2006 stehen die Zeichen auf Wachstum

11.01.2006
Von Eva-Katharina Kunst
Die Anforderungen der Kunden an Open-Source-Dienstleister haben sich stark gewandelt.

Linux-Dienstleister sind "sehr viel erfolgreicher als zu New-Economy-Zeiten", freut sich Peter Ganten, Geschäftsführer des Linux-Distributors Univention. Gerieten einstige Open-Source-Pioniere trotz beachtlicher Risikokapitalinfusionen oft ins Straucheln, kommen die Dienstleister heute zumeist ohne fremde Beteiligungen und ohne externe Finanzierung aus. Ihre wirtschaftliche Stabilität basiert auf tragfähigen Geschäftsmodellen, Kooperationen und Partnerschaften, auf einer steigenden Nachfrage aus der freien Wirtschaft und der Förderung durch die öffentliche Hand.

Linux-Dienstleister in Deutschland

Gonicus GmbH, Arnsberg: Linux-Systemhaus, spezialisiert auf den Einsatz freier Software bei geschäftskritischen Anwendungen (www.gonicus.de);

Intevation GmbH, Osnabrück: Spezialist für freie Software mit besonderem Fokus auf Beratung, Projektumsetzung und geografische Informationssysteme (www.intevation.de);

Millenux GmbH, Stuttgart-Korntal: Open-Source-Software-Dienstleister im Enterprise-Bereich, spezialisiert auf Linux für Z-Series-Mainframes sowie auf virtualisierbare Umgebungen (www.millenux.de);

Science + Computing, Heidelberg: IT-Dienstleister für herstellerunabhängige Lösungen im Bereich von CAE, CAT, CAD (www.science-computing.de);

Sernet GmbH, Göttingen: Linux-Systemhaus seit 1996 mit Schwerpunkt auf Linux und Samba (www.sernet.de);

Tarent GmbH, Bonn: Softwareentwicklungs- und Beratungsfirma für Linux- und Windows-Plattformen (www.tarent.de);

Univention, Bremen: Hersteller der Linux-Distribution Univention Corporate Server (UCS) mit integriertem Management-System (www.univention.de).

Hier lesen Sie …

• wie Open-Source-Dienstleister die derzeitige Auftragslage beurteilen;

• welche Anforderungen Kunden an die Anbieter von Open-Source-Dienstleistungen stellen;

• auf welche Business-Modelle die Dienstleister setzen;

• welche Rolle Kooperationen und Partnerschaften spielen;

• welche geschäftlichen Perspektiven Open-Source-Dienstleister sehen.

Insbesondere Business-Modelle, die ausgewogen Support- und Projektgeschäft bedienen, laufen erfolgreich. Viele Anbieter übernehmen Entwicklungs- und Implementierungsaufgaben, stellen individuelle Lösungen her und integrieren sie in bestehende Infrastrukturen. "Es sind vor allem die Wartungs- und Supportverträge", so Thomas Uhl, Geschäftsführer der Stuttgarter Topalis-Gruppe und Mitbegründer des zu ihr gehörenden Linux-Systemhauses Millenux, "von denen der Open-Source-Dienstleister gut leben kann, während die hohen Abschlüsse im Lizenzbereich entfallen."

Auch auf Consulting setzen immer mehr Unternehmen: "Die Erfahrungen aus größeren Projekten haben gezeigt, dass die meisten und schwerwiegendsten Fehler im Vorfeld gemacht werden und nicht während der Umsetzung", begründet Johannes Loxen, Geschäftsführer des Samba-Spezialisten Sernet, die Ambitionen in diesem Sektor.

Um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, arbeiten viele Anbieter in Open-Source-Projekten zusammen. "Kooperationen sind der Schlüssel zum Erfolg", hebt Uhl hervor. Auch wenn der Grat zwischen Konkurrenzdenken und Zusammenarbeit naturgemäß schmal ist, ist es für die meisten Open-Source-Unternehmen selbstverständlich, technisch und zum Teil auch wirtschaftlich mit Partnern zusammenzuarbeiten. Mehr noch: Sie sind stolz darauf.

