Wien: Open Source in kleinen Schritten

22.03.2007
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.
Die österreichische Hauptstadt ist die nach München zweite europäische Metropole, die auch Desktops auf Open Source migrieren will. Die Herangehensweise ist aber eine ganz andere.
Die Verantwortlichen im Rathaus der Stadt Wien präferieren eine sehr sanfte Migration.
Die Verantwortlichen im Rathaus der Stadt Wien präferieren eine sehr sanfte Migration.
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Die Anfänge ähneln sich in beiden Städten und stimmen auch mit den Vorgängen in vielen Unternehmen überein: Open Source begann mit Internet-gerichteten Applikationen und beschränkte sich zunächst auf Server. Wien startete 1993 mit einem ersten internen Web-Server. Ein Jahr darauf wurde ein File-Server mit FreeBSD und Samba in Betrieb genommen. Ab 1998 ersetzte Linux sukzessive das freie Unix-Derivat.

2004 führte das Beispiel des "Limux"-Projekts in München zu einer Initiative der Grünen im Wiener Stadtparlament. Das Ergebnis war der Beginn einer Studie über die IT-Situation in der städtischen Verwaltung und über die Alternative einer Verwendung von Open-Source-Software auf Desktops. Dies war der Start des Projekts "Wienux".

Der Befund war zunächst ernüchternd: Auf den 19 000 PCs in der Stadtverwaltung laufen insgesamt 1100 Anwendungen, von denen nur ein Viertel plattformunabhängig oder durch Alternativen ersetzbar ist. Weil diese austauschbaren Anwendungen aber in den Wiener Behörden stark verbreitet sind, ergibt sich ein anderes Bild: 7500 Desktops benötigen nicht unbedingt Microsoft Office und könnten relativ leicht auf OpenOffice umgestellt werden. 4800 dieser PCs verwenden außerdem nur Software, die es auch für Linux gibt; sie können also direkt auf das quelloffene Betriebssystem umgestellt werden.

Die restlichen Desktops wurden in Wien zunächst nicht angerührt. Angesichts ihrer großen Zahl ergab sich eine Konsequenz hinsichtlich der städtischen Desktops: Die Wiener DV-Experten gehen strategisch von einer langfristigen Koexistenz von Windows und Linux aus. Daraus ergaben sich drei Szenarien: Auf der Mehrzahl der PCs bleibt es bei Windows und Microsoft Office. Auf den 7500 identifizierten PCs ersetzt OpenOffice die Microsoft-Bürosuite. Bei 4800 dieser Arbeitsplätze kommt außerdem Linux anstelle des Microsoft-Betriebssystems zum Einsatz.

Die vom Wiener Magistrat in Auftrag gegebene Studie beurteilte die IT-Situation jedoch nicht nur nach Kriterien der Funktionalität von Software. Sie entschieden sich auch für Open-Source-Software, um sich aus der Abhängigkeit von großen Anbietern und ihrer nicht zu beeinflussenden Lizenz- und Preisgestaltung sowie ihren Entwicklungsrichtungen zu befreien.

Open Source hingegen, so die Machbarkeitsstudie, schließe Fremdbestimmung aus und verwende offene Schnittstellen sowie Dateiformate. Allerdings sei das Softwareangebot noch begrenzt, und viel mehr Support als bei proprietären Anwendungen müsse aus eigenen (Wiener) Kräften geleistet werden. Trotzdem kam die Studie zu dem Schluss: "Die Risikofaktoren sind in den verbleibenden möglichen Auswirkungen gut vertretbar."

Der Knackpunkt der Wienux-Studie war natürlich die Kostenfrage. Erwartungsgemäß waren Linux und OpenOffice in Sachen Lizenzkosten unschlagbar. Aber unter Einbeziehung der internen Kosten für die Migration zeigte sich, dass - berechnet auf die ersten fünf Jahre - eine Umstellung mit 10,6 Millionen Euro um 6,4 Millionen Euro teurer gewesen wäre, als alles bei der alten Microsoft-Umgebung zu belassen.

Was die Open-Source-Projekte in München und Wien unterscheidet

Bei den Projekten zum Wechsel von Microsoft- auf Open-Source-Software spielt in München ("Limux") wie in Wien ("Wienux") ein Begriff eine zentrale Rolle: sanfte Migration. Diese Strategie hat Frank Thomas Drews ausformuliert, ehemaliger Geschäftsführer des Stuttgarter Linux-Dienstleisters Millenux und heute Chef einer "Akademie für Unternehmenskompetenz", eines freien Arbeitskreises von Experten sehr unterschiedlicher Couleur, die beratend tätig sind. Drews war und ist an den Linux-Projekten in Wien und München beteiligt.

Die Eckpunkte einer sanften Migration sind die Aufteilung des Projekts in Module, die zeitliche Streckung dieser Module als Aufgaben, das Prinzip, weniger komplexe Aufgaben zuerst zu erledigen ("Low hanging fruits first"), sowie Abläufe und Übergänge, die Reibungsverluste sowie Brüche vermeiden. Davon weichen aber nach Ansicht von Drews beide Projekte mehr oder minder stark ab. So habe München "die Charakteristika einer Big-Bang-Migration: Zumindest viele Probleme und Baustellen scheinen - nach außen - gleichzeitig anzustehen." In Wien gehe es hingegen eigentlich schon nicht mehr um eine sanfte Migration. Hier verfolge man eine Strategie, "Open Source allmählich in das IT-Gefüge zu integrieren und dabei möglichst zu präferieren. Veränderungen werden aber nicht vorgenommen, wenn kein zwingender Grund besteht."

