Mobility – von der Pflicht zur Kür

29.11.2007
IT-Entscheider haben gute Gründe, die mobile Anbindung der internen Anwender und teils auch der Kunden zu verbessern.

Nach einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung Scientific Consulting Partner (Scopar) treiben die Vorstandsebenen im technischen Umfeld vordergründig Themen rund um die Organisation und Governance der IT um. Dies muss jedoch nicht unbedingt heißen, dass CIOs so handfeste Dinge wie den Aufbau einer mobilen Infrastruktur auf die leichte Schulter nehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist Dirk Ostermann, CIO der Deutschen Steinkohle AG (DSK). Er bezeichnet sein Projekt "IT Infrastruktur, beziehungsweise mobile Kommunikation unter Tage" als das wichtigste der vergangenen Jahre. Hintergrund dafür ist, dass der Untertage-Betrieb eines deutschen Steinkohlebergwerkes strengsten behördlichen Auflagen in puncto Sicherheit (etwa Explosionsschutz) unterliegt, besonders bei elektrischen und elektronischen Anlagen. Es ist daher nicht möglich, moderne IT einfach so unter Tage zu bringen, wie sie ist. Vielmehr bedarf es einer Reihe von technischen Abänderungen der Geräte, gefolgt von behördlich angeordneten Untersuchungen, bis das Equipment eine Zulassung bekommt und eingesetzt werden darf.

Für den Grubenbereich mussten Netzkomponenten und Endgeräte erst aufwändig entwickelt und zugelassen werden (Foto: DSK).
Für den Grubenbereich mussten Netzkomponenten und Endgeräte erst aufwändig entwickelt und zugelassen werden (Foto: DSK).

Ostermann setzte den Wunsch, moderne IT, beziehungsweise erst einmal die dafür notwendige IT-Infrastruktur in das Bergwerk zu bringen, mit einem LWL-Netz (LWL = Lichtwellenleiter) in die Tat um. Gilt diese Technik über Tage als gängig, mussten für den Grubenbereich Umsetzmodule, Medienkoppler, Verteilereinheiten und andere Komponenten erst aufwändig entwickelt und zugelassen werden, genauso wie die entsprechenden Endgeräte (PCs inklusive Monitoren, Tastaturen und Maus).

Damit nicht genug, galt es, spezielle schlagwettergeschützte Pocket-PCs für die Bereiche Wetter- und Vermessungstechnik, Betriebsstudien und Materiallogistik zu entwickeln und einzuführen. Eine weitere Aufgabe war die Entwicklung und Realisierung der mobilen Kommunikation mit WLAN-Technologie unter Tage. Für mobile Endgeräte wie Pocket-PCs (PDAs) wurden spezielle, für die Arbeit unter Tage zugelassene Access Points entwickelt, die es ermöglichen, Daten via WLAN an das LWL-Netz abzugeben oder aus ihm aufzunehmen. Zum Beispiel können von über Tage aus Dokumente (Zeichnungen und Schaltpläne), Videosequenzen und Kurznachrichten (SMS) versendet und über WLAN auf die Pocket-PCs unter Tage übertragen werden. Zum Ende der Projektzeit wurden konsequenterweise Geräte entwickelt, die eine drahtlose Kommunikation nach über Tage herstellen können. Ein Handy oder eine Webcam sind in der IT-Welt heute nichts Besonderes, aber ein Unter-Tage-Handy oder eine Unter-Tage-Helmkamera schon etwas sehr Innovatives, so Ostermann.

DSK-CIO Dirk Ostermann bezeichnet das Mobility-Projekt als strategisch, auch für die IT.
DSK-CIO Dirk Ostermann bezeichnet das Mobility-Projekt als strategisch, auch für die IT.

Mittlerweile stehen den Bergleuten in den acht Bergwerken der DSK unter Tage etwa 260 PCs, 500 PDAs und 200 Access Points zur Verfügung, um ihre Arbeit mit IT-Unterstützung zu erledigen. Aber auch hier geht die Entwicklung weiter. So werde zurzeit daran gearbeitet, die Reichweite der Access Points durch den Einsatz von Leaky-Line-Antennentechnik zu erweitern, erklärt Ostermann. Dabei handelt es sich im Prinzip um ein Koaxialkabel, welches an vordefinierten Stellen über WLAN-Abstrahlöffnungen verfügt. Eine Leaky-Line-Antenne ist ideal für den Einsatz in Abzweigen, Kurven, zwischen und auch hinter Wettertüren (Stahltüren) und im Streb (Kohleabbaubereich) unter Tage.

Die IP-Telefonie unter Tage über WLAN mittels Pocket-PC ist grundsätzlich möglich, aber noch nicht im Einsatz. Nachdem Tests ergeben hätten, dass die Akkulaufzeit dadurch erheblich zurückginge, erfolge nun die Entwicklung eines verbesserten Endgeräts, berichtet der IT-Manager. Dieses könne dann freihändig und unabhängig vom Pocket-PC betrieben werden. Im Fokus sei dabei ein Szenario, bei dem ein Monteur unter Tage eine defekte Maschine repariere und dabei telefonisch Anweisungen vom Wartungsdienst erhalte, erklärt Ostermann. Mit von der Partie sei eine mobile WLAN-Kamera, die parallel Bilder nach oben übermittelt – diese benötige aber noch die behördliche Zulassung.

