Die besten Open-Source-Produkte

26.03.2007
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.
Unter weit über 100.000 quelloffenen Softwareentwicklungen diejenigen zu finden, die für professionelle IT-Umgebungen geeignet sind, ist zeitraubend. Ein IT-Dienstleister hat eine Bewertung vorgenommen.

Viele Unternehmen schrecken vor dem Einsatz quelloffener Programme zurück, weil es ihnen nicht möglich ist, im inzwischen ausufernden Open-Source-Angebot jene Anwendungen zu identifizieren, die zu ihren Anforderungen passen. Die Kriterien sind dabei ebenso vielfältig, wie sich die Anforderungen zwischen den Anwenderunternehmen unterscheiden. Allerdings lassen sich Maßgaben differenzieren, deren mehr oder weniger gute Erfüllung auf die prinzipielle Eignung oder Nichteignung eines Produkts deutliche Hinweise gibt.

Hier lesen Sie ...

  • wie quelloffene Anwendungen bewertet wurden;

  • wo das Open-Source-Angebot besonders gut ist;

  • warum in welchen Bereichen die Auswahl bescheiden ist.

Diese Kriterien (siehe Kasten "Das Bewertungssystem") hat das Systemberatungs- und -integrations-Unternehmen Optaros zur Grundlage einer Analyse des Angebots gemacht. Optaros wurde 2004 in Boston gegründet, hat seit 2005 eine Dependance in Zürich und seit diesem Jahr eine weitere in München. Die Ergebnisse wurden - inzwischen zum zweiten Mal - in einem kostenlosen "Open-Source-Katalog" veröffentlicht. Er führt 262 Open-Source-Lösungen auf und bewertet sie, um schließlich ihre Eignung für den Einsatz in professionellen Umgebungen ("Enterprise-Readiness-" oder "ER-Rating") zu bewerten.

Rigide Selektion

Die Zahl der erfassten Produkte erscheint angesichts der Angebotsmenge zunächst gering. Die Auswahl enthält aber keine Produkte, die momentan im ER-Rating nicht auf mindestens einen Punkt kommen. Grundlage der Bewertung sind Optaros-Recherchen für Projektberatungsaufträge und Erfahrungen aus einigen großen Implementierungsprojekten. Insgesamt sei die Selektion fair, meint Bruno von Rotz, Vice President Research and Strategy bei Optaros, Zürich: "Wir hätten zehn oder 20 Produkte mehr berücksichtigen können; aber wir haben keine großen Lücken." Kandidaten für eine Aufnahme in die Liste sind beispielsweise "CakePHP", "Firebug", "Infoglue", "Mongrel", "OLAT", "OpenEMM" und "Zend".

Empfehlungen für Geschäftsanwendungen
Empfehlungen für Geschäftsanwendungen

Einen Punkt im ER-Rating erhielten Open-Source-Produkte, die noch nicht für den breiten Einsatz geeignet sind, aber insbesondere bei speziellen Anforderungen für einen Test in Betracht kommen. Zwei Punkte zeigen gute Qualitäten bei verbleibenden Schwachpunkten an, so dass ein "Proof of Concept" für einzelne Einsatzzwecke erforderlich ist. Drei Punkte bedeuten eine vorbehaltlose Empfehlung von Optaros für den Einsatz in Unternehmen. Solche Produkte überzeugen laut Optaros "bezüglich Funktionalität, Reife und Rückhalt in der Community". In der Übersicht auf diesen Seiten geht es ausschließlich um Open-Source-Entwicklungen dieser Drei-Sterne-Kategorie.

Empfehlungen für Infrastrukturlösungen
Empfehlungen für Infrastrukturlösungen

Die Spitzenbewertung ist im Vergleich zur Benotung im ersten Katalog insofern stabil, als es keine Produkte gibt, die abgewertet wurden. Allerdings kommen "von unten" weitere Anwendungen hinzu, die laut von Rotz "heute sicher Kandidaten für drei Punkte wären". Er nennt insbesondere den VoIP-Server "Asterisk", das Trouble-Ticketing-System "OTRS" und das Reporting-Tool "Jasper-Reports".

