Anwender wollen PPS-Systeme unter Unix, aber

1:1-Portierung auf Unix bringt keinen Zusatznutzen

12.10.1990

Viele Softwarehäuser versuchen, vorhandene CIM-Komponenten möglichst schnell auf "Standards" wie das Betriebssystem Unix beziehungsweise ein relationales Datenbank-System mit SQL-Schnittstelle umzustellen. Auf der anderen Seite komplettieren Computer-Hersteller ihre CIM-Produkte, die unter den Hersteller-spezifischen Betriebssystemen laufen, mit Unix-fähigen Produkten. Das Nachdenken betrifft aber nicht nur die Betriebssysteme, sondern auch die "Rechner-Hierarchie". Sollte zum Beispiel ein PPS-System ganz auf einem Großrechner laufen oder auf einem Bereichs-Rechner oder verteilt auf beiden? Über diese Aspekte sprach für die COMPUTERWOCHE Fritz j. Schmidhäusler* mit Heinz-Günter Kirschen, Leiter Branchenmarketing Fertigungsindustrie bei der NCR GmbH.

CW: Die Kooperationen von Computer-Herstellern mit Softwarehäusern haben im CIM-Bereich in den letzten zwei Jahren stark zugenommen. Dabei gewinnt man den Eindruck, daß viele Produkte nur deshalb "eingekauft" werden, weil sie unter dem Betriebssystem Unix laufen; sie sollen also die bisherige Fertigungssoftware", die unter dem jeweiligen Hersteller-spezifischen Betriebssystem läuft, ergänzen. Wäre es nicht einfacher, Vorhandene CIM-Produkte, die unter einem Hersteller-spezifischen Betriebssystem laufen, auf Unix-Rechner zu portieren, als zusätzlich eine zweite PPS- oder CAD-Software aufzunehmen? Oder sind die vorhandenen CIW-Komponenten sowieso überholungsbedürftig?

Kirschen: Eine Lösung nur deshalb einzukaufen, weil sie unter Unix läuft, halten wir für falsch. NCR ist zwar einer der ersten Anbieter von Unix-Systemen gewesen aber deshalb nicht blind gegenüber der Tatsache, daß

viele Lösungen unter Unix noch keine ausreichende Funktionalität für anspruchsvolle Anwender bieten. Eine 1:1-Portierung vorhandener Lösungen auf Unix bringt auch keinen Zusatznutzen für den Anwender. Wir glauben, daß man die vorhandenen Anwendungen mit modernen 4GL-Tools überarbeiten sollte. Dabei müssen für die Anwender Wege aufgezeigt werden, die die getätigten Investitionen langfristig schützen.

CW: Die Forderung der Anwender nach Unix-Lösungen zwingt aber manche Softwarehäuser, ihre PPS-Software umzustellen, obwohl sie Nachteile darin sehen. So meinte der Inhaber eines Softwarehauses, der Einsatz von Unix für den Fertigungsbereich habe den Nachteil, daß einerseits das Antwortzeit-Verhalten nicht so gut sei wie unter dem Hersteller-spezifischen Betriebssystem, und daß andererseits die Zahl der artschließbaren Arbeitsplätze für die Fertigung oftmals (noch) zu gering sei. Was meinen Sie dazu?

Kirschen: Dem stimme ich völlig zu. Wir sind einer der größten Hersteller von Unix-Systemen der Welt, trotzdem halten wir es im Moment auch für richitiger, Lösungen unter Unix im Sinne von Abteilungs-Lösungen zu installieren. Das geht natürlich nur, wenn man über eine Rechnerfamilie verfügt, die mittels Standards, zum Beispiel Datenbanken oder TCP/IP-Protokoll, die Einbindung in offene System-Konzepte ermöglicht.

