Gartner-Analyse

15 Mythen über Artificial Intelligence

21.08.2017
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
IT-Chefs sollten jetzt eine AI-Plattform (Artificial Intelligence) kaufen und bald gibt es die ersten Chief AI Officer. Das sind nur zwei von 15 sehr fragwürdigen Ansichten.
  • Beispiel KI-Systeme, die "selbstständig" Kundenanfragen beantworten: hier muss der CIO den CEO vor Missverständnissen bewahren
  • Anbieter wissen den Hype um Künstliche Intelligenz zu vermarkten
  • Nicht jedes Unternehmen muss in Sachen KI eine Führungsrolle einnehmen, sinnvoller kann sein, Best Practices abzuwarten und zu übernehmen
15 Glaubenssätze zu Künstlicher Intelligenz.
15 Glaubenssätze zu Künstlicher Intelligenz.
Foto: Tatiana Shepeleva - shutterstock.com

Dass Künstliche Intelligenz die Arbeits- und Alltagswelt verändern wird, stellen die Analysten von Gartner nicht in Frage. Sie nehmen aber in dem Papier "Hype hurts: Steering clear of dangerous AI myths" 15 Glaubenssätze unter die Lupe.

AI - von "Alternde Innovationen" bis "Amazing Innovations"

Gartner beobachtet in den Medien einen ausufernden Hype um AI. Oft wird noch nicht einmal definiert, was darunter zu verstehen ist. Die Analysten wandeln das Kürzel ironisch ab: AI reicht demnach von "alternden Innovationen", wie etwa einfache Formen des maschinellen Lernens, die als neu verkauft werden sollen, bis zu "Amazing Innovations", die mit futuristisch anmutenden Entwicklungen begeistern. Dazu zählen etwa Deep Neural Networks (DNN). Solche künstlichen neuronalen Netze sollen Aufgaben lösen können, die nicht als mathematische Regeln zu formulieren sind und von Menschen intuitiv bewältigt werden.

Die 15 Mythen

Mythos 1: "Kaufen Sie eine Künstliche Intelligenz und sie wird Ihre Probleme lösen."

Das ist für Gartner, umgangssprachlich ausgedrückt, Marketing-Geschwätz. Es gibt nicht "eine Künstliche Intelligenz", auch wenn Anbieter an Marken wie SAP Leonardo oder IBM Watson feilen. AI ist immer ein Bündel verschiedener einzelner Technologien. Gartner rät, Best-of-breed zu kaufen.

Mythos 2: "Jeder braucht eine AI-Strategie oder einen Chief AI Officer."

Gartner rät zum Rückblick. In den 1990er-Jahren erlebten grafische Benutzeroberflächen (GUIs) ihren Durchbruch, sie entwickeln und verbessern sich immer noch. Trotzdem hat kein Unternehmen eine GUI-Strategie oder einen Chief GUI-Officer.

Mythos 3: "Künstliche Intelligenz ist Realität."

Eine Formulierung, die Gartner differenzieren will. Einzelne Funktionalitäten, wie Spracherkennung und Fraud Prediction, sind Realität. Aber nicht "Künstliche Intelligenz" an sich. Die Analysten bringen hier eine Systematik von Howard Gardner ins Spiel. Der Pädagoge unterscheidet acht Arten der Intelligenz: sprachlich-linguistisch, logisch-mathematisch, musikalisch-rhytmisch, bildlich-räumlich, körperlich-kinästhetisch, naturalistisch, interpersonell (oder sozial) und intrapersonell. CIOs müssen definieren können, welche Lösung sie für welche Form der Intelligenz brauchen.

Der Pädagoge Howard Gardner schreibt dem Menschen acht Intelligenzen zu. Darunter auch intrapersonale und soziale (interpersonal), die KI-Systeme nicht abdecken können.
Der Pädagoge Howard Gardner schreibt dem Menschen acht Intelligenzen zu. Darunter auch intrapersonale und soziale (interpersonal), die KI-Systeme nicht abdecken können.
Foto: Gartner

Mythos 4: "Künstliche Intelligenz verfolgt eigene Ziele."

Tatsächlich verfolgt jedes System - etwa ein selbstfahrendes Auto - nur die Ziele, die ihm Menschen einprogrammiert haben.

Mythos 5: "Künstliche Intelligenz verfügt über menschliche Züge."

Hochentwickelte Data-Analytics-Software arbeitet daran, menschliches Verhalten möglichst genau vorherzusagen und mit dem Nutzer so zu kommunizieren, dass die Illusion eines menschlichen Gegenübers entsteht. Eine Illusion bleibt es dennoch.

Mythos 6: "Künstliche Intelligenz versteht kognitive Funktionen."

Diese Behauptung greift zu hoch. Systeme künstlicher Intelligenz führen nur die Funktionen aus, auf die sie programmiert sind. Welche Funktionen ein Unternehmen braucht, kann sich ständig ändern. AI muss also ständig neu programmiert werden.

