3GSM: UMTS schaltet den Turbo zu

06.03.2007
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die technische Innovationskraft der Mobilfunkbranche scheint keine Grenzen zu kennen, doch bei den Enterprise-Applikationen geht nicht viel voran.

Während andere Messen mit stagnierenden oder rückläufigen Besucherzahlen zu kämpfen haben, boomt der 3GSM World Congress seit Jahren. So vermeldete der Veranstalter, der zum zweiten Mal in Barcelona gastierte, einen Besucheranstieg um 5000 Gäste auf rund 55 000, und die Zahl der Aussteller wuchs auf 1300.

Hier lesen Sie ...

  • wie die Mobilfunkmesse 3GSM im Gegensatz zu CeBIT und Systems boomt;

  • in welche Geschwindigkeitsdimensionen UMTS vorstößt;

  • was Sie bei der mobilen Datenübertragung beachten sollten;

  • welche Bedeutung das neue Hype-Thema Femtocells hat;

  • was sich in Sachen Mobile-Enterprise-Applikationen tut.

Kostspieliger Messeauftritt

Während Nokia und Co. der CeBIT den Rücken zuwenden, sind auf der 3GSM alle international namhaften Hersteller vertreten und präsentieren die neuesten Produkte. Dieses Umfeld zieht trotz happiger Standpreise auch immer mehr Startups an, die hier ihre jüngsten Entwicklungen vorstellen und auf Geschäftspartner und Kapitalgeber hoffen. Zwar sind die Kosten von oft 20 000 Euro und mehr (Standmiete, Reise- und Hotelkosten) für die Newcomer häufig nur schwer zu verkraften, doch sie sehen in der Regel keine Alternative zu der Veranstaltung. Schließlich ist der 3GSM World Congress nicht nur ein B-to-B-Event, sondern gleichzeitig das Trendbarometer für eine ganze Branche.

Handy mit Sprachsteuerung

Das populärste Thema in diesem Jahr war wie schon 2006 TV auf dem Handy. Passenden Content lieferte unter anderem das bekannte amerikanische Sundance Film Festival, das in Barcelona die Preisträger in Sachen Mobile-TV-Filme auszeichnete. Endgeräte, mit denen sich die Inhalte unterwegs betrachten lassen, hatte jeder Handy-Hersteller im Gepäck. Fast von selbst versteht sich, dass die mobilen Begleiter immer leistungsfähiger werden und mit Rechenleistungen aufwarten, die vor kurzem noch ausgewachsenen Workstations gut zu Gesicht standen. Laut Georg Schweighofer, Direktor bei Qualcomm, bringt der Hersteller stehen im September erste Chipsätze mit Ein-Gigahertz-CPUs heraus.

Im Gegensatz zu anderen Messen boomt der 3GSM World Congress. Aussteller- und Besucherzahlen wachsen.
Im Gegensatz zu anderen Messen boomt der 3GSM World Congress. Aussteller- und Besucherzahlen wachsen.

Dabei warten die neuen Mobiltelefone nicht nur mit GPS und integriertem Navigationssystem auf, sondern folgen künftig, wie der Hersteller Nuance demonstrierte, ihrem Benutzer dank Sprachsteuerung aufs Wort. Zusätzlich glänzen die aktuellen Modelle mit Datentransferraten, von denen viele deutsche DSL-Nutzer, die eine zu lange Telefonleitung haben, nur träumen können. Die Zauberworte beim mobilen Datenturbo-Tuning sind dabei HSDPA und HSUPA, die im Download Geschwindigkeiten von bis zu 7,2 Mbit/s und im Upload bis zu 2 Mbit/s versprechen.

Schweighofer zufolge dürften HSDPA und HSUPA im zweiten Halbjahr 2007 bei neuen Handy-Modellen bereits Standard sein. "Und durch die weitere Integration auf einem Chip werden auch bald Einstiegsmodelle mit dieser Technik aufwarten", gibt der Qualcomm-Manager einen Ausblick. Mit der Mutation der Handys zum schnellen Datenmodem stellt sich für viele IT-Entscheider die Frage, warum sie noch in UMTS-Breitband-Datenkarten oder entsprechende Notebooks investieren sollen. Zumal der überall verbaute Qualcomm-Chipsatz die Vermutung nahe legt, dass es in Sachen Datenübertragung keine Unterschiede gibt.

Datenkarte oder Handy

Wer mobil online gehen will, hat die Wahl zwischen Datenkarte, Notebook-Modul oder Handy.
Wer mobil online gehen will, hat die Wahl zwischen Datenkarte, Notebook-Modul oder Handy.