Gemeinsam stärker

"Kooperationen unter Linux-Dienstleistern funktionieren in der Regel besser als unter proprietären Anbietern", weiß Elmar Geese aus seinen Erfahrungen als Vorsitzender des Linux-Verbandes und als Geschäftsführer der Bonner Tarent GmbH. Die meisten Dienstleister aus dem Umfeld freier Software haben umfangreiche Erfahrungen in der Kooperation bei Entwicklungsarbeiten - ein Wesenszug der Open-Source-Kultur.

Ralf Allrutz, Mitglied der Geschäftsführung bei Science + Computing, formuliert es anders: "Niemand kann glaubwürdig vertreten, dass er alles kann." Gibt es Probleme, hilft die Community in ihren Foren gern weiter, Entwickler tauschen offen ihre Bausteine aus. Die Philosophie, Wissen für sich zu behalten, ist verpönt. So haben viele Linux-Dienstleister Allianzen geschlossen, um auch größere Projekte stemmen zu können.

Patentfragen behindern

Der natürliche, evolutionäre Entwicklungsprozess sei dem monolithischen, zentral gesteuerten Entwicklungsansatz vieler proprietärer Häuser weit überlegen. Kommt es dabei zu parallelen Entwicklungen, werden diese in den meisten Fällen nicht als Kräfteverschwendung, sondern als gesunder Wettbewerb beurteilt. Bernhard Reiter, Geschäftsführer der Intevation GmbH, unterstreicht: "Vielfalt ist ein hoher Wert. Eine Lösung zu haben, ist gut, zwei sind besser - auch für den Kunden."

Kritischer fällt das Urteil in Sachen proprietäre Lizenzen und Patente aus. Für Sicherheit, Performance, Offenheit von Schnittstellen sowie Wiederverwertbarkeit sei verschlossene Software nicht von Vorteil, so Sernet-Geschäftsführer Loxen: "Die Diskussionen um Softwarepatente haben schon Projekte gekippt, indem die Hersteller proprietärer Software offen damit gedroht haben, Anwender von freier Software rechtlich zu belangen, und im Umkehrschluss einen Schutzbrief ausstellen, wenn man die proprietäre der freien Software vorzieht. Insofern sind viele Lizenzen für nicht freie Software heute eher Rechtsschutz- als Lizenzverträge."

Verwaltungen als Vorreiter

Als Förderer von Open Source erweist sich nach wie vor die öffentliche Hand: Noch immer kommt ein stattlicher Anteil der Aufträge aus dem "public sector". Gerade die oft als starr und unflexibel geltenden Verwaltungen erkannten die Vorteile quelloffener Software früher als die freie Wirtschaft und sorgten für die ersten spektakulären Aufträge an Open-Source-Dienstleister.

"Eigentlich sollten Unternehmen schneller eine effektive Methode aufgreifen; bei freier Software kommen aber viele erst jetzt nach", stellt Intevation-Manager Reiter fest. Ursache dafür sei, dass Anwender-Unternehmen lange zu sehr in Richtung erfolgreicher IT-Unternehmen aufsahen. Man denke gern konservativ und gewöhne sich erst langsam an eine neue IT. "Der Typ Entscheider, der immer so wie die Masse seines Standes entscheidet, wird nie aussterben", bringt es Ganten auf den Punkt. Inzwischen jedoch erzielen Linux-Dienstleister ihre Umsätze immer mehr aus dem industriellen Umfeld. Bedenken betreffen meistens rechtliche Fragen und sind auf mangelnde Informationen zurückzuführen. Die Qualität der Open-Source-Lösungen wird nicht mehr angezweifelt.

Breites Know-how nötig

Im Markt rund um freie Software ist Raum für Dienstleister jeder Couleur. Im Windschatten der großen Systemhäuser agiert eine Vielzahl mittelständischer beziehungsweise kleiner Spezialisten, zum Teil mit Nischenangeboten. Um als Linux-Dienstleister einzusteigen, ist zunächst nicht viel Kapital nötig, wenn man bei Einstellungen vorsichtig ist, so Uhl: Sei die Auslastung hoch, fehle es an Personal, sei das Personal rekrutiert, fehle es an Auslastung.