Mythos 7: "Künstliche Intelligenz kann denken und argumentieren."

Gartner bezieht sich hier auf den Turing-Test. Der Informatiker Alan Turing hat menschliche Fragesteller über eine Tastatur und einen Bildschirm mit zwei unbekannten Gesprächspartnern eine Unterhaltung führen lassen. Die Anwender wussten nicht, welcher davon eine Maschine ist und welcher ein Mensch. Konnten sie die Maschine nicht als solche identifizieren, wurde dem KI-System ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen zugesprochen. Für Gartner ein Beispiel sehr guter Programmierfähigkeiten - aber kein Beweis dessen, dass ein KI-System denken könne wie ein Mensch.

Mythos 8: "Künstliche Intelligenz ist selbstlernend."

Auch hier gilt, dass das System in den Grenzen bleibt, die der Programmierer ihm setzt. Es gibt seinem Programmierer Feedback, aber welche Konsequenzen er daraus zieht, liegt beim Programmierer. Gartner warnt davor, den Aufwand zu unterschätzen, den ein Re-Training Künstlicher Intelligenz mit sich bringt. Sagt ein CEO, er habe von KI-Systemen gehört, die selbstständig Kundenanfragen beantworten, sollte ihn der CIO aufklären, appellieren die Analysten.

Mythos 9: "Deep Neural Networks (DNN) und Natural-Language Processing (NLP) kann man gut kombinieren."

Faktisch erfordern solche Systeme erheblichen Aufwand, und zwar während ihrer gesamten Einsatzdauer. NLP bezeichnet eine Technologie, mit der Texte oder Sprache in strukturierte Informationen codiert werden kann. Virtuelle Kundenberater zum Beispiel basieren darauf. Laut Gartner besteht die Herausforderung nicht nur darin, dass das System den Sinn der Kundenaussage verstehen muss. Das Unternehmen muss zum Beispiel auch entscheiden, wie es im Falle einer Beschwerde, eines Vorschlags oder eines Lobs vorgehen will. Jede mögliche Kundenabsicht erfordert das Definieren eines eigenen Workflows. Diese Workflows müssen permanent gemanagt werden. Ein Aufwand, der weit über die IT hinausgeht.

Mythos 10: "KI-basierte Computer sehen so gut (oder sogar noch besser) als wir."

Das stimmt nicht, erklärt Gartner. So können diese Systeme nicht unterscheiden, was an den Dingen, die sie sehen, wichtig ist und was nicht. Ihnen fehlt diese Bewertung, die der Mensch vornimmt. Manchmal "sehen" sie Dinge, die es nicht gibt.

Mythos 11: "Künstliche Intelligenz wird ihre Branche verändern - sichern Sie sich jetzt eine Führungsrolle!"

Dieser Anspruch passt nicht zu jedem Unternehmen. Für viele Firmen wird es besser sein, von den Best Practices anderer zu lernen. Eine Führungsrolle ist kein Wert an sich, der es rechtfertigt, auf das Abwägen von Kosten, Risiken und Nutzen zu verzichten. Generell rät Gartner, erst einmal innerhalb abgegrenzter Bereiche des eigenen Unternehmens mit Künstlicher Intelligenz zu experimentieren. Dabei sollten auch diese Experimente einen konkreten Business-Nutzen erfüllen.

Mythos 12: "Die besten Ergebnisse erzielt, wer jetzt eine AI-Rich Platform kauft."

Laut Gartner ist der Markt noch viel zu stark in Bewegung, um sich jetzt schon auf eine Plattform festzulegen. Wer heute als führender Anbieter gilt, kann in zwei Jahren zurückgefallen sein. Manche der aktuell verfügbaren Plattformen sind so komplex, dass die Gefahr eines Vendor-Lock-In hoch ist.

Mythos 13: "Investieren Sie massiv in führende AI-Technologien."

Eine riskante Aufforderung, so Gartner. Besser sei ein schrittweises Vorgehen.

Mythos 14: "Künstliche Intelligenz ist eine tödliche Gefahr (wahlweise: die Rettung der Menschheit)."

Die Möglichkeiten von Artificial Intelligence mögen Phantasien beflügeln, Realitäten sind selten so extrem. Dazu nur ein Beispiel: Zwar kann die Anatomie aller 302 Neuronen eines Fadenwurms nachverfolgt werden, aber in welcher Weise einzelne Neuronen welche Verhaltensweisen dieses Wurms beeinflussen, ist nach wie vor ein Rätsel.

Mythos 15: "Künstliche Intelligenz wird keine frostigen Zeiten erleben."

Gartner räumt ein, dass der Hype um AI Desillusionierungen und Enttäuschungen nach sich ziehen wird. Aber die Technologien werden sich weiterentwickeln. Es liegt am Anwender, vernünftig damit umzugehen.