Datengewinnung und -verarbeitung

Der CIO muss das Spannungsfeld zwischen Datenspezialisten und Wissensarbeitern in den Fachbereichen beherrschen

21.09.2016
Von Jan van Vonno und Gerry Brown
Anzeige  Nach Schätzungen der New York Times (August 2014) verbringen Datenspezialisten in den Unternehmen rund 50 bis 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mit dem sogenannten „Data Wrangling“ – oder anders gesagt, sie bereiten Daten auf, damit sich aus diesen wichtige, geschäftsrelevante Erkenntnisse ziehen lassen.

So führt ein "Daten-Wrangler" beispielsweise Datensätze aus ganz verschiedenen Quellen zusammen. Parallel zu diesen zentralen Bemühungen beschaffen sich jedoch in vielen Unternehmen die Entscheider in den Fachbereichen eigene Werkzeuge zur Informationsgewinnung - denn sie wollen möglichst rasch Erkenntnisse über den Geschäftsverlauf erhalten, diese interpretieren und in die Zukunft extrapolieren können. Diese "Demokratisierung" der Datenhoheit ("Data Democratization") macht es den Business-Entscheidern zwar möglich, in ihrem Bereich kurzfristig schneller zu reagieren. Doch langfristig kann eine solche Data Democratization ernsthafte Folgen für die Informationsstrategie des Gesamtunternehmens haben. Denn isolierte, in verteilten Datensilos vorgehaltene Daten bleiben nicht lange konsistent. Das senkt das Vertrauen in ihre Aussagekraft und macht sie ungeeignet für Analysen. Eine der Hauptaufgaben des CIO besteht darin, genau das zu verhindern - und schon beim Teilaspekt "Data Discovery" der für die digitale Transformation der Unternehmen so wichtigen Dimension "Information" für eine "Single Source of Truth" zu sorgen.

Data Discovery macht es Unternehmen möglich, ganz neue Geschäftsmodelle zu identifizieren.

Daten aus verschiedenen Quellen zu extrahieren, sie zu integrieren und den Geschäftsanwendern an die Hand zu geben sind wesentliche Schritte auf dem Weg zur Digitalen Transformation - all das umfasst robuste Prozesse für die Erfassung, Pflege, Auswertung, Speicherung und Entsorgung der Daten. Die damit verbundene "Datafication" des Business macht es möglich, bislang unsichtbar im Hintergrund ablaufende Prozesse, Aktivitäten und Zusammenhänge klar zu identifizieren, zu quantifizieren und zu visualisieren. Das trägt zum einen zur Optimierung der bestehenden operativen Abläufe bei. Zum anderen hilft diese Datafication den Unternehmen jedoch auch, geschäftliche Mehrwerte für den Kunden zu erzeugen und so neue Umsatzquellen zu erschließen.

So versteht beispielsweise das schwedische Unternehmen Ericsson, globaler Anbieter von Mobilfunktechnologie, Internet-, Multimedia- und Telekommunikation, den Begriff "Datafication" als eine Art "Wissensübertrag" von/über physische(n) Objekte(n) auf den Menschen - nachdem mithilfe digitaler Technologien (Sensorik/Aktorik, Internet der Dinge) Daten an/von diesen Objekten (Autos, Gebäude, Maschinen etc.) erhoben wurden. Mithilfe dieser Art der Datafication könnten zum Beispiel Immobilien-Unternehmen die Art und Weise verbessern, wie sie ihre (Verkaufs-)Bezirke klassifizieren. Denn Detailinformationen zu ihren Objekten aus externen oder eigenen Datenquellen würden es ihren Repräsentanten erlauben, die geschäftlichen Aktivitäten optimal auf die lokalen Begebenheiten abzustellen. In der Fertigungsindustrie wiederum könnte eine Datafication in Verbindung mit dem Internet der Dinge die Produktentwicklung positiv beeinflussen - indem Daten des Produkts im Moment seiner Nutzung direkt zurückfließen an den Hersteller und dort zu einem Wissenszuwachs führen. Auch wären ganz neue Umsatzquellen denkbar, indem diese Daten - anonymisiert - anderen Herstellern oder Entwicklern entlang der Lieferkette verkauft werden, die ebenfalls nach Wegen suchen, ihre Effizienz zu steigern.

