Industrie 4.0 & Smart Factory

10 Tipps von Praktikern für Praktiker

07.03.2016
Von 


Franz E. Gruber, Jahrgang 1963, ist Gründer und Chef des Smart-Factory-Spezialisten FORCAM in Ravensburg. Der studierte Wirtschaftsingenieur war in den 1990er Jahren die rechte Hand von Dietmar Hopp bei SAP, bevor er im Jahr 2001 mit FORCAM als Pionier für Fabriksoftware startete, lange vor dem Begriff "Industrie 4.0".
Die Evolution Industrie 4.0 ist zur Revolution geworden: Fertigende Unternehmen benötigen jetzt schnell konkrete Tipps - durch einen systematische Knowhow-Transfer von digital erfahrenen Anwendern
  • Innovative und global tätige Unternehmen haben schon vor Jahren das Zeitalter der Smart Factory in ihren Fabriken eingeläutet. Auch bei Forschungsinstituten, Ministerien, Verbänden und Kammern steht die Industrie 4.0 inzwischen ganz oben auf der Agenda, die Zahl der Industrie-4.0-Events steigt rasant.
  • Kennzeichen der Smart Factory sind Echtzeit-Spiegelbilder der Produktion am Computer.
  • Die Installation der Smart-Factory-Technologie sollte mit einem "Piloten" beginnen, also in einem kleinen Teilbereich.
  • Die Kosten variieren je nach der Anzahl der anzuschließenden Maschinen, der benötigten Schulungen, der ausgewählten Technologie. Für ein Pilotprojekt mit zum Beispiel drei Maschinen sollten ab 20.000 Euro eingeplant werden.

Stille Nacht, smarte Nacht: Spätestens seit Weihnachten ist die digitale Revolution auch in deutschen Kinderzimmern angekommen. Loks, Rennautos, Kräne, Miniroboter - kaum ein Spielzeug mehr, das die Kinder nicht auch per Smartphone steuern können.

"App"-solut angesagt bei Kindern ist es, Spielzeug mit dem Smartphone zu steuern.
"App"-solut angesagt bei Kindern ist es, Spielzeug mit dem Smartphone zu steuern.
Foto: p_ponomareva - shutterstock.com

Gleichzeitig kommt es manchem Geschäftsführer in Deutschland noch wie Zukunftsmusik vor, dass sich heute auch Maschinen und Fabriken per Tablet oder Smartphone steuern lassen. Schlimmer noch: Mancher Manager sieht in der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft noch immer eine Art Modeerscheinung.

Das ist grundfalsch. Egal, ob von "Industrie 4.0", "Internet of Things" oder "Smart Factory" die Rede ist: Die Digitalisierung ist eine zwingende Marktvoraussetzung geworden, um in Zukunft überhaupt noch Geschäft zu machen. Denn für die fertigende Industrie geht es bei der Digitalisierung um harte, erfolgskritische Fakten: um höhere Produktivität, um einen höheren Return on Investment, um mehr Wettbewerbsfähigkeit, um höhere Standort- und Arbeitsplatzsicherheit.

Es tut sich viel, aber wir sind noch zu langsam

Zum Glück bewegt sich viel im digitalen Deutschland. Innovative und global tätige Unternehmen haben schon vor Jahren das Zeitalter der Smart Factory in ihren Fabriken eingeläutet. Auch bei Forschungsinstituten, Ministerien, Verbänden und Kammern steht die Industrie 4.0 inzwischen ganz oben auf der Agenda, die Zahl der Industrie-4.0-Events steigt rasant. Lernfabriken und ein Netzwerk von Industrie-4.0-Zentren in wissenschaftlichen Einrichtungen für den Mittelstand sind entstanden oder im Aufbau.

Mit dem Tablet in der Produktionshalle: Die "smarte Fabrik" hält immer mehr Einzug.
Mit dem Tablet in der Produktionshalle: Die "smarte Fabrik" hält immer mehr Einzug.
Foto: bikeriderlondon - www.shutterstock.com

Das alles ist gut so. Doch wir sind noch viel zu langsam. Zwar sieht eine Mehrheit der mittelständischen Unternehmen in der Digitalisierung die derzeit größte Herausforderung. Gleichzeitig aber, so zeigen Umfragen ebenfalls, setzt bisher nur eine Minderheit der Unternehmen tatsächlich digitale Technologien wie Big-Data-Verarbeitung oder Cloud Computing ein.

