1988: Die DV-Revolution läßt auf sich warten

08.01.1988

"Was ist die größte Herausforderung, die Sie 1988 auf sich zukommen sehen?" Mit dieser Frage konfrontierte die COMPUTERWOCHE zum Jahreswechsel Anwender aus den Bereichen Produktion, Dienstleistung und Verwaltung: Die Mehrzahl der Angesprochenen schwieg aus "strategischen" Gründen. "Wir wollen der Unternehmensleitung nicht vorgreifen". Bringen die bevorstehenden zwölf Monate also neue Trends und Entwicklungen, oder wird das "Menü 88" die bereits vertraute Geschmacksrichtung beibehalten? - "Synergie-Effekte nutzen", "Personal- und Technik-Ressourcen effizient einsetzen", "Desktop-Publishing" und "Integration": vier Anwender, vier Schlagworte, das ist die eher magere Bilanz des ersten Anwenderforums des neuen Jahres.

Hartmut Kittelberger

Geschäftsführer der Kittelberger GmbH, Lichtsatz EDV-Informationsverarbeitung, Reutlingen

Die Messen des zurückliegenden Jahres haben es gezeigt: Mit Desktop-Publishing ist dem Personal Computer eine zusätzliche Aufgabe zuteil geworden. Erschwingliche Software, die es ermöglicht,

Informationen aus dem Rechner so darzustellen, daß sie schnell erfaßt, verstanden und mühelos gelesen werden können, gibt es inzwischen in breiter Auswahl. Ist das eine Konkurrenz für die Druckereien?

Eine der Aufgaben im kommenden Jahr wird für Setzereien und Druckereien darin liegen, parallel zu der sich rasch vergrößernden Anwenderbasis bei Publikationssystemen, diese neue Technik zu begreifen und zu nutzen. Desktop-Publishing, also die Integration von Texten, Schriften, Bildern und grafischen Elementen in einem Dokument, wird für viele mittelständische Unternehmen und Abteilungen größerer Konzerne zu einem wichtigen Medium für die Darstellung der eigenen Produkte und Dienstleistungen oder die Information der eigenen Mitarbeiter oder Kunden avancieren. Daraus muß keine Konkurrenzsituation zu Druckereien und Setzereien entstehen.

Die Unternehmen des Druckgewerbes müssen deshalb zwei Dinge realisieren: Die höhere Druckqualität liefern nach wie vor die Lichtsatzmaschinen, die die Setzereien mit enormem finanziellen Aufwand installiert haben. Darüber hinaus müssen sie aber in Zukunft noch enger mit der DV-Welt verknüpfbar sein. Es reicht nun nicht mehr, Text-Files einzulesen und damit unnötige Mehrfacherfassungen zu vermeiden. Künftig müssen Setzereien auch die Gestaltungsvorgaben, wie sie mit den Desktop-Publishing-Systemen erstellt wurden, vollständig übernehmen können.

Gleichzeitig müssen die Fachleute aus dem Druckgewerbe eine neue Form der Beratung akzeptieren. Die Desktop-Publishing-Software ist zwar - im Vergleich zu den Setzmaschinen mit erheblichen Abstrichen - in der Lage, Gestaltungsvorhaben wie Schriftgröße und -art zu unterstützen. Sie hilft aber nicht bei der Frage, welche Schrift, welcher Umbruch für welche Zwecke am geeignetsten ist. Was da über den Laserdrucker ausgegeben wird, zeigt deutlich, daß hier nach wie vor die gestalterische Unterstützung der Setzer und Drucker vonnöten ist.

Elmar Traks

Abteilungsleiter Hamburger Hafen- und Lagerhaus-AG, Hamburg

Wenn wir nur wüßten, was es in unserem Haus bereits alles gibt - wir wären ja kaum zu schlagen! - Dieser Stoßseufzer kam zum Ende einer kritischen Software-Engineering-Diskussion von dem Mitarbeiter eines großen deutschen Herstellers, ist jedoch aus meiner Sicht fast beliebig übertragbar:

Wir haben in den Betrieben erhebliche Ressourcen an Personal und DV-Technik, jedoch genügt meist eine halbwegs kritische Analyse, um Beispiele dafür zu finden, daß

- einerseits Anwendungssysteme wesentlich effektiver eingesetzt werden können, als dies im betrieblichen Alltag geschieht,

- andererseits das Potential der verschiedenen Anwender nicht vollständig genutzt wird.

Dann aber stellt sich die Frage, inwieweit wir uns dem Ziel jeder Arbeitsgestaltung - nämlich Erhöhen der Effektivität des Systems - in der Praxis genähert haben. Werden bekannte Kriterien für erfolgreiche Software-Produkte, wie Verwirklichung des menschlichen Potentials, tatsächlich hinreichend berücksichtigt? Welche Möglichkeiten gibt es, den Nutzungsgrad der vorhandenen personellen und technischen Ressourcen noch zu verbessern?

Diese Fragestellungen haben wir untersucht Eines der wesentlichsten Ergebnisse hierbei war, daß mit wachsender Integration der Systeme die Nutzung zunehmend durch eine strukturelle Qualifizierungslücke beeinträchtigt wird, die durch folgende Sachverhalte gekennzeichnet ist:

- Die DV-Anwenderschulung ist meist noch nicht (ausreichend) in der innerbetrieblichen Personalausbildung berücksichtigt. Trainer-Teams mit der Mehrfach-Qualifikation Pädagogik, Informatik und betriebliche Anwendung sucht man vergebens.

