1995: 25-Stunden-Arbeitszeit

24.02.1984

Dr. Ulrich Breifs Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut des DGB

Neue Technologien bestimmen gegenwärtig und noch stärker in der Zukunft die Arbeitsplätze. Nachdem lange Jahre die Büros im Vordergrund des DV-Einsatzes gestanden haben, ist jetzt der direkt und indirekt produktive Bereich in den Vordergrund der DV-Entwicklung und des Einsatzes neuer Technologien getreten. BDE-Systeme, CAD/CAM-Systeme, komplexe Fertigungssteuerungs- und -planungssysteme, der Ausbau von Prozeßsteuerungssystemen, der Einsatz von Robotern, von komplexen DV-gestützten Produktionsmaschinerien bis hin zum Computer-lntegrated-Manufacturing sind für die gegenwärtige Dynamik der DV im Produktionsbereich kennzeichnend.

Illusorische Annahmen

Erhebliche Gefahren für eine große Zahl von Arbeitsplätzen tauchen damit auf: Abbau vieler Arbeitsplätze, Zerstörung traditioneller Qualifikationen sowie stärkere Kontrolle und Überwachung der verbleibenden Arbeitsstellen.

Die Wirtschaftszweige, die informationstechnologische Produkte herstellen, befinden sich seit Mitte der 70er Jahre in einem unaufhaltsamen Boom. Die Umsätze der DV-lndustrie allein haben sich von 197S bis 1983 etwa verdreifacht, die Zahl der beschäftigten hat allerdings nur um etwas mehr als 50 Prozent, das sind etwas über 20 000, zugenommen. Die Zahl der gegenwärtig Arbeitssuchenden liegt jedoch bei 2,3 Millionen. Hinzu kommen etwa 0,7 Millionen (davon 75 Prozent Frauen} nicht registrierte Arbeitslose.

Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, wie illusorisch es ist, in den Bereichen der informations-technologischen Produktion mit einem zunehmenden Angebot an Arbeitsplätzen zu rechnen. In der Mikroelektronik sind von 1975 bis 1980 trotz eines Produktionswachstums von 3,4 auf 4,4 Milliarden Mark im Jahr, acht Prozent der Stellen sogar abgebaut worden.

Wichtiger als dieses statistisch-empirische Argument ist die Tatsache, daß "Spitzentechnologien" ausschließlich hochkapitalintensiv produziert werden können und daß deshalb in den entsprechenden Wirtschaftszweigen nur relativ wenige Arbeitsplätze geschaffen werden. Gerade weil es sich hier um Technologien handelt, die in teilweise faszinierender Weise auf neuen Formen der Beherrschung von Naturkräften und Materialeigenschaften beruhen, kann die Produktion in diesen Bereichen nur mit komplizierten Apparaturen und Verfahren stattfinden. Wenn Materie im Bereich weniger Hundert Atomdurchmesser mit Leiter- oder Widerstandsfähigkeit behandelt wird, dann kann man das nicht mehr mit den Fingern tun, sondern nur mit hochkomplizierter Maschinerie und in fast vollautomatisierten Verfahren der Laser-, Elektronen- und Röntgenstrahltechnik.

Die ökonomische Seite sei an zwei Beispielen demonstriert.

- Die IBM hat für ihr Werk zur Produktion von höchstintegrierten Schaltungen in Sindelfingen 700 Millionen Mark ausgegeben und damit nur 1700 Arbeitsplätze geschaffen.

- In Berlin ist eine Glasfaserkabelfabrik geplant, die in der Endausbaustufe 100 000 Kilometer Glasfaserkabel im Jahr produzieren soll und für die 100 Millionen Mark Investitionen aufgebracht werden müssen. Damit werden jedoch lediglich 200 Arbeitsplätze ins Leben gerufen.

Andererseits müssen die neuen Technologien Arbeitsplätze zerstören, wenn sie auf breiter Front in den Unternehmen eingesetzt werden. ..Es ist die Aufgabe der DV schlechthin, Arbeitsplätze zu zerstören, so der französische Spezialist und einer der Väter des Begriffs Telematik, Simon Nora.