Wichtig sei aber, nicht das komplette Know-how an einzelne Personen zu hängen, sondern es redundant vorzuhalten. Ganten betont, ein Dienstleister im Open-Source-Umfeld brauche mehr Know-how als in anderen Bereichen, einfach, weil es oft auch mehr Lösungen gebe. Hinzu kommt, dass die Experten in Sachen freie Software auch die proprietären Alternativen kennen sollten, werden doch Open-Source-Lösungen selten allein betrieben. Sehr häufig arbeitet der Dienstleister im Umfeld heterogener Umgebungen, in denen freie Software in proprietäre Infrastrukturen einzubetten ist.

Frei heißt nicht kostenlos

Viele Kunden interessieren sich aus Kostengründen für freie Software. Vor allem die enormen Einsparungen durch den Wegfall von Lizenzgebühren wecken beim einen oder anderen die Erwartung, von den Dienstleistern Lösungen quasi zum Nulltarif erhalten zu können. "Diese Kunden versuchen die Preise zu drücken und greifen im Zweifelsfall auf den Studenten zurück, der ihnen für wenig Geld nebenbei weiterhelfen soll", berichtet Alfred Schröder, Geschäftsführer des Linux-Systemhauses Gonicus. Dem größten Teil der Kunden sei allerdings klar, dass für professionelle Dienstleistungen ein angemessener Preis bezahlt werden müsse.

Dabei treten die Kunden selbstbewusst auf. Sie erwarten von Open-Source-Unternehmen das gleiche Niveau wie von Dienstleistern aus anderen Bereichen der IT: Professionalität, Flexibilität und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis stehen im Anforderungsspektrum ganz oben. Die räumliche Nähe des Dienstleisters spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Eine Präsenz vor Ort verlangen am ehesten kleinere Unternehmen.

Größere Unternehmen tendieren zu Standardlösungen und suchen sich den Anbieter weniger nach geografischen Gesichtspunkten aus, sondern nach dessen Größe - schließlich möchte man "das Wegbrechen eines Lieferanten oder Engpässe vermeiden", berichtet Schröder. Die Betreuung des Kunden vollzieht sich dann - der Tradition der Fernwartung im Unix-Umfeld folgend - vor allem remote.

Immer mehr Entscheider sind sich bewusst, dass Open Source eine interessante Alternative zur Lösung ihrer IT-Probleme darstellt. Doch auch wenn grundsätzlich die Vorbehalte gegenüber Open Source ausgeräumt sind, fällt es Interessenten immer noch "umso leichter, sich mit einer Open-Source-Lösung anzufreunden, je unkritischer das Geschäft ist", glaubt Manager Allrutz von Science + Computing.

Geht es um den Support und geschäftskritische Anwendungen, wird oft der Ruf nach Service-Level-Agreements (SLAs) und gegebenenfalls "Penalties" laut. Kunden freier Software "wollen garantierte Reaktions- und Antwortzeiten", konstatiert Loxen. Zudem werde vielfach verlangt, die Transparenz von freier Software zum sichtbaren Kundenvorteil zu machen: Fließt die in Auftrag gegebene neue Funktionalität in den Hauptstrom der freien Software zurück, macht dies den Kunden unabhängiger von seinem Dienstleister.

Loxen: "Der Kunde bekommt seine Änderungen nach Möglichkeit in offizielle Releases gegossen und bleibt so unabhängig vom Hersteller." Auch die Tatsache, dass alle Dienstleister mit den gleichen Werkzeugen und Programmen arbeiten, erleichtert dem Kunden den Umstieg auf einen anderen Anbieter, ohne dass er den Einsatz eines bestimmten Open-Source-Produkts in Frage stellen muss.

Dienstleister wie auch Kunden sind mit ihrer Situation zufrieden. "Der Open-Source-Markt ist nicht gesättigt und hat noch mehr vor sich als die Verwaltung von Bestandsgeschäft", freut sich denn auch Tarent-Geschäftsführer Geese. Sein Blick nach vorn ist optimistisch: "Die Bereiche Infrastruktur und Entwicklungswerkzeuge sind zwar bereits gut abgedeckt, doch werden Desktop-Produkte und Geschäftsanwendungen erst zu etwa zehn Prozent bedient - was ungeheure Optionen bietet." (ls)