2007: Der VoIP-Markt - Rennen der Verbündeten

28.09.2007
Von Hans-Jörg Schilders
Der Anwender hat in puncto VoIP keine Wahl mehr: Er muss die Technik einsetzen. Von der erhöhten Nachfrage profitiert die Branche, die in den vergangenen Jahren ordentlich durcheinandergeschüttelt wurde.

Der VoIP-Markt ist gleichzeitig einer der spannendsten und einer der langweiligsten Marktsegmente. Die Spannung resultiert aus der technischen Umwälzung, die etwa VoIP in diesen angestaubten Markt bringt. Neue Player mit frischen Ideen sorgen hier für Impulse und könnten durchaus beachtliche Marktanteile erringen. Für die Tristesse sind die Platzhirsche zuständig, die seit Jahrzehnten in ähnlicher Rangordnung den Markt dominieren. Siemens ist seit Jahren Marktführer in Deutschland, Alcatel beansprucht diesen Titel in Frankreich spannender war nur die jahrelange Dominanz von Ferrari in der Formel 1.

Gemeinsam in einem Boot

Die Marktverhältnisse sind allerdings nicht in Beton gegossenen. Ein Grund hierfür sind die Marktstandards, die so wie früher als De-facto-Standards festgelegt werden und an denen sich der restliche Markt orientiert. So wird es sich die Branche nicht leisten wollen, ihre Applikationen auf unendlich viele Spielarten und Varianten des Session Initiation Protocol (SIP) abzustimmen. Hier werden sich nur drei bis vier Player durchsetzen, die dem Rest die Referenz vorgeben: Microsoft und Cisco stehen bereits fest, Siemens mit seinem SIP-Switch Hipath 8000 ist ein weiterer Kandidat und vielleicht noch Avaya.

Die Top 8 der Enterprise-Telefonie-Anbieter in Europa 2006 nach verkauften Sprachkanälen (Quelle: Frost & Sullivan)

Hersteller

Marktanteil (in Prozent)

1. Siemens

15,1

2. Alcatel

14,7

3. Aastra

11,2

4. Avaya

9,9

5. Nortel

9,2

6. Ericsson

8,8

7. Panasonic

7,5

8. Cisco Systems

6,5

Dementsprechend hat sich der Markt bereits formiert: Nortel rudert beispielsweise mit Microsoft in einem Boot und hat in mehreren Ankündigungen den Schulterschluss mit dem Softwarekonzern geprobt. Das Gegenlager mit Cisco an der Spitze ist nicht ganz so klar aufgestellt. Dass sich der Netzwerkriese, der im Telefoniebereich immer noch ein Zwerg ist, sich plötzlich gegen die Mircosoft-Betriebssysteme für die VoIP-Server CallManager entscheidet und sich für Linux stark macht, ist nur ein deutliches Zeichen des Strategiewechsels.

Kooperation mit IBM

Darüber hinaus lässt die eine enge Zusammenarbeit mit IBM erahnen, wo der Hase hinläuft. IBM ist zwar kein klassischer Telefonieanbieter, hat sich aber mit einer geschickten Strategie wie etwa der Kooperation mit dem Softphone-Spezialisten Iscoord oder der Telefonieerweiterung in Lotus Notes in eine gute Ausgangsposition gebracht. Alcatel-Lucent ist immer noch mit der Auslotung der Synergien beschäftigt, während Avaya gerade neue Investoren gefunden hat: Texas Pacific Group und Silver Lake Partners. Gerade Avaya ist in Deutschland relativ stark, da die langjährige Nummer zwei Tenovis (Bosch Telecom beziehungsweise Telenorma) vor Jahren übernommen wurde. Aastra ist in Europa überraschend auf den dritten Platz vorangekommen. Dies ging aber auf das Konto der Übernahmen von Ascom und Detewe.

Aber nur die Großen der Szene zu betrachten, wäre falsch. VoIP bringt neue Player und Techniken hervor, die sorgsam beobachtet werden sollten, da sie wiederum Auswirkungen auf den Gesamtmarkt haben. Den größten Einfluss dürfte wohl Asterisk haben. Mit Asterisk experimentieren aber auch die Platzhirsche bereits und werden darauf basierende Lösungen präsentieren. Die spröde zu programmierende Software wird in vielen VoIP-Telefonanlagen eingesetzt und dürfte wohl eine der VoIP-Referenzen sein. Das Open-Source-Projekt unterstützt Standards wie SIP und liegt beispielsweise jeder Linux-Distribution von OpenSuse bei. Auch die Industrie schwenkt auf die neue Technik ein: Der Call-Center-Spezialist Aspect verknüpft seine Lösungen mit der Asterisk-Software und hat etwa das eigene Unternehmen kürzlich darauf umgestellt. Relativ neue Player in Deutschland wie etwa der Anbieter Junghanns haben ISDN-Schnittstellenkarten im Programm, die zusammen mit der Open-Source-Software eine Komplettlösung ergeben.

