Big Blue dreht weiter an der Kostenschraube

40000 Angestellte verlassen die IBM bis zum Ende des Jahres

09.10.1992

ARMONK (ciw) - Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage und des wachsenden Drucks auf den Mainframe-Umsatz versucht die IBM weiter, ihre Kostenstruktur in den Griff zu bekommen: Versehen mit einem "goldenen Handschlag", werden 40 000 Mitarbeiter das Unternehmen bis zum Jahresende 1992 verlassen haben.

Zusätzlich sollen einzelne Produktionslinien im . Mainframe- und Halbleiter-Bereich geschlossen und teilweise ganze Werksanlagen verkauft werden, um die Produktionskapazitäten den veränderten Marktanforderungen anzupassen.

Die im vergangenen Jahr weltweit aufgelegten Programme zum "freiwilligen" Ausstieg sind nach Angaben der IBM offenbar sehr viel erfolgreicher als ,angenommen. Statt der ursprünglich geschätzten 20 000 werden bis zum Ende des Jahres 40 000 von den weltweit 344 000 Mitarbeitern Big Blue verlassen haben. Damit hat sich das Heer der Mitarbeiter seit 1985 um insgesamt 25 Prozent verringert.

2000 Mitarbeiter in Deutschland betroffen

Bei der IBM USA stehen ab Anfang 1993 rund 28 000 Leute weniger auf der Pay-roll, in Europa, Afrika und Nahost gehen 8000, in Asien und den übrigen Ländern verringert sich der Mitarbeiterbestand immerhin noch um 4000 Arbeitnehmer. Allein in Deutschland wird sich die Liste der Angestellten durch Regelungen zum vorgezogenen oder gleitenden Ruhestand am Jahresende statt wie angenommen um 1500 um 2000 Namen verkürzt haben. In Großbritannien gehen ebenfalls 600 IBMer.

Einen Hinweis auf die Freiwilligkeit, mit der zumindest die englischen Mitarbeiter aussteigen, gibt - die Erklärung eines Sprechers der IBM Großbritannien gegenüber "United Press International" (UPI): "Das Angebot ging an bestimmte Angestellte, daß sie das Unternehmen verlassen können, wenn sie wollen, und daß sie dafür eine Bezahlung erhalten."

Produktionskapazität wurde drastisch verringert

Noch einschneidender wurde seit 1985 die Produktionskapazität verringert: Sind die geplanten Schließungen einzelner Produktionsstätten im Mainframe- und Halbleiter-Sektor sowie der vorgesehene Verkauf von Werksanlagen und Gebäuden in den nächsten drei Monaten abgewickelt, haben die Armonker zwischen 1985 und 1992 rund 40 Prozent ihrer Fertigungskapazität abgebaut.

Die eingeleiteten Schritte sind laut IBM-Chairman John Akers in Abstimmung mit den Anforderungen der einzelnen Geschäftsbereiche erfolgt: "Unsere Business-Units haben sorgfältig geprüft, wieviel Kapazität sie in einem Industrieumfeld benötigen, das durch schnelle technische Veränderungen, sich rapide verändernde Marktanforderungen und die weiter andauernde schlechte wirtschaftlichen Gesamtsituation geprägt ist. Durch diese Maßnahmen wird sich die Balance zwischen Produktionsanlagen und den laufenden Anforderungen des Geschäfts verbessern", so der Chairman weiter.

Die Kosten, der Vorhaben werden mit rund 2,1 Milliarden Dollar nach Steuern beziffert. Allerdings, so IBM, ließen sich die Maßnahmen wegen der Anwendung neuer Bestimmungen zur Einkommensbesteuerung, die rund 1,9 Milliarden Dollar einbrächten, fast ausgabenneutral gestalten. Die Armonker hoffen, mit Hilfe der vorgenommen Reduktionen ab Anfang 1993 jährlich rund vier Milliarden Dollar einzusparen.

Inwieweit die Schritte dazu angetan sind, die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, ist allerdings unter Analysten und Anwendern umstritten: "Es geht hier nicht um eine Korrektur im Vorfeld, sondern um eine bloße Reaktion auf die Betriebsergebnisse der vergangenen beiden Jahre", erklärt Gartner-Group-Analyst Gerhard Sundt. Darüber hinaus hält er die geplanten Reduktionen nicht für ausreichend: "ich glaube, daß die IBM-Verantwortlichen in dieser Richtung noch mehr unternehmen müssen. Sie werden zunehmend Leute entlassen, weiter Marktanteile verlieren und - durch die vorgenommene Teilung des Unternehmens nach Produktlinien - eine zunehmend schlechter integrierte Produktpalette bekommen."

Der Analyst vermißt Pläne, mit neuen Produkten Marktanteile zu gewinnen, die man bei bereits eingeführten zu verlieren droht oder schon verloren hat: "Es müßte das Geschäftsziel eines so großen Konzernes sein, die in einem Bereich abgebauten Ressourcen in einem anderen zukunftsträchtigen Sektor wieder aufzubauen."

Lars Landwehrkamp, Consultant bei Price Waterhouse Deutschland, bewertet das Drehen an der Kostenschraube als einen notwendigen Schritt: "Die IBM war bisher durch ihre Margen und Gewinne verwöhnt. Das hat sich drastisch geändert. Deshalb ist es höchste Eisenbahn, daß sie auf der Kostenseite etwas unternimmt, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein." Was passieren kann, wenn angesichts einer Krise keine präventiven Schritte eingeleitet würden, könne man -an der US-Automobilindustrie sehen: "Die erleben jetzt böse Zeiten."

Dieter Schönegger, Vice-President für Information-Technology and Organisation beim Sportartikelhersteller Adidas, sieht die Armonker auf dem richtigen Weg: "Die IBMer strengen sich unheimlich an. Sie haben erkannt, daß ihre bisherige Cash-Cow, der Mainframe, unter großen Druck geraten ist, und orientieren sich jetzt auch stärker am Client-Server-Computing." Allerdings benötige ein Unternehmen dieser Größenordnung wegen des "gewaltigen Trägheitsmoments" großer Organisationen Zeit, sich auf veränderte Marktbedingungen einzustellen.

Diese Veränderungen resultieren seiner Meinung nach vor allem aus dem Leistungszuwachs und Preisverfall der "Rechnerzwerge" und der immer leistungsfähiger werdenden Software, die heute Integrationsfunktionen biete, "von denen man vor ein paar Jahren noch nicht einmal geträumt" habe. Außerdem sei ein auf dem traditionellen Ansatz basierendes zentrales DV-Konzept für den Anwender heute "nicht mehr finanzierbar".

Wer heute erfolgreich DV verkaufen oder einsetzen wolle, müsse "die integrierte Unterstützung der Geschäftsabläufe" in den Vordergrund stellen. "Es geht nicht mehr um Technologie, sondern darum, wie ich meine Geschäfte durch Informationstechnologie besser organisieren, tätigen und überwachen kann als meine Konkurrenten."