Newcomer versus Oldies

Optaros vergibt überraschend wenige Punkte für einige Produkte, die hierzulande recht bekannt sind. Ein solcher Fall ist das ERP-System "Compiere", weil die Abspaltung von "Adempiere", ein "Schnellstarter mit viel Traktion in der Community" (von Rotz), zu Vorsicht mahne. Mit "OpenBravo" sei außerdem "ein interessanter europäischer ERP-Open-Source-Ansatz mit einem bisher überzeugenden Auftritt entstanden".

Optaros-Manager Bruno von Rotz: "Open Source und Web 2.0 sind wie Ying und Yang. Es ist eine symbiotische Beziehung."
Optaros-Manager Bruno von Rotz: "Open Source und Web 2.0 sind wie Ying und Yang. Es ist eine symbiotische Beziehung."
Foto: Bruno von Rotz

In einigen Bereichen vermisst man Spitzennoten für meist auch noch recht verbreitete Open-Source-Produkte. Beispielsweise werden "Typo3" oder die Groupware "Open-Xchange" eher in kleinen und mittelständischen als in großen Unternehmen eingesetzt. Von Rotz: "In einigen Bereichen, insbesondere bei Collaboration und VoIP, gibt es zwar gute Techniken, aber die Unternehmen sind noch wenig bereit für einen Wechsel, sind also sozusagen gar nicht ready for enterprise ready open source software."

Trägheit des Marktes

Hier zeigt die Closed-Source-Konkurrenz ihre Muskeln. So ist "OpenLDAP" weit verbreitet, "es kommt aber nach wie vor nicht an die Fähigkeiten der großen kommerziellen Alternativen heran", begründet von Rotz das Verfehlen der Topnote, um sogleich einzuschränken: "Deren Features werden aber oft auch gar nicht benötigt." Ein kommerziell beherrschter Markt führt nicht zwangsläufig zu einer emanzipatorischen Reaktion der Open-Source-Bewegung wie mit "OpenOffice.org" im Microsoft-dominierten Segment der Bürosuiten.

Klare Marktverhältnisse - "Open-Xchange leidet an der Übermacht von Microsoft-Exchange" (von Rotz) - werden auch noch dadurch zementiert, dass sich zunächst viele Open-Source-Projekte an ihre Veränderung machen. In Bereichen mit vielen Open-Source-Initiativen, beispielsweise Groupware, "täte Konsolidierung gut", meint von Rotz. "Dort, wo es keinen klaren Open-Source-Leader gibt, machen sich viele auf den Weg." Wo dagegen ein oder zwei Community-Projekte den Takt vorgeben, führt die konzentrierte Aufmerksamkeit zu schnellerer Entwicklung.

Empfehlungen für Applikationsentwicklung und -infrastruktur
Empfehlungen für Applikationsentwicklung und -infrastruktur

Und noch ein Faktor ist nicht zu unterschätzen: "Überraschend sind einige Produkte, bei denen wir eine schnelle Entwicklung erwartet hätten", merkt von Rotz an, beispielsweise die Applika- tions-Server "Geronimo" und "Glassfish" sowie die Portal-Frameworks "LifeRay" und "Jetspeed 2". "Das kann aber daran liegen, dass einige dieser Produkte auf den Markt kamen, als sich die Community auf neue Ansätze wie leichtgewichtige Java-Applikationen mit Tomcat, Spring oder Hibernate oder auf den Einsatz agiler und einfach verwendbarer Script-Sprachen wie PHP umorientiert hat."