Anders gesagt: Die DV ist eine universelle Rationalisierungs- und Kontrolltechnologie. Ihr Gebrauchswert besteht ganz überwiegend darin, von bisher menschlichen Arbeitskräften ausgeführte Funktionen auf maschinelle Systeme zu legen. Diese Technologie erlaubt zudem nicht, viele neue Gebrauchswerte und damit eine große Zahl neuer Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem kann der weitere Robotereinsatz bis zu 400 000 Arbeitsplätze vernichten.

Die weiter im Arbeitsprozeß verbleibenden Beschäftigten sehen sich durch Fertigungssteuerungs- und Materialdispositionssysteme, durch CAD- und CAM-Systeme, durch CNC- und DNC-Systeme mehr und mehr um wichtige, bisher zumindest teilweise noch bei ihnen verbliebene Entscheidungsräume und Möglichkeiten zur Entfaltung beruflicher oder im Arbeitsprozeß erworbener Qualifikationen gebracht. Sie fühlen sich zusätzlich durch die laufende Erfassung von Daten über ihre Leistung und über ihr Verhalten im Betrieb - in BDE-Systemen, im Personalinformationssystem - viel stärker und wirksamer kontrolliert und überwacht als bisher.

Ungeheure Widersprüche

Diese Entwicklung ist umso schwerwiegender und verhängnisvoller, als sie zusammenfällt mit einer konjunkturellen und strukturellen Krise der Volkswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sinnvolle individuelle und kollektive Bedürfnisse können in steigendem Maße nicht mehr befriedigt werden. Mehr als zwei Millionen Arbeitslose, Überkapazitäten im Werte von weit mehr als 100 Milliarden Mark sowie an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten vagabundierendes Kapital von derzeit 13 bis 14 Milliarden Mark sind kennzeichnend für die ungeheuren Widersprüche im Wirtschaftssystem, die noch weiter zunehmen und die übrigens trotz des Einsatzes der "Planungstechnologie Computertechnik" nicht um einen Deut geringer geworden sind.

Kurzfristig ist die einzige Alternative, die letzte geschichtliche Möglichkeit zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit, die Arbeitszeitverkürzung, insbesondere die 35 Stunden-Woche. Sie gibt die Möglichkeit, insgesamt über 2 Millionen Arbeitslose wieder einzugliedern, da die kurzfristig realisierbaren Produktivitätssteigerungen ausgeschöpft sind. Mit Technik und insbesondere mit der DV-Technik kann man zwar scharf rationalisieren, nur nicht sofort. Für die Entwicklung eines Betriebsdatenerfassungs-Systems braucht man in der Regel mehrere Jahre betrieblicher Entwicklungszeit.

Vorübergehend 25 Stunden

Die 35-Stunden-Woche ist allerdings nur eine vorübergehende Maßnahme zur Behebung der Massenarbeitslosigkeit. Gerade im Zuge der weiteren Entwicklung der DV-Technik und gerade in den Produktionsbereichen wird weitere gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit abgebaut werden. Nimmt man Zahlen, wie sie die Siemens-Studie "Büro 1990" enthält oder Zahlen, wie sie im Zusammenhang mit der Roboterentwicklung inzwischen in der Diskussion sind, so kann man davon ausgehen, daß etwa Mitte der 90er Jahre pro Arbeitskraft in der Bundesrepublik Deutschland noch eine gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit von etwa 25 Stunden in der Woche verbleibt.

Die Computertechnik als flexible und gestaltbare Technologie macht eine selektivbewußte Gestaltung der Technik auch im Interesse der Beschäftigten durch Konstruktionsprinzipien wie die Modularität durch die notwendige Beteiligung der Fachabteilungen und der betroffenen Beschäftigten, durch die systematische lückenlose Erfassung aller Informationen und Kommunikationszusammenhänge im betroffenen Bereich, durch den dafür notwendigen Rückgriff auf das Wissen der Beschäftigten, durch die ständige Produktion technisch-organisatorischer Alternativen möglich.