Eine Annahme, die in den Augen von Joachim Dressler, Business Development Director bei Sierra Wireless, ein Trugschluss ist. Für Dressler, dessen Unternehmen sowohl Datenkarten als auch Notebook-Module produziert, ist das Handy die schlechteste Methode, um online zu gehen. Auch wenn in den Mobiltelefonen der gleiche Chipsatz verbaut sei wie in Datenkarten und Notebooks, sei die Software dort für die Telefonie und nicht für die Datenübertragung optimiert. "Ferner warten die Handys meist mit schlechteren Empfangseigenschaften auf", berichtet Dressler aus eigener Erfahrung, "so dass eine Übertragung teilweise unmöglich ist, während die Notebooks und Datenkarten noch funktionieren." Legt der Business-User, etwa beim Arbeiten mit zeitkritischen Applikationen wie Terminalbasierenden Anwendungen, Wert auf stabile Verbindungen, so ist für Dressler ganz klar das Notebook mit integriertem UMTS die erste Wahl. Die Tragbaren hätten in der Regel durch die im Display integrierten Antennen die besten Empfangseigenschaften. Zudem könne der Hersteller beim Layout des Motherboards bereits dafür sorgen, dass sich die verschiedenen Hochfrequenzbauteile nicht gegenseitig stören. Und last, but not least, so Dressler, erhält der Käufer bei der integrierten Lösung in der Regel optimal abgestimmte Treiber.

Latenzzeiten sinken

"Die Datenkarte ist dagegen immer ein Kompromiss"; warnt Dressler, "die Treiber müssen mit einer Vielzahl von Hardwareplattformen harmonieren." Gerade das holprige Zusammenspiel zwischen Kartentreibern und restlicher Hardware sorge immer wieder für Supportanfragen bei Wireless. "Will der IT-Administrator diese Probleme vermeiden, dann fährt er mit integrierten Modulen besser", rät der Manager. Zudem lauert bei den Datenkarten noch ein weiteres verstecktes Problem. Wenn die elektrische Anbindung des Kartenslots nicht sauber ausgeführt ist oder andere Hochfrequenz-Bauteile in der Nähe verbaut sind, dann drohen hier Störungen, die die Datenübertragung beeinträchtigen.

Das Argument, dass die Datenkarten derzeit die günstigste Methode sind, um ein Notebook UMTS-fähig zu machen, entkräftet Dressler mit dem Hinweis, dass im zweiten Halbjahr auch Notebooks im unteren Preissegment mit entsprechenden Modulen auf den Markt kommen. Und das Geschwindigkeitsrennen müsse der Anwender ja nicht unbedingt mitmachen, denn der für das mobile Arbeiten mit Echtzeitanwendungen wichtige Latenzparameter werde mit den HSUPA-Modulen von etwa 100 Millisekunden (HSDPA) auf rund 50 Millisekunden sinken. "Dann können Sie selbst VoIP oder Online-Spiele über UMTS unterbrechungsfrei nutzen", führt Dressler weiter aus.

Flächendeckend mit UMTS 900

Diese Latenzzeiten und Transferraten ermöglichen bei der Mobilisierung von Unternehmensapplikationen ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten. Allerdings sollte der IT-Verantwortliche bei der Planung entsprechender Projekte eines nicht vergessen: HSDPA und HSUPA sind hierzulande vorerst nur in einigen ausgewählten Großstädten verfügbar, und selbst das langsamere UMTS ist kurzfristig in Deutschland nicht flächendeckend verbreitet. Daran dürfte sich vor 2008 auch wenig ändern. Dann aber könnte laut Qualcomm-Manager Schweighofer auch hierzulande langsam UMTS 900 Einzug halten. Diese Technik, die in Spanien und Frankreich bereits teilweise eingesetzt wird, erlaubt den Aufbau größerer Funkzellen und verbilligt damit für die Mobilfunkanbieter den UMTS-Rollout in der Fläche. UMTS 900 ist aber nur eine Technik, die die Branche im Rahmen der Long Term Evolution (LTE) in petto hat. Neue Funk-Equalizer sollen langfristig durch ein geändertes Zeitschlitzverfahren die Kapazität der Funkzellen erhöhen. Und Diversity-Receiver versprechen künftig auf dem Weg zu Datentransferraten von bis zu 144 Mbit/s stabilere Funkverbindungen und damit eine störungsfreiere Datenübertragung. Für den Endkunden hat diese Evolution noch eine andere Konsequenz: Die Endgeräte sind eigentlich schon veraltet, bevor sie überhaupt das Montageband der Hersteller verlassen.

Der Hype um die Femtocells

Während sich die Anwender in Sachen flächendeckende UMTS-Versorgung noch gedulden müssen, dürfte sich die Inhouse-Abdeckung bald verbessern. Das neue Hype-Schlagwort sind in diesem Zusammenhang die Femtocells. Unter ihnen verstehen die 3GSM-Aussteller Kleinstfunkzellen, die künftig eine Privatwohnung oder ein kleineres Büro mit bis zu zehn Mitarbeitern versorgen. Damit wollen die Mobilfunkanbieter das Problem in den Griff bekommen, dass sie innerhalb von Gebäuden eine vernünftige Funkabdeckung für UMTS und Co. häufig nur mit hohem Kostenaufwand realisieren können. Bei den Femtocells wird nun innerhalb der Wohnung oder des Gebäudes eine Art kleine UMTS-Basisstation installiert und per DSL oder anderen breitbandigen Festnetztechnologien mit dem nächsten Knoten des Mobilfunkanbieters verbunden. Eine entsprechende Box dürfte nach Einschätzung von Steve Shaw, Direktor bei Kineto Wireless, um die 200 Dollar kosten und wohl von den Mobilfunkern für ihre Kunden bereitgestellt werden.

