Anwender stellen Zukunftsweichen nur zögernd:

4. Generation läutet neue DV-Epoche ein

10.05.1985

WILHELMSHAVEN (hh) - Der Trend hin zu Datenbanken, Mikros und leistungsfähigeren Softwaresystemen scheint nach Untersuchungen der ADV/Orga Research aus Wilhelmshaven eindeutig. Dennoch fällt es den Anwendern schwer, ihre DV-Landschaft auf diese Richtung einzunorden.

So ergab eine Stichprobenumfrage im Herbst vergangenen Jahres, daß nur 52 Prozent der IBM-43XX-Anwender in der Bundesrepublik eine Datenbank im engeren Sinne einsetzen. 35 Prozent der Befragten gaben an, keinerlei Tools außer den Programmiersprachen zu verwenden. Dabei, so die Aussage der Studie "Softwaretrends 85", wird die Wertschöpfung in der Softwareentwicklung zu einem immer wichtigeren wirtschaftlichen Faktor.

Die Autoren gehen davon aus, daß die Daten- und Informationsverarbeitung nur dort ihren Rationalisierungszweck erfüllt, wo sie sinnentsprechend eingesetzt wird. Programme, die mit herkömmlichen Sprachen erstellt wurden, genügen von ihrer Struktur her den häufig wechselnden Anforderungen der Praxis nicht in ausreichendem Maße. Die Ursache für diesen unbefriedigenden Zustand ist nach Meinung der Wilhelmshavener die Vermischung elementarer Dinge der Informationsverarbeitung, wie Datenstrukturen, Verarbeitungsregeln und Kontrollstrukturen für die Verarbeitung. Die Programmiersprachen der 3. Generation verlangten nämlich keine strikte Trennung dieser Elemente.

Zudem verschlechtert sich das Verhältnis aus dem "Nutzen der Anwendung" zu den Aufwendungen für die Programmänderung bei jedem Eingriff in das Programm. Nachlässigkeiten in der Dokumentation ließen darüber hinaus den Überblick über das Produkt zusehends verloren gehen. Einen Ausweg sehen die Wilhelmshavener Marktforscher in der Software der 4. Generation, die eine schnelle Verarbeitung des aktuellen Informationswunsches ermöglicht.

Schnelligkeit allerdings wird im Normalfall durch eine höhere Rechnerbelastung erkauft.

Dennoch, Modifizierungen des Programmes bleiben durch die klare Trennung zwischen Daten und Verarbeitungsregeln transparent. Aus diesen Überlegungen heraus sehen die ADV/Orga-Autoren, daß sich der Begriff der Software in Zukunft verlagert. Versteht man heute unter diesem Begriff noch vom Programmierer erstellte Programme und Systeme, so fallen in kurzer Zeit die Anweisungen der Anwender an diese Systeme sowie die benötigten Daten unter diese Definition.

Der Bedarf, der durch die Dezentralisierung und den vereinfachten Zugriff auf den Computer durch Sprachen der 4. Generation hervorgerufen wird, wirft allerdings ein zweites Investitionsproblem auf: die Ausbildung im Umgang mit Computer und Programmiersprachen. Gegen Ende des Jahrzehnts werden sich rund eine Million DV-Spezialisten um die Belange der Informationsverarbeitung kümmern. Davon sitzen nach den vorliegenden Prognosen rund ein Viertel direkt in den Anwenderunternehmen.

Immer mehr Anwendungen und die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Fachabteilungen lassen bei den Marktforschern die Frage aufkommen, wie die Weichen für die Zukunft gestellt werden sollen, damit die Investitionen in die Software nicht von Grund auf neu getätigt werden müssen, sondern im wesentlichen erhalten bleiben können.

Abgesehen von den äußeren Veränderungen der Mensch-Maschine-Kommunikation kristallisieren sich zwei Hauptrichtungen heraus:

- Die Programmierung wurde immer einfacher und dem jeweiligen Problem des Benutzers immer angepaßter.

- Die Daten wurden in immer größeren Portionen zusammengefaßt, der Zugriff auf sie verlagert sich von der physikalischen in die logische Ebene.

Eine wichtige Rolle spielen bei einer Trendanalyse die Mikrorechner.

Die Autoren der Studie sehen unter diesem Aspekt drei bestimmende Einflußfaktoren auf die Planung der Informationsverarbeitung. Dazu zählen die technischen Möglichkeiten der Hardware, die Softwaretechnologie und das -angebot sowie das organisatorische Umfeld im Unternehmen.

Ausgelöst durch die Sprachen und Werkzeuge der 4. Generation ist die tiefgehendste Veränderung bei der Software erfolgt. Als Folge daraus ergibt sich eine neue Situation im Preisverhältnis Hard-/Software. Denn Software wurde zum Massenprodukt.

Nachdem der Mikro auch durch die IBM salonfähig gemacht wurde, kam der Wunsch auf, diese Power-Zwerge an die Zentralrechner anzuschließen - eine technisch und organisatorische Belastung, die es zu lösen gilt.