CW: Die Tatsache, daß ein großer Teil der vorhandenen PPS-Systeme noch nicht unter Unix läuft stellt Unix-orientierte Anwender vor ein Problem, wenn sie ein bestimmtes PPS-System wollen. Ein Anbieter schlug vor, dem Anwender, zuzusichern, daß er seine PPS-Software später gegen eine Unix-Version umtauschen und dadurch nutzen könne, daß er den vorhandenen Prozessor im "PPS-Rechner" gegen einen Motorola-Prozessor austausche. Halten Sie dieses Verfahren für realistisch?

Kirschen: So einfach ist das sicherlich nicht machbar. Jedem der die schon aus Umstellungen auf neue Betriebssystem-Releases resultierenden Detailprobleme kennt, wird das klar sein.

CW: Was nun die Netz-Software beziehungsweise "Netz-Betriebssysteme" angeht, so ist das Angebot im PC-Bereich zwar sehr vielfältig; aber kann man die im Bürobereich eingesetzten LANs einfach in den Fertigungsbereich übernehmen?

Kirschen: Die Umgebungsbedingungen in den Fertigungsbereichen stellen eindeutig höhere Ansprüche an die Netze. Auf der Hannover-Messe Industrie zeigten wir, wie man mit Netzen in Breitband- und Lichtwellenleiter-Technik diesen Ansprüchen gerecht werden kann.

CW: Die typischen LANs mit Bus- oder Ring-Struktur sind für sich gesehen zwar hierarchielos, aber sie können die unterste Ebene einer "Rechner-Hierarchie" bilden. Im Verwaltungsbereich gibt es schon heute "Rechner-Hierarchien", bei denen auf einen Großrechner an der Spitze die Ebene der Bereichs-/Abteilungs-Rechner folgt, unter denen dann die Ebene der in LANs eingebundenen Arbeitsplätze liegt. Können Sie sich eine solche Organisation auch im CIM-Bereich vorstellen?

Kirschen: Zukünftig werden mindestens drei Rechner-Hierarchien die Regel sein. Dabei bilden Arbeitsplatz-Rechner die unterste Ebene; sie greifen über Abteilungs-Rechner auf den Werks-Rechner zu.

CW: Durch diese Hierarchie-Ebenen ließe sich auch eine "Betriebsystem-Architektur" aufbauen, bei der der Großrechner unter einem Hersteller-spezifischen Betriebssystem arbeitet, die Bereichs-/Abteilungs-Rechner unter Unix, und die Arbeitsplätze eventuell unter MS-DOS oder OS/2. Ist das für Sie eine Alternative zu einem reinen "Unix-CIM-System "?

Kirschen: Ja, so stellen wir uns die CIM-Konzepte vor. Wir schließen allerdings nicht aus, daß in einigen Jahren leistuligsstarke Rechner mit standardisierten Betriebssystemen wie Unix als Werks-Rechner eingesetzt werden.

CW: Die Bildung einer "Rechner-Hierarchie" beziehungsweise die Erstellung von Subsystemen mit Bereichs-/Abteilungs-Rechnern legt dem Gedanken nahe, dabei auch das "PPS-System " aufzulösen" und beispielsweise Sub-Systeme für Arbeitsvorbereitung (AV), Lager-/ oder Qualitäts-Sicherung zu bilden. Könnte das ein zukünftiger Trend sein, der gleichzeitig auch die PPS-Systeme transparenter macht?

Kirschen: Die Datenstruktur von PPS-Systemen, die den Verkauf und Einkauf einschließen und die Möglichkeit der Auftragssimulation bieten, erfordern - zur Vermeidung von redundanten Daten - verteilte Datenbanksysteme. Diese stehen in der erforderlichen Ausprägung noch nicht zur Verfügung. Mit Sicherheit aller ist die Verteilung von Einzelaufgaben auf mehrere Rechner ein zukünftiger Trend.

*Fritz J. Schmidhäusler ist freier Fachjournalist für Informationstechnik und Bürokommunikation, Mönchengladbach.