- Die Einweisung durch Software-Entwickler im Rahmen der System-Einführung wird oft durch andere Projektzwänge (Termine, Kosten) beeinträchtigt und ist keinesfalls ein Schulungsersatz. Zudem fehlt hier meist die erforderliche pädagogische Erfahrung.

- Externe Schulung bietet hier auch keine ausreichende Lösung, da man zwar sehr wohl DV-, Fach- und Lehrkompetenz auf dem Markt kaufen kann, jedoch nicht die spezifische Kenntnis der betrieblichen Praxis.

Die Lücken zwischen diesen Schulungsmaßnahmen sind es, die dem Anwender die effektive Systemnutzung bei geänderten Aufgabenstellungen erschweren und den Nutzen flexibler DV-Konzeptionen zuweilen konterkarieren. So dürfte manches Unternehmen technisch zwar einen Rolls-Royce (CIx /CAx-Komponenten) besitzen, der jedoch von den Mitarbeitern mühsam geschoben werden muß, da der (Qualifizierungs-)Schlüssel fehlt. Daß andererseits auch Arbeitnehmer über 50 zu kompetenten DV-Anwendern entwickelt werden können, war ebenfalls ein Ergebnis unseres Projekts.

Die Technik setzt hier kaum noch Grenzen - die größte Chance liegt also darin, die Voraussetzungen für eine persönlichkeitsfördernde und effektivere Nutzung durch den Anwender zu verbessern!

Michael Behrens

Bereichsvorstand Bertelsmann Zentrale Informationsverarbeitung, Gütersloh

Im Jahre 1988 sind für die Bertelsmann Zentrale Informationsverarbeitung folgende Zielsetzungen vorrangig:

- durch Piloterprobung und Einsatz modernster Technik eine möglichst optimale Versorgung der Unternehmenseinheiten mit Informationssystemen sicherzustellen; beispielsweise auf den Gebieten des Electronic-Publishing, der Kommunikation und der Büroinformationssysteme.

- wo immer möglich, Synergie-Effekte zu nutzen; beispielsweise durch Konzerneinheitliche Standards zur IV-Technologie und zur IV-Architektur, durch das Initiieren von Gemeinschaftsprojekten sowie den Abschluß international geltender Rahmenabkommen mit wichtigen Herstellern.

- die IV-Kompetenz auf allen Ebenen anzuheben; durch Verstärkung des Inhouse-Management-Consulting, Schaffung von Kompetenz-Zentren auf für Bertelsmann strategisch wichtigen Gebieten der Informationsverarbeitung und eine Ausweitung des IV-Schulungsangebots gerade auch für die Management-Ebene.

- die Zusammenarbeit zwischen Fachabteilung und IV-Org. zu verbessern mit dem Ziel einer größeren Anwendernähe, einer engeren Zusammenarbeit und einer größeren Flexibilität.

Auch im Jahre 1988 werden wir uns der ständigen Herausforderung stellen, unseren Leistungsstandard durch Steigerung der Produktivität bei der Anwendungsentwicklung und im Rechenzentrum aufrecht zu erhalten. Dazu gehört auch eine Anhebung der Mitarbeiterqualifikation speziell auf neuen Gebieten der Informationsverarbeitung.

Thomas Weimar

Geschäftsführer Innova Consulting GmbH, Wiesbaden

Divide et impera - alt und immer wieder bewährt gilt dies auch im Zeitalter der Integration von DV-Anwendungen.

Die zunehmende Leistungsfähigkeit von Hardware und DB/DC-Systemen hat ebenso wie die Einbettung der Neuentwicklungen in eine strategische Informationsplanung die Forderung nach Integration der DV-Anwendungen zur Folge. Dies führt in vielen Fällen zu einer Form von Gigantismus bei der Festlegung der zu konzipierenden Systeme, durch den die Erfolgsaussichten wesentlich gemindert werden.

Mit den Methoden des Software-Engineering sind solche Großprojekte zu bewältigen und lassen die Ziele zur Anwendungsintegration realistisch erscheinen.

Großprojekte entwickeln sich aber in Dimensionen, die für viele Beteiligte Neuland sind und die damit häufig den vorgegebenen Rahmen und alle Zeitplane sprengen. Projekte verzögern sich zeitlich erheblich und sind teilweise durch die dramatische Innovationsgeschwindigkeit auf dem Hardware-Sektor überholt.

Abhängigkeit zeigen sich zwischen den beteiligten Personen, Abteilungen und Firmen. Selbst bei kooperativem Verhalten aller Projektmitglieder treten Koordinations- und Kommunikationsprobleme auf, die mit der Zahl und Verflechtung der Beteiligten sprunghaft zunimmt.

Aufgabe des Projektmanagements muß es sein, durch den Einsatz von Software-Engineering derart zu modularisierten - ohne Insellösungen zu schaffen -, daß mehrere kleine, beherrschbare und aufeinander aufbauende Teilprojekte entstehen. Diese müssen unabhängig zu planen, zu entwickeln und auch zu nutzen sein.