2007: Der Markt für Enterprise-Content-Management - Vom Hype zur Lebensader

28.09.2007
Von Jörg Dennis Krüger
Enterprise-Content-Management (ECM) hat sich von einem Hype-Begriff und Buzzword schnell zu einer ernst zu nehmenden IT-Disziplin gewandelt.

Als die Bezeichnung ECM neu war, haben viele Softwarehersteller sie wahllos zur Werbung verwendet, getreu dem Motto "Enterprise ist besser". Dabei war mit dem Begriff nie gemeint, dass ECM-Lösungen nur besonders große Content-Management-Lösungen sind. Vielmehr drückt er aus, dass sämtliche Unternehmensinhalte (eben der ganze "Enterprise Content") verwaltet werden. Hier hat die Realität das Marketing überholt. Jedes moderne Unternehmen muss sämtliche vorhandenen Informationen jederzeit verfügbar haben. Wenn es das nicht tut, ist dies ein wirklicher Wettbewerbsnachteil und je nach Branche existenzbedrohend. Ganz abgesehen von großen Einsparungen, die Enterprise-Content-Management richtig gemacht verspricht.

Der Markt hat sich entsprechend gewandelt. Es wird nicht mehr klar zwischen "Dokumenten-Management" (DMS) oder "Content Management" (CMS) unterschieden, sondern es werden Lösungen geboten, die darauf ausgerichtet sind, mehr als nur eine Art von Inhalten zu verwalten. Dies muss jedoch differenziert betrachtet werden denn Enterprise-Content-Management ist primär kein Softwarethema. ECM ist zunächst Strategie und erst im zweiten Schritt Software.

Marktanteile ECM-Software-Anbieter in Westeuropa 2006 nach Umsatz (Quelle: Gartner)

Hersteller

Marktanteil (in Prozent)

1. IBM-Filenet

24,6

2. OpenText-Hummingbird

22,7

3. EMC Documentum

13,0

4. Interwoven

4,5

5. Vignette

3,2

6. Oracle-Stellent

1,8

7. Mobius

1,8

8. Microsoft

1,4

9. Hyland

0,2

10. Andere

26,8

In den letzten zwölf Monaten haben immer mehr Unternehmen das bemerkt. Sie sind den Weg gegangen, eine eigene Strategie für Enterprise-Content-Management zu entwickeln. Denn genauso, wie jedes Unternehmen seine ganz eigenen Anforderungen an Enterprise Resource Planning (ERP) hat, so sind es auch ganz individuelle Anforderungen, die jedes Unternehmen an die Verwaltung seiner Daten, Inhalte und Dokumente stellt.

Deshalb differenziert sich der Markt für ECM-Software zunehmend in zwei Bereiche. Da gibt es zum einen die "klassischen" ECM-Anbieter wie beispielsweise Opentext oder ECM/Documentum. Sie verfolgen die Strategie, möglichst alle Bestandteile für Enterprise-Content-Management aus einer Hand anzubieten. Sie haben durch Zukäufe eine umfangreiche Palette an Lösungen für jeden Bestandteil von Enterprise-Content-Management aufgebaut und verkaufen sie dem Kunden als Komplettlösung.

Spezialisierte Anbieter

Zum anderen gibt es spezialisierte Anbieter von bestimmten Komponenten des Enterprise-Content-Managements. ECM ist sehr komplex und allein einzelne Teilbereiche, wie beispielsweise das Input- oder Output-Management sind so speziell, dass hierauf fokussierte Unternehmen ein gutes Überleben haben. Diese Spezialanbieter leben von guten, standardisierten Schnittstellen. Sie werden, je nach den individuellen Anforderungen des Kunden, im Projekt in die Gesamtlösung, also das ECM-Konzept, integriert.

Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile. Die ECM-Suiten versprechen eine schnelle Einführung mit möglichst wenig zusätzlichem Integrationsaufwand. Sie bieten dafür aber nicht in jeder Teildisziplin den hohen Detailgrad der Umsetzung, wie man ihn von Speziallösungen gewohnt ist. Diese wiederum sind zwar in ihrem Bereich oft sehr gut, es kostet aber viel, sie in die Gesamtlandschaft zu integrieren.

Die Wahrheit liegt also irgendwo in der Mitte. Dies ist jedoch bei den Anbietern von ECM-Suiten, denen sich durch massive Zukäufe in den vergangenen Monaten auch Oracle angeschlossen hat, nicht immer klar. Und so stehen Kunden oft vor dem Problem, dass der bevorzugte Anbieter einer umfangreichen Lösung zunächst nur schweren Herzens weitere, spezialisierte Anbieter einbezieht und integriert, um die Anforderungen zu erfüllen.

