4300-Totenglöcklein darf geläutet werden

23.09.1983

Das aus (IBM-)Anwendersicht Interessanteste an der 4361/4381-Doppelpremiere, sind die gleichzeitigen Preissenkungen für die vorhandenen 43XX-Prozessoren 4321, 4331 und 4341. Ein hardware- und softwaretechnologisch gravierendes Replacement kündigt sich an, wenn Big Bleu, die Preiskäule schwingt. Das Totenglöcklein für die 4300 darf geläutet werden.

Bei den neuen Maschinen, vornehmlich für den von IBM in den vergangenen Jahren arg vernachlässigten Scientific-Markt bestimmt (Seite 1), wird dies noch nicht so deutlich. Die DECs, Data Generals und Primes, im 32-Bit-Geschäft der Superminis bisher ohne ernsthafte Konkurrenz, sind jetzt in jedem Fall erst einmal damit beschäftigt, ihre technisch -wissenschaftlichen Schäfchen zusammenzuhalten.

Soviel läßt sich heute schon sagen: Noch schützt DEC & Co. eine dicke Software -Schwarte, doch das halt nicht. Nicht, daß die Minimacher Big Blue als Gleitkomma-Erneuerer zu

fürchten hatten, da können sie allemal Paroli bieten, aber für große Anwenderfirmen im industriellen Bereich, im Kreditgewerbe, in der Forschung dürfte zahlen, daß sich mit Mainframes a la 4361 oder 4381 "Prozente" wie "Prozesse" rechnen lassen.

Doch zurück zum Abgesang auf ein kommerzielles Mittelklassesystem, zurück zur Ablöseproblematik. Das Ende der 4300-Ära ist schon jetzt abzusehen. Darin liegt kein Widerspruch: Die 4300 wird, als Hausnummer, natürlich weiterbestehen, nur muß man sich einen von Grund auf neuen Komplex mit einer gänzlich anderen Architektur vorstellen (5th Generation ante portas; Glendale, ick hör Dir trapsen!).

In der Tat ist die Halbwertzeit für DOS/VSE-Maschinen, die seit Frühjahr 1979 auf dem Markt sind, längst überschritten. Logisch wäre doch gewesen, die IBM hätte zunächst ein Modell 4351 als 4300-Upgrader herausgebracht. Jetzt stimmt die Hausnummernfolge nicht. Dies läßt sich nur so deuten, daß die IBM auch intern den Absprung von der veralteten 4300-Technologie nicht als Bagatelle sieht. Gab's Probleme mit der Software oder weiß man nur noch nicht, wie man Kunden mit 4341-Systemen die neue Aufstiegsphilosophie verklickern soll?

Die Wahrheit dürfte wie immer in der Mitte liegen. Für Beobachter der IBM-Szenerie markiert das jüngste Announcement denn auch lediglich einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer neuen Architektur. Erkenntnisse dieser Art helfen jedoch kaum weiter. Experten wissen, daß Designverschiebungen nicht ohne Umstellungen in den Anwendungen abgehen, die unangenehme Nebenwirkungen haben (Kompatibilität!). Beispiele dafür gibt es genug, auch wenn IBM das Anpassungsproblem stets heruntergespielt hat.

DOS-Benutzer jedenfalls konnten in Ansätzen schon erleben, was den Übergang auf eine neue Systemarchitektur so schwierig macht. Die Anpassung laufender Anwendungen ist praktisch nur mit Unterstützung der offiziellen IBM-Betriebssystempolitik machen.

Der Marktführer wird freilich einen Teufel tun, davon kann man getrost ausgehen, die enormen Software-lnvestitionen seiner Kunden im DOS-Bereich zu gefährden. Man wird mit allerlei Tricks versuchen (Emulation im Mikroprogramm?), die neue Maschine über die alte zu stülpen - auf Kosten der Leistung. Und die Kunden werden wohl oder übel mitmachen - sie haben gar keine andere Wahl.