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Bitkom: "Wir dürfen die Arbeitsmarktsituation nicht schön reden"

15.03.2007
Viele Firmen könnten offene Stellen nicht besetzen, kritisierten Vertreter des Branchenverbands. Die Schuld dafür geben sie der mangelhaften Ausbildung sowie den restriktiven Regelungen für die Zuwanderung von Fachkräften.

"Aktuell gibt es 20.000 Stellen offene Stellen zu besetzen", bilanzierte Willi Berchtold, Präsident des Bundesverbands der Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), zum diesjährigen CeBIT-Auftakt. Gesucht würden vor allem Softwareentwickler, IT-Berater, Projekt-Manager und Vertriebsspezialisten. Allerdings hätten die Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Laut einer Umfrage fühlte sich die Hälfte der vom Bitkom befragten Firmen durch diese Schwierigkeiten in ihrem Wachstum gebremst. 57 Prozent könnten IT-Stellen gar nicht oder erst erheblich später als geplant besetzen. "Das sind alarmierende Werte, die uns zum Handeln zwingen", warnte Berchtold.

Vor allem die Ausbildungssituation prangerte der Bitkom-Präsident an. Zwar habe die Bundesregierung die Branche im vergangenen Jahr mit Initiativen und Programmen wie beispielsweise der Hightech-Strategie, dem Programm "iD2010" sowie dem IT-Gipfel verwöhnt. Das Thema Bildung habe dabei jedoch nur eine untergeordnete Rolle gespielt, klagte Berchtold. Er kritisierte die Regierung, die Kompetenzen in der Bildungspolitik an die Länder abgegeben zu haben. Dies sei ein Fehler gewesen. Bildung müsse Angelegenheit des Bundes sein.

"Die Wirtschaft braucht mehr technisch orientierte Hochschulabsolventen", stellte der Verbandspräsident klar, insbesondere Informatiker und Ingenieure. Seit dem Jahr 2000 sei die Zahl der Studienanfänger im Bereich Informatik um ein Viertel eingebrochen. Von diesen schlage sich zudem nur die Hälfte bis zum Abschluss durch. "Die Politik muss hier gegensteuern", forderte Berchtold Konsequenzen von der Bundesregierung.

Die notwendigen Grundlagen sollten dem Bitkom zufolge bereits in der Schule gelegt werden. Dort müsste mehr Begeisterung für Technik geweckt und mehr Zeit für naturwissenschaftliche Fächer verwandt werden. Berchtold verwies in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse der Pisa-Studie, wonach Deutschland in Mathematik abgeschlagen auf Platz 19 landet und in den Naturwissenschaften lediglich Rang 18 einnimmt. Zudem sei die Ausstattung der deutschen Schulen mit Computern und schnellen Internetzugängen miserabel. "Das ist nicht akzeptabel."

Aber auch das Informatikstudium müsse attraktiver werden, fordern die Lobby-Vertreter. Die Informatikstudiengänge sollten von theoretischem Ballast befreit und den Erfordernissen der Zeit angepasst werden. Es genüge nicht, Vorlesungen und Kurse neu zu sortieren. Vielmehr müssten die Studiengänge mehr Praxisbezug bekommen. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, kündigte Berchtold einen runden Tisch an. Hier sollen hochrangige Vertreter der ITK-Wirtschaft sowie Wissenschaftler beraten, wie sich die Situation verbessern lässt. Die Hoffnung, schnell etwas zu ändern, hat Berchtold allerdings aufgegeben. "Bis Veränderungen im Bildungssystem greifen, vergehen Jahre."

Neben der Bildungsmisere sind dem Bitkom zufolge auch die aktuell geltenden Zuwanderungsregeln ein Grund für den Personalengpass. Die seit 2005 geltenden Paragraphen hätten sich als Gesetz zur Verhinderung von Zuwanderung entpuppt. Ausländische Fachkräfte müssten mindestens 84.000 Euro pro Jahr verdienen, wenn sie langfristig in Deutschland bleiben wollten. Unternehmen dürften sich nur dann hierzulande niederlassen, wenn sie mindestens eine Million Euro investierten und zehn Arbeitsplätze schafften. "Das schreckt ab." Berchtold forderte die Einkommensgrenze auf 42.000 Euro zu halbieren.

Die Aufforderung von Arbeitsminister Franz Müntefering, Firmen sollten sich angesichts von tausenden arbeitsloser Ingenieure zuerst auf dem heimischen Arbeitsmarkt umsehen, kontert Berchtold mit dem Hinweis darauf, dass die Arbeitslosenquote von IT-Spezialisten nicht einmal drei Prozent betrage. "Das ist nahezu Vollbeschäftigung."

Um ihre Beschäftigung fürchten dagegen zehntausende von Arbeitnehmern in der ITK-Branche beispielsweise bei der Deutschen Telekom. Angesichts des drohenden massiven Stellenabbaus und Pleiten wie der von BenQ Mobile, wodurch tausende von Mitarbeitern ihren Job verloren, lassen Berchtolds Analyse des Arbeitsmarkts zumindest fraglich erscheinen. "Wir sehen starke strukturelle Veränderungen", räumte der Verbandspräsident allerdings ein. So gehe die Beschäftigung in der hiesigen Hardware-Produktion zurück, und auch die Telekom müsse restrukturieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. "Daran führt kein Weg vorbei." (ba)