Das Mobility-Projekt bezeichnet der DSK-CIO als strategisch, auch für die IT. Die Lösung unterstütze unmittelbar das Kerngeschäft Kohleabbau. Die Vorgaben kämen jedoch vom Business, erklärt er. Die mobile Infrastruktur flächendeckend zum Einsatz zu bringen, habe hohe Investitionen verlangt. Da Kohleproduktion und Personal bis 2018 möglicherweise auf null zurückgesetzt werden, erscheinen diese Ausgaben zunächst widersinnig, so der DSK-CIO. Sie sind jedoch erforderlich, um bis dahin die Folgen des kontinuierlichen Personalabbaus im Bergbau einzudämmen. Letztendlich würden sich die Investitionen somit lohnen.

Die richtigen Weichen gestellt

Auch für Andreas Dietrich, IT-Chef der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), nimmt Mobilität einen besonderen Stellenwert in der IT-Strategie ein. Weil 80 Prozent aller Mitarbeiter in der Fläche arbeiten, sei Mobile Computing ein Hauptthema für die SBB.

Andreas Dietrich, SBB-CIO: 'Mobile Computing bedeutet, dass Applikationen standortunabhängig nutzbar werden.'
Andreas Dietrich, SBB-CIO: 'Mobile Computing bedeutet, dass Applikationen standortunabhängig nutzbar werden.'
Foto: Andreas Dietrich

Im Zuge der geplanten Öffnung des Bahnmarktes in der Schweiz sieht Dietrich in mobilen Lösungen einen Weg, um dem zunehmenden Konkurrenz- und damit auch Leistungsdruck gewachsen zu sein. So verlange der heutige Bahnkunde zunehmend nach Einfachheit und erhöhter Mobilität. Die Informatik habe dafür zu sorgen, dass sie die anbietergetriebenen Einzellösungen durch integrierte, durchgängige Angebote aus Kundensicht ablöst. Außerdem werde der Reiseweg vermehrt zum mobilen Arbeitsplatz für viele Bahnreisende.

Aber nicht nur die Kunden, auch die SBB-Mitarbeiter im Bahnumfeld sind darauf angewiesen, ortsunabhängig auf Unternehmensdaten und -applikationen zugreifen zu können. Die Versorgung mit einer breitbandigen und durchgängigen Kommunikationsinfrastruktur (Netzkonvergenz) wird daher zunehmend wichtiger. Eines der zentralen Innovationsfelder der SBB ist daher das Thema Mobilität/Luftschnittstelle. Es hängt eng mit den Gebieten Kundeninformation und Lokalisierung, Identifikation sowie Ticketing zusammen. Der Bahnkunde soll vor, während und nach der Reise optimal informiert (im Regel- wie auch im Störungsfall), betreut und mit Netzzugang versorgt sein. Außerdem soll er für den Ort, an dem er sich befindet, die Informationen erhalten, die er braucht (Location Based Services).

Im Rahmen der Informatikstrategie der SBB ist zudem ein strategisches Programm "Arbeitsplatz und Mobilität" geplant. Dieses bezweckt den Aufbau eines modernen elektronischen Arbeitsplatzes (inklusive Kollaborations-Tools) sowie die Entwicklung einer mobilen Arbeitsplattform. Mobile Computing bedeute, dass Applikationen standortunabhängig nutzbar würden, erklärt Dietrich. Mit ihren aktuellen Projekten sei die SBB diesbezüglich sehr fortschrittlich und auf dem richtigen Weg oder - um im Bild zu bleiben – auf dem richtigen Gleis.

Saubere Lösung

Nach Bekunden von CIO Martin Urban wird Mobility langsam relevant für die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), nicht in den Kernprozessen, aber in Supportbereichen wie der Qualitätssicherung in der Straßenreinigung. Sicherheitsaspekte der Mobilität gewännen dabei erheblich an Bedeutung. Konkret engagieren sich die BSR unter anderem im mobilen Flotten-Management, wo eine fortlaufende Weiterentwicklung in Einzelprojekten stattfindet. Seit 2004 werden die Kraftfahrzeuge mit Bordcomputern, WLAN zur Kommunikation mit den Bordcomputern, GPS-basierender Tourenplanung und Funktionen zur Rückmeldung ausgestattet. Letztere erfolgt auch über GPRS/UMTS, wenn eine sofortige Kommunikation erforderlich ist. Hinzu kommen diverse Projekte für jeweilige Spezialaufgaben. Dazu zählt seit 2005 der Winterdienst, wo es gilt, minutengenau nachzuweisen, wann wo gestreut wurde. Bei der von den BSR verwendeten Lösung hält ein GPS-Navigationssystem die Fahrtroute fest, am Streuer wird genau die Streumenge abgelesen. Die Daten lassen sich anschließend über eine WLAN-Anbindung in das zentrale System einspeisen. Zudem lässt sich im Containerdienst die Fahrzeugflotte flexibel steuern, seit 2006 ermöglichen im Reinigungsdienst mobile Lösungen eine automatische Rückmeldung der erbrachten Leistungen.

Das Thema Funketiketten (RFID) ist für BSR-CIO Urban ebenfalls interessant, wenngleich er es – mit Blick auf Transponder an der Mülltonne – als einen in der Abfallindustrie "recht alten Hut" bezeichnet. Nichtsdestotrotz stelle RFID die Grundlage für zahlreiche Logistik- beziehungsweise Telematikprojekte und komme auch im Asset-Management zum Einsatz. (mb)