Versäumnisse der Vergangenheit erweisen sich jetzt als Stolpersteine auf dem Weg in die Zukunft. Als hauptsächliche Probleme nannten US-Manager mittlerer und großer Unternehmen unter anderem:

- fehlende Unternehmensplanung für den Einsatz von Mikros,

- mangelnde Unterrichtung und Ausbildung der Anwender bezüglich eines unternehmensweiten und langfristig geplanten Mikro-Einsatzes,

- hohe Kosten durch Trial- und Error-Bestrebungen infolge mangelnder Abstimmung mit der zentralen DV,

- mangelhafte Kommunikation der Betroffenen,

- schlechte Wartbarkeit anwenderentwickelter Software oder auch

- die Unterminimierung der Unternehmensdaten im Zentralrechner.

Eine Lösung bietet hier im Gegensatz zu dem herkömmlichen RZ-Betrieb oder dem offenen DV-Dienstleistungsbetrieb das Information Center.

Die Aufgaben dieser Abteilung werden aus einer unternehmerischen Gesamtschau gelöst, so daß das Information Center bei Wünschen der Anwender nicht mehr hemmend, sondern problemlösend wirkt.

Die Frage der Durchdringung der Arbeitswelt mit Mikrorechnern ist auch nach Meinung der Autoren dieser Studie eindeutig geklärt; es stellt sich für den einzelnen Entscheidungsträger deshalb nicht so sehr die Frage, was eingesetzt werden soll, sondern wann die Entscheidung für das Neue fällt.

Da der größte Teil des Marktes von konservativen Anwendern bestimmt wird, die sich immer nach der Mehrheit richten, gehen die Produkt- und Marketingstrategen nach Aussage der Wilhelmshavener einen neuen Weg. Sie deklarieren ihre neuen Erfindungen als letzten Stand der Technik, um gegenwärtig eingesetztes Material als von gestern" darstellen zu können.

Dennoch hat der Entscheider ein recht verläßliches Hilfsmittel, um den geeignetsten Zeitpunkt für einen Kauf herausfinden zu können - die Lebenszykluskurve.

Hilfen bieten ihm hierbei Marktforschungsberichte, aber auch die Berichterstattung in den Medien, anhand derer ein Produkt beurteilt werden kann.

Aus den verschiedenen Ansätzen zu einer Beurteilung der Situation, die in der ADV/Orga-Studie ausführlicher dargestellt sind, entstehen im Laufe der nächsten vier bis fünf Jahre sogenannte Standards. Hierzu zählen die Wilhelmshavener beispielsweise die Structured Query Language "SQL". Daraus leiten sich zahlreiche Derivate ab, die für bestimmte Anwendungsgebiete als Spezialprodukte geeignet sind. So läßt sich schon jetzt voraussagen, daß die reinen Programmiersprachen in den Hintergrund treten werden. Auch das Dateien- und Daten-Chaos nähert sich einem Ende. Relationale Datenbanken mit streng reglementierten Up-dates bestimmen dann das Bild einer DV-Anwendung, in der das "Wie" wichtiger sein wird als das "Was".

Die Studie kann bei der ADV/Orga Research, Kurt-Schumacher-Str. 24, 2940 Wilhelmshaven, zum Preis von 45 Mark bezogen werden. Indikatoren für die Veränderung der Software

Höhere Portabilität ("mehrgenerationsfähig")

Die Systeme der 4. Generation (Datenbanken und Sprachen) sind teilweise bereits unabhängig vom Betriebssystem des Rechners und dessen Architektur (8 Bit, 16 Bit, 32 Bit). Verbreitete Standardisierung

Die Sprachelemente ("Syntax") und ihre Bedeutung beziehungsweise Wirkung auf die Verarbeitung, die zur Zeit noch von den einzelnen Softwareherstellern selbst kreiert werden, konvergieren zu einem Standard hin. SQL hat die größten Chancen, zum Standard zu werden.

Funktionale Integration

Das, was heute als "integrierte Lösung" angeboten wird, ist eher vergleichbar mit "Mixed Pickles", die von jeder Funktion etwas bieten. Eine funktionale Integration bietet dagegen einen fließenden Übergang zwischen den einzelnen Funktionen, den der Anwender nicht mehr selbst steuern muß.

Netzwerkfähigkeit

Die Erweiterung der Sprachen der 4. Generation schließt eine weitgehende Unabhängigkeit des Anwenders von den Daten, ihrer internen Struktur und ihrem physikalischen Speicherplatz ein. Vereinfacht ausgedrückt: Der Anwender muß nicht mehr wissen, wo die Daten stehen - sein System, das in einem Netzwerk-Verbund von Computern steht, stellt sie ihm zur Verfügung.

Zunehmende "Intelligenz"

Die Sprachen der 4. Generation bewegen sich weiter auf den Anwender zu: Es wird immer einfacher, Verarbeitungswünsche zu formulieren und die Systeme lernen, sich auf ihre Anwender einzustellen.

Veränderung der Basistechnologie

Die Sprachen der 4. Generation sind komplexe Softwaresysteme, die allerdings für den Anwender nicht sichtbar sind. Zu ihrer Entwicklung braucht man eine weitgehend auf maschinelle Werkzeuge abgestützte Entwicklungsumgebung. Ohne sie sind diese Systeme nicht mehr zuverlässig und damit ihre Ergebnisse für den Anwender nicht brauchbar. Eine "manuelle" Entwicklung von Systemen der 4. Generation ist schon heute nicht mehr möglich.