv verteilen kann. Eine Online-"Brieffabrik" soll zudem ein Regelwerk schaffen, mit dem sich Kundenkorrespondenz formal und inhaltlich einheitlicher erstellen lässt.

Laufende Kostenkontrolle

Trotz aller Erfolge wird die HUK regelmäßig prüfen, ob sich der interne Betrieb der diversen Anwendungen des Logistikzentrums rechnet. So betreibe der Output-Bereich beispielsweise regelmäßig Benchmarks, die belegen, dass die Profitabilität bisher über der externer Lösungen liege, sagte Bereichsleiter Eichhorn. Ebenso könne man bisher beim Input konkurrenzfähige Preise und garantierte Service-Levels bieten, ergänzt Kollege Schwabe. Zudem ließen sich manche Prozesse noch optimieren. So starten in diesem Jahr etwa Projekte zur Dokumentenklassifikation und Datenextraktion aus gescannten Dokumenten und Gutachten mit Hilfe von OCR-Lösungen.

An einem Punkt hilft allerdings auch das beste Logistikzentrum bisher wenig: Das Aufkommen an klassischer Briefpost wird sich in den kommenden Jahren nicht drastisch verringern, weil Privatkunden oft Papierdokumente bevorzugen.