Wer in diesem Kontext über die Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Daten nachdenkt, landet schnell bei der Analyse von Massendaten ("Big Data Analytics"). Die meisten CIOs haben schon erste Erfahrungen mit Big Data gesammelt - und sind über isolierte Speicher und Data Warehouses für operative und aggregierte Daten insofern hinaus, als sie auch unstrukturierte Daten in Datengewinnung und -analyse mit einbeziehen können. Doch um die Möglichkeiten der Digitalen Transformation voll umzusetzen und das Business maßgeblich zu transformieren, müssen CIOs eine Umgebung entwickeln, die es erlaubt, verlässliche Daten konsequent aus allen möglichen Quellen zu gewinnen und zu verarbeiten - und es zudem den Datenspezialisten und den Entscheidern in den Geschäftsbereichen gleichermaßen ermöglicht, ihren Aufgaben unmittelbar nachzukommen. Darüber hinaus gilt es, spezielle Datenservices zu erstellen und unternehmensweit zur Verfügung zu stellen, die alle Anforderungen des Business-Ökosystems abdecken.

Jedes Unternehmen, das die verschiedenen Reifegradstufen der Dimension "Information" durchläuft, sieht sich mit dem wichtigen Thema "Data Governance" konfrontiert - das ausnahmslos alle Bereiche einer Organisation durchdringt. Der CIO muss für Data Governance einen Top-down-Ansatz entwickeln, um Daten auf unterschiedlichen Ebenen quer durch die gesamte Organisation zu erfassen, zu schützen und zu teilen. Das kann nur in enger Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung gelingen. Doch dem CIO kommt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung eines Data Governance Frameworks zu. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sollte der CIO in Betracht ziehen, eine neue Funktion einzurichten: den Chief Data Officer. Diese neue Funktion ist noch im Entstehen und kann - je nach den spezifischen Bedingungen im Unternehmen - auf ganz verschiedene Art und Weise ausgeformt werden. Zwar verfügen aktuell noch weniger als 30 Prozent der Unternehmen über einen Chief Data Officer, doch schon heute hat die Mehrheit der Organisationen den Bedarf erkannt, eine solche Funktion zu schaffen. Je nach Struktur des Unternehmens würden sich vielleicht sogar mehrere Chief-Data-Officer-Positionen für verschiedene Geschäftsbereiche anbieten.

Foto: SAP SE

Ein neuer Umgang mit Daten und die Fähigkeit, diese wirkungsvoll einzusetzen, wird zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal der Unternehmen. IDC geht davon aus, dass CIOs global agierender Unternehmen in den kommenden Jahren die Dimension "Information" und die Entwicklung eines übergeordneten Data Governance Frameworks neu überdenken müssen - insbesondere wenn ihr Unternehmen in stark regulierten Branchen wie der Finanzwirtschaft oder im Gesundheitsbereich tätig ist. Diese Unternehmen werden es schaffen, Vorteile aus ihren Daten zu ziehen, während die damit einhergehenden Risiken und Kosten sinken. Dementgegen können Unternehmen mit Daten-Silos auf Basis einzelner Abteilungen die modernen Anforderungen an das Datenmanagement und die Datennutzung nicht erfüllen. Nur diejenigen Unternehmen, die ihren traditionellen Data-Management-Ansatz konsequent in eine differenzierte Informationswertschöpfungskette überführen, können Vorteile im Wettbewerb und eine führende Rolle in ihrem Geschäftsumfeld erlangen. Dabei spielt auch der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle.

Für den Start muss der CIO die Rahmenbedingungen und Anforderungen der bestehenden Umgebung mit ersten Umbaumaßnahmen zum "digitalen Business" in Einklang bringen. Er kann beispielsweise bereits bestehende, begrenzte Daten- und Informationsinitiativen hinterfragen und wirkungsvoll nutzen. Sich dabei auf Pilotprojekte zu konzentrieren, bevor man in größere Maßnahmen investiert, ist meist ein guter Weg für den Anfang. Falls bislang noch nicht existent, sollte er einen soliden Business Case für "Information Governance" und ein entsprechendes Framework schaffen, das die Geschäftsentscheider mit einbezieht. Parallel wird auf den CIO die Aufgabe zukommen, die Informationsarchitektur weiterzuentwickeln und seinen Verantwortungsbereich auch kulturell den geänderten Geschäftsanforderungen der digitalen Wirtschaft anzupassen. Wichtige Schritte auf diesem Weg sind Investitionen in Big-Data-Anwendungen und -Analytics - aber auch in Datenspezialisten und Mitarbeiter, die den ökonomischen Wert von Informationen erkennen können. Die Einführung eines Chief Data Officer wird diesen Prozess weiter beschleunigen.

IDC ist überzeugt, dass die Informationsstrategie eines Unternehmens und die damit verbundenen Initiativen zur Datengewinnung und -verarbeitung - der "Data Discovery" - einen wesentlichen Teil der Investitionen innerhalb der individuellen Planungen rund um die Digitale Transformation ausmachen sollten.

Um den Reifegrad seines Unternehmens in Bezug auf die Digitale Transformation und mögliche Handlungsfelder besser abschätzen zu können, empfehlen wir CIOs den IDC MaturityScape Reifegradcheck zur Digitalen Transformation.