Die unterschiedlichen Herangehensweisen haben ihren Grund schon in ihren Startmomenten. Der Anlass des Münchner Linux-Projekts bestand darin, dass Microsoft ankündigte, den Support für Windows NT 4 einzustellen. Die zu Anfang dieses Jahrzehnts laufende Berichterstattung über kommunale Open-Source-Projekte hob in den Medien aber auf finanzielle Vorteile ab. Dies war in Wien der auslösende Faktor.

München ging die Herausforderung mit einer grundsätzlichen Infragestellung der bisherigen IT-Strategie in Sachen Desktops an und kam prompt zu einer dezidierten Strategie. Das Ziel Linux und quelloffene Anwendungen war eindeutig definiert.

Danach hatte München ein Großprojekt: Server, Desktops, Office-Anwendungen, Umschulung der Mitarbeiter, alles scheint - für Außenstehende - gleichzeitig ein Migrationsproblem zu sein. Hinzu kamen Diskussionen um mögliche patentrechtliche Probleme. Das Limux-Projekt liegt seither nun mehr als ein Jahr hinter seinen Zeitvorgaben zurück.

Die Wiener dagegen folgen einer, so Drews, "entspannten Herangehensweise": keine zwangsweise Migration, ostentative Systemkoexistenz und ein "Freiwilligkeitsprinzip", das sich über ökonomische Faktoren letztlich doch durchsetzt. Das bringt einige Vorteile, so Drews: "Wenig Stress, ruhige, allmähliche Prozesse. Die niedrig hängenden Früchte können leichter eingesammelt werden, was nach außen und innen schnelle und stetige Erfolge verschafft."

Doch die Wiener Herangehensweise könnte einen Haken haben. Jedes Projekt droht zu versanden, wenn keine grundsätzlich beschlossene Orientierung vorliegt. Drews: "Ein wesentliches Merkmal der sanften Migration ist eben Migration. Das bedeutet, es muss eine klar definierte Zielsetzung existieren, an deren Erreichung dann auch konsequent und zeitlich geplant gearbeitet wird." Immerhin gibt es aus Wien die pragmatische Entscheidung, langfristig auf Open Source zu setzen. (ls)

Kosten zeitlich entzerrt

Normalerweise wäre diese Rechnung der K.o. für jedes Migrationsprojekt. Nicht aber in diesem Fall, denn die Studie argumentierte: "Es ist daher eine Vorgehensweise zu empfehlen, die zu einer Reduktion und einer günstigeren zeitlichen Verteilung der internen Aufwände führt." Alle Desktops werden obligatorisch auf Linux/OpenOffice umgestellt, sofern nicht die Anforderungen weiterer Applikationen das unmöglich machen. Migriert wird also nur ein Teil der genannten 4800 Verwaltungs-PCs. Für den gesamten Rest, also bei weitem die Mehrheit der PCs, gilt die Strategie der sanften Migration; es gibt keine zwangsweise Umstellung.

"Unsere Kunden können selbst entscheiden", erklärte auf der letzten Linuxworld in Köln Peter Pfläging, einer der Köpfe des Migrationsprojekts und Leiter der Stabstelle Koordination im Rechenzentrum Wiens. Nicht die Open-Source-Spezialisten aus dem IT-Zentrum der Großstadt entscheiden, welcher Desktop wann und wie umgestellt wird. Diese Entscheidung verbleibt bei den Leitern der diversen Abteilungen der Stadtverwaltung.

Abteilungen entscheiden selbst

Diesen Abteilungsleitern legt das Rechenzentrum mehrere Angebote für die Kosten vor, die sie für die Leistungen des Rechenzentrums intern zu bezahlen haben. Seit einigen Jahren wird auch in der Wiener Verwaltung betriebswirtschaftlich gerechnet. Allein aus Kostengründen wird Microsoft dabei zusehends unattraktiver; Open Source kommt dem Sparzwang entgegen.

Das Ergebnis ist allerdings kein Linux-Boom. Bisher sind erst knapp ein Viertel der 4800 im Prinzip Linux-fähigen PCs umgestellt. Dafür aber läuft auf mehr als 10 000 Desktops OpenOffice und Windows, weit mehr als ursprünglich als realisierbar angenommen.

Gerade durch den Erfolg von OpenOffice sehen sich die Wiener IT-Spezialisten bestätigt. Sie wollen an ihrer Open-Source-Strategie der sanften Migration festhalten. Sie weiten den Ansatz über den Standard-Büroarbeitsplatz hinaus aus. Weitere quelloffene Anwendungen sollen hinzukommen. Dazu zählen unter anderem die Grafikanwendung "Gimp" und der "PDFCreator". Migrationsspezialist Pfläging hat mehrere Erfahrungen aus dem Wienux-Projekt gewonnen. Die erste überrascht besonders: "Der Support via Internet ist oft schneller und kompetenter als bei Closed Source." Allerdings, schränkt Pfläging ein, sei ein belebender Faktor dabei wohl auch die internationale Aufmerksamkeit, welche das Projekt erlangt habe. Zweitens biete Open Source gegenüber Closed Source als "clear box versus black box" (Pfläging) bessere Transparenz und vereinfache die Fehlereingrenzung.

Allerdings sei die Produktauswahl "manchmal nicht einfach". Gleichwohl sei quelloffene Software eine ideale Integrationsplattform, weil sie internationale Standards befolge. Voraussetzung sei allerdings etwas, das auch insgesamt für Projekte wie das in Wien gelte, so Pfläging: "Je besser das eigene Know-how, desto leichter ist es, Open Source effektiv einzusetzen."