Zwischen den unterschiedlichen Produktsegmenten stellt Optaros deutliche Unterschiede fest. So sind im Bereich Betriebssystem und -infrastruktur die Linux-Distributionen, Benutzeroberflächen, die Kommunika- tionsinfrastruktur, Web-Server und einige andere Kernprodukte so gut entwickelt, dass die klassische Open-Source-Maxime "Release often, release early" nicht mehr gilt. Anders hingegen beim System-Management, wo insbesondere rund um das führende Produkt "Nagios" viel passiert. "Gerade in diesem Bereich finden sich viele gute Entwickler, die Nagios und anderen Produkten die fehlenden Elemente hinzufügen, oft als Open-Source-Erweiterungen", stellt von Rotz fest.

Noch ist das gegenwärtige Hypethema Service-Management von diesem Engagement kaum betroffen. Dies sei bisher eher ein Thema für große Unternehmen, die ohnehin Kunden der "Big Four" BMC, CA, HP und IBM sind. Von Rotz: "Wie üblich werden die Tools mit dem Interesse der Anwender auch in diesen Bereich hineinwachsen." Selbst in einem relativ simplen Teilaspekt wie dem Asset-Management sei auf Open-Source-Seite "nicht glorios, was man so vorfindet".

Neue Schwergewichte

Im Bereich Applikationsentwicklung und -infrastruktur finden sich hingegen Open-Source-Schwergewichte. In Sachen Programmierung habe sich Eclipse "als Standard etabliert", so von Rotz. Und während sich Firmen darauf konzentrieren, Java für schnelle Entwicklungsarbeiten geeignet zu machen, "sind andere Ansätze wie Ruby-on-rails schon da".

Klar vergeben sind die Toppositionen bei Programmiersprachen, Applikations-Servern und Datenbanken. "MySQL hat vom Angriff Oracles, das die Datenbank-Engine InnoDB gekauft hat, sogar profitiert. Das Unternehmen hat die Datenbankarchitektur verbessert." Von Rotz macht aus seiner Bewunderung keinen Hehl: "MySQL wird zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für Oracle. Auch sehr treue Oracle-Kunden setzen heute in gewissen Bereichen schon MySQL ein, weil sie Erfahrungen gewinnen wollen."

Das Bewertungssystem

Das auf Systemberatung und -integration spezialisierte Unternehmen Optaros hat Open-Source-Produkte nach ihrer Eignung für den Einsatz in Unternehmen ("Enterprise Readiness Rating"; ER-Rating) unter drei Basisaspekten bewertet. Dabei wurden maximal vier Punkte für Funktionalität, Community und Reife vergeben:

  • Funktionalität: Eine volle Punktzahl gab es für Produkte mit ausgezeichneter Nutzbarkeit, deren Funktionen typische Anforderungen mittlerer und größerer Unternehmen erfüllen.

  • Community: Am besten schneiden Anwendungen ab, die sich auf eine möglichst große, stabile und sehr aktive Entwicklergruppe stützen können, die zudem mit klaren Zielsetzungen und organisatorisch geleitet (mit "Governance") arbeitet. Dabei berücksichtigt, dass es unterschiedliche Communites gibt: Es kann riesige Gemeinschaften freier Entwickler geben, die stabil sind und zielgerichtet arbeiten, während andere eine hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern aufweisen. Möglich ist aber ebenso, dass um einzelne Open-Source-Anbieter herum teilweise sehr kleine Gruppen von Partnerfirmen arbeiten. Diese haben naturgemäß ein hohes eigenes wirtschaftliches Interesse an der Weiterentwicklung des jeweiligen Produkts.

  • Reife: Bestnoten gibt es für Applikationen, die fehlerfrei arbeiten sowie bei hohem Durchsatz stabil laufen.

Hinzu kommt bei der Benotung eine Wertung des Trends: Eine positive Einschätzung vergibt Optaros, wenn ein Produkt in allen drei vorgenannten Kategorien über die letzten Jahre eine stetige Fortentwicklung gezeigt hat, alle Anzeichen sprechen für Kontinuität in diesen Punkten sprechen und die Breite seiner Nutzung zunimmt. Abzüge gibt es hingegen, wenn andere Produkte in der jeweiligen Produktkategorie die Messlatte höher setzen oder Entwickler und Anwender sich eher anderen Applikationen zuwenden.