Der Trend geht hier klar zu Standards. Diese gibt es jedoch leider in der ECM-Branche derzeit noch viel zu wenig. Zwar regelt JSR-168 den einheitlichen Zugriff auf Daten, was eine Integration bereits auf dieser Ebene ermöglichen würde. Leider setzen jedoch viel zu wenige Unternehmen auf solche Standards. Hier stehen starke Veränderungen an, da auch die Großen der Branche sich nicht ausruhen können, sondern sich stetig weiterentwickeln müssen, um nicht von einem kleinen Mitbewerber überholt zu werden.

Gewinn an Flexibilität

Ein solcher junger Mitbewerber ist die Firma Alfresco. Sie hat eine umfangreiche Enterprise-Content-Management Lösung auf den Markt gebracht, die nicht nur auf vielen Standards und Standardkomponenten basiert, sondern auch unter einer Open-Source-Lizenz verfügbar ist. Durch den konsequenten Einsatz von Open Source und der hier vorhandenen Standards lässt sich eine hoch modulare Enterprise-Content-Management-Umgebung realisieren. Auch Großunternehmen und Konzerne setzen bereits auf diese neue Art des Enterprise-Content-Managements und gewinnen hiermit an Flexibilität und Unabhängigkeit.

Aber auch für eine andere Zielgruppe sind solche prinzipiell günstigeren Systeme interessant: kleine und mittelständische Unternehmen. Diese sind von den nicht selten sechs- bis siebenstelligen Lizenzpreisen der führenden Anbieter der Branche oft überfordert und finden vor allem in den angebotenen Lösungen auch nur wenig, was ihnen hilft, ihre individuellen ECM-Ziele zu erreichen. Hier sind Open-Source-Lösungen eine willkommene Alternative. Nicht nur, weil ein preiswerter Einstieg möglich ist, sind diese Lösungen interessant, sondern auch, weil sie sich quasi beliebig an das jeweilige Unternehmen anpassen lassen.

Für weniger große Unternehmen gibt es aber auch noch eine ganze Palette von kleineren, pragmatischeren Produkten am Markt. Hier hat sich im Lauf der Zeit eine äußerst vitale Landschaft gebildet, die, fernab der Millionengeschäfte der Großen floriert und Lösungen anbietet, die für bestimmte Aufgaben vorbereitet und vorkonfiguriert sind. Support und naher Kontakt zwischen Kunden und Lieferanten runden dies ab. Der Mittelstand wird von den Großanbietern gerne vernachlässigt, was insbesondere in Deutschland dazu führt, dass die Verbreitung der angeblichen Marktführer auf bestimmte Unternehmenstypen beschränkt ist. Kleinere Anbieter haben nicht selten eine längere Referenzliste und mehr Projekterfahrung als die großen und sind daher für kleinere Kundenfirmen erste Wahl.

ECM Light

Zwei weitere bemerkenswerte Entwicklungen im ECM-Umfeld sind besonders interessant. Einerseits lässt sich der Trend beobachten, bestimmte Funktionen aus einem Gesamtkonzept herauszulösen. Beispiel: Die Funktion unternehmensweite Suche ("Enterprise Search") wird aus dem Gesamtkomplex ECM abgetrennt und durch eine vollkommen getrennte Lösung realisiert. Dies ist für sich betrachtet bereits so etwas wie "ECM light" und parallel eingesetzt zu einer ECM-Lösung eine Möglichkeit, die in Unternehmen vorhandenen "Content-Inseln" in ein ECM-System einzubeziehen.

Der zweite Trend ist eng an dieses Konzept angelehnt. Besonders im Umfeld der Enterprise Search hat man begonnen, nicht mehr nur Software-, sondern fertige Hardwarelösungen anzubieten, die diese Arbeit erledigen. Besonders Google ist hier mit seinen Search-Appliances höchst erfolgreich. Der Kunde muss nur das Gerät anschließen und konfigurieren schon ist es einsatzbereit. Diesen Trend nutzen auch andere und bieten weitere Appliances an. Allerdings gilt: Jüngst am Markt angekündigte "ECM Appliances" scheinen für den praktischen Einsatz noch nicht geeignet zu sein. Denn ECM als Gesamtkonzept kann nicht stark vereinheitlicht werden, ohne dabei seinen Nutzwert zu verlieren.

Die Zukunft sieht rosig aus

Der Blick in die Zukunft verheißt Erfreuliches. Unternehmen bekommen immer bessere, günstigere und schneller zu integrierende Lösungen angeboten und können hiermit das umsetzen, was vor wenigen Jahren noch reine Vision war. Auch ist eine Konsolidierung des Marktes für Europa und insbesondere Deutschland derzeit nicht zu befürchten. Einzelne Käufe und Verkäufe wird es weiterhin geben. Es ist jedoch ziemlich unwahrscheinlich, dass hierdurch Lösungen vom Markt verschwinden und damit Kunden zwingend neue Lösungen finden müssen.

Wichtig für Anbieter wie Kunden ist, dass sie daran festhalten, Enterprise-Content-Management als individuelle Strategie und Schlüssel zur unternehmensweiten Informationslebensader zu sehen.