10 Tipps von Praktikern für Praktiker

Wie lässt sich das ändern? Voranbringen würde den Standort Deutschland ein regelmäßiger und institutionalisierter Erfahrungsaustausch von Praktikern für Praktiker in jedem Bundesland - konkret, schnell, kostengünstig. Denn nichts ist glaubwürdiger als der Rat von versierten Praktikern an interessierte Unternehmer. Ein Knowhow-Transfer von Kollege zu Kollege ist nach aller Erfahrung der beste Weg, Hemmschwellen gegenüber neuer Hightech schnell abzubauen.

Beispiel für solche Praxistage sind vorhanden - und damit Antworten auf viele Fragen, die sich zögernde Unternehmen noch stellen. Mein Unternehmen hat sehr gute Erfahrung mit Knowhow-Transfer von Praktikern für Praktiker gemacht. Folgende Antworten gaben verantwortliche Projektmanager aus Unternehmen bei unseren Produktivitätskongressen:

Was zeichnet eine Smart Factory aus?

In der Smart Factory kommunizieren Teile und Maschinen untereinander sowie mit den browserfähigen Endgeräten der Bediener. Sie können Fehler sofort erkennen und beheben. Eine einheitliche Steuerung auf einer IT-Plattform mit Echtzeit-Transparenz wird möglich, Planung und Produktion (Top und Shop Floor) laufen synchronisiert, auch über Länder-, Sprach- und Zeitzonengrenzen hinweg.

Kennzeichen der Smart Factory sind Echtzeit-Spiegelbilder der Produktion am Computer. Mit solchen Cyber-Physical-Systems können Unternehmen ihre Fabriken virtuell analysieren und real optimieren. Dazu wird eine Hochleistungstechnologie benötigt, die "Big Data" in Höchstgeschwindigkeit in "Smart Data" verwandelt sowie web- und cloudbasiert arbeitet.

Wie erreiche ich die Akzeptanz der Belegschaft?

Es ist ein komplexes Projekt, eine "Erlebnisreise", die eine gute Planung und gutes Management benötigt. Hauptaufgabe ist es, die Belegschaft davon zu überzeugen, dass es eine Lösung für den Standort ist, nicht gegen ihn. Gute Argumente dafür sind, dass die neue Technologie keine Kapazitäten bindet, sondern welche schafft. Künftig kann man disponieren statt zu improvisieren.

Das Projekt muss Chefsache sein. Es gilt, einen modernen Change-Prozess zu organisieren und in der Produktionslogistik aufzuräumen, was über Jahrzehnte in den Fabrikhallen ,gewachsen´ ist. Alle Führungskräfte und Mitarbeiter sind frühzeitig über den Transformationsprozess einzubeziehen, zu informieren und zu schulen. Die Mitarbeiter verstehen sehr schnell, dass das Arbeiten mit neuer Technologie leichter und besser wird. Organisiert werden sollte das Projekt cross-funktional unter Einbindung von Lieferanten.

Was muss eine smarte Technologie können?

Das grundlegende Kriterium für die Einführungtsphase einer Smart-Factory-Technologie sollte sein, dass die Hauptproduktion reibungslos weiterlaufen kann. Die Lösung muss daher ein modulares Konzept bieten - also die Möglichkeit, flexibel und in Schritten eine neue IT-Architektur aufzubauen. Zweitens muss die neue Technologie heterogene Maschinenparks, also Maschinen unterschiedlicher Hersteller und Jahrgänge, problemlos an eine Plattform anbinden können.

Drittens sollte die Technologie Big-Data-Verarbeitung in Echtzeit sowie alle wichtigen Schnittstellen wie MTConnect bieten - ein internationaler Kommunikationsstandard für das Lesen von Informationen von Werkzeugmaschinen und anderen Anlagen. Viertens muss die Lösung eine größtmögliche Visibilität bieten: Jeder in seinem Verantwortungsbereich muss anhand genauer Kennzahlen in Echtzeit am seinem Computer sehen, wo etwas hakt. Fünftens sind historische Maschinendaten wichtig - ohne historische Analysen kann ein Fabrikteam nicht besser werden.

Für Unternehmen, die international an mehreren Standorten produzieren, kommt als sechste Anforderung hinzu, dass die Technologie reibungslos alle Sprachen, Zeitzonen und Rechneruhren berücksichtigen können muss.