Die schon angestammten VoIP-Anbieter Swyx oder Innovaphone wachsen gedeihlich. Innovaphone kehrt gerade die Scherben zusammen, die die Pleite von Tiptel hervorgerufen hat. Zusammen mit dem Traditionshersteller Tiptel entwickelte das Unternehmen IP-Telefone. Eine Kooperation mit einem anderen deutschen Hersteller ist bereits eingeläutet. Swyx profitiert von der Kooperation mit der Telekom, die die Software-PBX Netphone nennt und über ihre Kanäle vertreibt. Die Marktführerschaft im VoIP-Markt, die das Unternehmen für sich beansprucht, basiert auf der Studie eines eher unbekannten Marktforschers. Übliches Marketing-Geklapper also.

VoIP als Dienstleistung

Neben der Opensource-Schiene gibt es einen weiteren wichtigen VoIP-Trend, der ebenfalls eine Asterisk-Komponente enthält: die gehosteten VoIP-Dienste. Schon seit Jahren werden sie allerdings mit relativ geringem Erfolg im professionellen Bereichangeboten. Philip Bohn, Analyst des Berliner Marktforschers Berlecon Research, äußert sich kritisch: "Ich glaube schon an eine Zunahme, aber der Marktanteil von gehosteten VoIP-Diensten wird sich weniger stark entwickeln als von den Anbietern erhofft." Auch die Variante des Managed Service, bei dem Komplettlösungen zu einem festen Preis pro Nebenstelle abgerechnet werden, ist eine "interessante Spielart, die aber auch keinen großen Marktanteil erreichen wird".

Mögliche Gründe, warum sich die deutschen Unternehmen noch nicht mit gehosteten VoIP-Diensten anfreunden wollen, dürften in dem mangelnden Vertrauen in den Dienstleister zu suchen sein oder dem Fehlen der gewünschten Fähigkeiten, etwa der "Chefsekretärin"-Funktion.

Die Mehrheit nutzt bereits VoIP

"55 Prozent, also mehr als die Hälfte der Anwender, setzen bereits VoIP-Lösungen ein", weiß Bohn. Gründe dafür sind, dass die alten TK-Leasing-Verträge auslaufen und es mittlerweile zu VoIP keine technischen Alternativen gibt. Die Gründe für den Wechsel hängen nach Ansicht des Analysten von der Innovationsbereitschaft und dem Bedarf im Unternehmen ab.

Wie sieht die mittelfristige Zukunft von VoIP aus? Verschwindet VoIP in einer Gemengelage, die nur noch unter dem All-IP-Label firmiert? Bohn gibt sich hier optimistisch: "VoIP wird es weiterhin geben, aber nicht als reine Stand-alone-Technik." Es geht in Richtung Unified Communications, in der spezielle Server alle genutzten Kommunikationskanäle kontrollieren. Darüber hinaus lassen sich etwa mit der Festnetz-Mobilfunk-Integration oder der Integration von VoIP in die Arbeitsabläufe noch einige Potenziale erschließen.

Platzhirsche

Siemens: Neue SIP-Switches und eine neue IP-Telefongeräte-Generation zeigen, dass Siemens vorankommen will. Allerdings ist immer noch keine Lösung für den Enterprise-Bereich gefunden worden.

Alcatel: Arbeitsplatzabbau und das Zusammengehen mit Lucent fördern die Innovationen nicht gerade.

Aastra: drei Produktlinien und der Schwenk hin zum reinen Softwareanbieter dokumentieren, dass sich Aastra anstrengt. Allerdings müssen die Übernahmen erst noch verdaut werden.

Avaya: Das Unternehmen wurde gerade von neuen Investoren übernommen. Es verfügt über ein komplettes VoIP-Portfolio.

Newcomer

Junghanns: Umfangreiches Schnittstellenprogramm und ausschließliche Konzentration auf Asterisk-VoIP-Telefonanlagen.

Snom: Der Spezialist beschäftigt sich ausschließlich mit SIP-Telefonen und kann auch sichere Telefonie anbieten.

Innovaphone: Hat auch den Schwenk zu SIP vollzogen, gute Anbindung von Mac-Clients an die Telefonie.

Old Newcomer

IBM: Der breit aufgestellte Konzern knüpft eine enge Kooperation mit Cisco und sucht die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Softphone-Hersteller Iscoord.

Microsoft: Treibt SIP voran und hat ein Festnetz-IP-Telefon vorgestellt. Aufgrund der Monopolsituation bei den Betriebssystemen gibt es hier ein starkes Potenzial. Außerdem bleibt abzuwarten, was die Zusammenarbeit mit Nortel bringt.

SAP: Mit dem Kauf des finnischen Hosted-VoIP-Spezialisten Wicom haben die Walldorfer ihren Hut in den Ring geworfen.