Abwehrschlacht: Können die Mobilfunkbetreiber die Anwender zu Hause und im Unternehmen mit Femtocells von einem Abwandern ins WLAN abhalten?
Abwehrschlacht: Können die Mobilfunkbetreiber die Anwender zu Hause und im Unternehmen mit Femtocells von einem Abwandern ins WLAN abhalten?
Foto: Kineto

Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie ein Anachronismus, nachdem die Branche auf der letztjährigen 3GSM mit Blick auf VoIP noch lautstark das Lied der Konvergenz von Festnetz und Mobilfunk sang und in diesem Jahr zahlreiche Dual-Mode-Handys für den Einsatz in WLAN und Mobilfunknetz präsentierte. Doch die Konvergenz birgt für die Mobilfunker die Gefahr, dass die Kunden - wenn sie etwa Angebote wie "BT Corporate Fusion" nutzen - auf dem Firmengelände oder in WLAN-Hotspots nicht mehr über ihre Netze telefonieren und dadurch die Umsätze sinken.

Handys bleiben Fremdkörper

Neben dem Aspekt der Kundenbindung spricht für die Kleinstzellen aus Sicht der Mobilfunker noch ein anderer Punkt: Wenn der User zu Hause sein gewohntes Handy benutzt, dann können sie ihm über diesen Kanal auch Mehrwertdienste wie Music-Downloads offerieren. Branchenkenner wie Shaw, sein Unternehmen baut Universal-Mobile-Access-Lösungen (UMA) wie Network-Controller, sind allerdings skeptisch, ob sich die Femtocells schnell durchsetzen, da sie im Vergleich zu einem klassischen WLAN-Access-Point doch deutlich teurer sind. "Ob sich das für die Carrier rechnet, muss sich noch zeigen", gibt Shaw zu bedenken.

Aus Anwendersicht spricht für die Femtocells, dass keine neuen Handys benötigt werden. Auf der anderen Seite konterkariert der Femtocell-Ansatz die mit VoIP verfolgte Idee eines einheitlichen Netzes für Daten und Sprache: Im Gegensatz zu den Dual-Mode-Handys, mit denen per VoIP over WLAN telefoniert wird, bleiben die GSM-Handys in den Femtocells ein Fremdkörper. Letztlich dürfte der Erfolg der neuen Technik auch davon abhängen, ob die Betreiber für Gespräche in diesen Funkzellen günstigere Tarife - ähnlich etwa den Homezones von Genion - offerieren.

Enterprise Applications fehlen

Gab die 3GSM in Sachen Technik viele neue Impulse, so sah es auf der Anwendungsseite eher bescheiden aus, wenn man einmal von Mobile E-Mail absieht. "Ich bin enttäuscht, für die Enterprise-Kunden gab es in Sachen CRM oder Field-force-Automatisierung keine großen Ankündigungen", zog Lars Vestergaard, Research Director European Wireless and Mobile Communications bei IDC, Bilanz. 3GSM-Aussteller wie Oracle und andere befänden sich hier noch in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung, las Vestergaard den CRM-Anbietern die Leviten.

Zumindest Vodafone lässt die Enterprise-Nutzer nicht ganz im Regen stehen. Mit der Vodafone Application Services Platform (VAF) hat der Konzern eine Art Middleware entwickelt, die Unternehmensanwendungen mobilisiert. Über Konnektoren wird die Plattform mit Enterprise-Systemen wie SAP, Siebel oder Oracle verbunden und erlaubt mobilen Endgeräten einen Zugriff darauf. "Vereinfacht dargestellt, funktioniert das Ganze ähnlich wie die Mobile-E-Mail-Nutzung beim Blackberry", erklärt Oliver Mauss, Director bei Vodafone in England. Ähnlich wie bei der RIM-Lösung werden die Daten aus dem Unternehmen über einen verschlüsselten Tunnel zum Vodafone Application Server übertragen. Von dort erfolgt der Transfer über das Mobilfunknetz auf das Endgerät. Auf diesem muss dann ein entsprechendes Frontend zur Datenverarbeitung installiert sein. Bislang offeriert Vodafone diesen Service in England und Spanien. Dazu, wann der Dienst auch in Deutschland verfügbar sein wird, wollte Mauss keine Angaben machen, da dies in der Entscheidungshoheit der einzelnen Landesgesellschaften liege. (hi)