Zur Einstufung für ein ER-Rating berücksichtigt Optaros weitere Faktoren, die in diese vier Grundkategorien nicht eingeflossen sind. Dazu zählen unter anderem die Verfügbarkeit von Support, die Reaktionsfähigkeit und -zeit der Community bei Problemen und Erweiterungsvorschlägen, die Einhaltung breit akzeptierter Standards und das Zusammenspiel mit anderen häufig eingesetzten Produkten. Die beiden letztgenannten Aspekte spielen insbesondere im Kontext der auf Open-Source-Basis modular aufgebauten Web-2.0-Anwendungen eine zunehmende Rolle. Relevant ist ferner der Vergleich zur Leistungsfähigkeit von kommerziellen Closed-Source-Angeboten in den jeweiligen Produktkategorien.

Copycats at work

Bei den Infrastrukturlösungen seien "viele Open-Source-Produkte noch in der Copycat-Phase", meint von Rotz. "Aber bei manchen sieht man schon, dass sie zu einem Innovationssprung ansetzen. Zimbra, ursprünglich eine Outlook-Kopie, geht mit seinen Kalenderfunktionen in Richtung Web 2.0." Herausragend seien das Dokumenten-Management-System "Alfresco" wegen seiner enormen Entwicklungsgeschwindigkeit und die VoIP-Lösung "Asterisk" als innovationsfreudiges Projekt mit sehr guter Technik. Im Teilbereich Identity- und Access-Management könne es hingegen kein Produkt mit den kommerziellen Plattformen aufnehmen.

Noch schlechter aufgestellt ist das Open-Source-Angebot in Sachen Geschäftsanwendungen, von Ausnahmen abgesehen. Von Rotz: "Wir haben sehr viele Kunden, die Vista zum Anlass nehmen, sich OpenOffice und Linux anzuschauen. Wenn man den Vista-Weg geht, muss man sich jetzt entscheiden, wie abhängig man von Microsoft sein will." Bei der Pflege der Kundenbeziehungen hat im Open-Source-Spektrum SugarCRM derzeit das Rennen gemacht. Hoffnungsschimmer kommen aus dem Bereich Analytics und Reporting: "Jaspersoft-BI-Suite" und "Pentaho" sind zwei Suiten, "die sich rasant entwickeln", so von Rotz.

Empfehlungen für Betriebssysteme und Infrastruktur
Empfehlungen für Betriebssysteme und Infrastruktur

Die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit von Open-Source-Projekten dürfte noch für einige Überraschungen in künftigen Optaros-Bewertungen sorgen, sagt von Rotz voraus. "Das hat Gründe: Die Entwickler sind zum einen unbehelligt von Marketing-Interessen, Roadmap-Vorgaben und Anforderungen aus dem Vertrieb, der mit Features diesen oder jenen Auftrag gewinnen will. Sie müssen keine Hypotheken mit sich schleppen, die zuvor einmal eingeführt wurden und nun weitergepflegt werden müssen." So muss Documentum einen eigenen Applikations-Server weiterentwickeln, während sich Open-Source-Lösungen die Jboss-Entwicklung bei Red Hat zunutze machen.

Ying und Yang

"Darüber hinaus handelt es sich bei Open Source um sehr schlanke Konstrukte, die es so in der kommerziellen Welt einfach nicht gäbe, weil sie scheinbar nicht komplett sind", ergänzt von Rotz. Kein Problem: "Sie bauen Komponenten aus anderen Open-Source-Projekten ein und erreichen damit Entwicklungsgeschwindigkeiten, die bei klassischer Software undenkbar sind." Diese Software-Assemblierung sei durch quelloffene Produkte erst möglich geworden. Open Source werde mit dem Paradigma Web 2.0 weit bedeutender als bisher. "Open Source und Web 2.0 sind wie Ying und Yang. Es ist eine symbiotische Beziehung."