Quo vadis - Telekom

Milliardengrab VDSL

18.12.2006
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Kritiker sehen in dem VDSL-Ausbau einen milliardenteuren Schildbürgerstreich.

Mit großem Elan baut die Deutsche Telekom derzeit ihr VDSL-Netz auf. Unterstützt von der Bundesregierung wird das Milliardenprojekt mit Tunnelblick durchgezogen. Und dies, obwohl es aus technischer und finanzieller Sicht Alternativen wie Glasfaser, Metro-Ethernet oder Dynamic Spectrum Management (DSM) gibt.

Flickwerk: Für VDSL verlegt die Telekom zwar im Access-Netz Glasfasern, die letzten Meter überbrückt sie aber noch mit klassischen Kupferkabeln. Konsequenter sind dagegen reine Glasfasernetze.
Flickwerk: Für VDSL verlegt die Telekom zwar im Access-Netz Glasfasern, die letzten Meter überbrückt sie aber noch mit klassischen Kupferkabeln. Konsequenter sind dagegen reine Glasfasernetze.

Für drei Milliarden Euro baut der Bonner Carrier derzeit in den deutschen Großstädten eine konvergente Infrastruktur auf, um Kunden über einen einzigen Anschluss mit Fernsehen, Internet und Telefonie zu versorgen. Diese Komplettangebote sollen die bedrohliche Massenflucht der Telekom-Kunden zur Konkurrenz stoppen. Eventuelle Kollateralschäden wie etwa den Streit zwischen der Regierung in Berlin und der EU-Kommission in Brüssel (siehe Kasten "VDSL und die Lex Telekom") über die Frage, ob der Carrier VDSL auch seinen Mitbewerbern offerieren muss, nimmt dieser in Kauf.

1330 Euro Verlust pro Nutzer

Ebenso wenig stört den Konzern, dass er mit seinen grauen Kästen für die Vermittlungstechnik nicht gerade zur Verschönerung der Stadtbilder beiträgt. Und auf die Ohren seiner Kundschaft, die eventuell bei offenem Fenster über einem der lärmenden Kästen schläft - die Technik muss im Sommer angesichts eines Energiebedarfs von bis zu einem Kilowatt gekühlt werden - nimmt das Unternehmen auch keine Rücksicht.

Alle diese Nebenwirkungen wären noch akzeptabel, wenn die Telekom mit dem VDSL-Ausbau die Basis für ein zukunftssicheres Netz schaffen würde. Doch hier setzt die Kritik vieler Skeptiker an. Die Wirtschaftlichkeit steht in Frage: Die Analysten von Forrester Research prognostizieren, dass die Telekom in den nächsten zehn Jahren mit jedem Triple-Play-Nutzer 1330 Euro Verlust generieren wird.

Entfernungsfragen

Das Problem liegt in der VDSL-Technik selbst. Um die angepeilten Transferraten von 25 Mbit/s (später 50 Mbit/s) zu realisieren, darf das klassische Kupfertelefonkabel nur 300 Meter lang sein. Deshalb muss die Telekom mit der VDSL-Einführung die klassische Vermittlungstechnik aus den Hauptverteilern (Vermittlungsstellen in Gebäuden) in die Kabelverzweiger (Outdoor-DSLAMs, die in den grauen Kästen am Straßenrand installiert sind) verlagern. Die Zuleitung zu diesen erfolgt wiederum über eine neu verlegte Glasfaserinfrastruktur.

Angesichts der Milliardensummen, die diese hybride Infrastruktur verschlingt, stellt sich die Frage, warum der Carrier die Glasfasern nicht gleich bis zum Endkunden verlegt. Dies wäre nach Berechnung von Ralf Pütz, Sprecher der Industrievereinigung Triple Play Alliance, nicht teurer: "Wir rechnen in unseren Projekten mit Kosten zwischen 1200 und 1800 Euro für einen Glasfaseranschluss beim Endkunden." Entsprechende Installationen realisierte die Triple Play Alliance hierzulande etwa in Norderstedt oder jüngst in Schwerte. In Schwerte kalkulieren die Betreiber mit Investitionen von 1800 Euro pro Wohneinheit. Die preislichen Schwankungen hängen laut Pütz mit der Anwenderakzeptanz zusammen. Das Konzept der Triple Play Alliance sieht nämlich vor, dass die passive Glasfaserinfrastruktur wie Leerrohre und Fasern komplett verlegt wird, während die aktiven Komponenten nur für aktive Nutzer installiert werden.

Auf den ersten Blick erscheinen die Installationskosten hoch, doch die Betreiber erhalten hierfür eine Infrastruktur, über die sie ihren Kunden einen Internet-Zugang mit 100 Mbit/s (sowohl Up- als auch Downstream), Sprachtelefonie sowie ein Unterhaltungsangebot mit 140 TV- und Radioprogrammen offerieren können. Zudem hat die Glasfaser gegenüber der VDSL-Technik noch einen entscheidenden Vorteil: Mit ihr können die Betreiber im Gegensatz zu VDSL wirklich alle potenziellen Kunden anschließen. Die Telekom kann dagegen selbst in den VDSL-Ausbaugebieten nur einen Teil der Klientel mit ihrem neuen Service versorgen. Labormessungen haben gezeigt, dass in einem Telefonkabel nur 40 bis 60 Prozent aller Teilnehmer VDSL parallel nutzen können. Andernfalls bricht die Transferrate durch Störungen wie Übersprechen drastisch ein. Bei der bisher verwendeten normalen DSL-Anschlüssen liegt dieser Wert um die 80 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass der Bonner Carrier in den letzten Jahren am falschen Ende sparte: Aufgrund des hohen Kupferpreises vergrub die Telekom, wie Insider berichten, neue Telefonkabel nur noch mit einer Litzendicke von 0,6 anstatt 0,8 Millimetern. Über diese dünnen Kabel ist ein störungsfreier VDSL-Betrieb kaum möglich.

VDSL und die Lex Telekom

Mit den Stimmen der Regierungskoalition hat der Bundestag die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) verabschiedet. Dieses sieht jetzt unter anderem vor, dass die VDSL-Infrastruktur der Telekom eine Zeitlang von der Regulierung ausgenommen ist. Der Carrier muss also VDSL nicht seinen Wettbewerbern als Vorleistungsprodukt anbieten. Da entsprechende Passagen auf Drängen der Telekom bereits im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU zu finden waren, trägt das Gesetz auch den Spitznamen Lex Telekom. Befürworter loben es als Investitionsschutz, der Carrier ermutige, neue Technologien einzuführen. Kritiker sprechen dagegen von einem ordnungspolitischen Sündenfall und befürchten die Rückkehr alter Monopolstrukturen. Auch die EU in Brüssel steht dem neuen Gesetz ablehnend gegenüber und sieht in den Regulierungsferien für die Telekom einen klaren Rechtsverstoß. Gegen diesen will Brüssel vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Alternative Techniken

Mit der Glasfaser als dem hochbitratigen Übertragungsmedium der Zukunft liebäugelt man auch in Großbritannien. Die British Telecom (BT) testet im Rah- men des IP-Infrastrukturprojekts "21st Century Network" (21CN) seit 2005 in Suffolk, Milton Keynes und den Londoner Docklands Glasfaseranschlüsse bis zum Endverbraucher, oder wie es dort heißt "fibre to the kitchen sink" - also bis zum Spülstein. Angesichts der positiven Erfahrungen will der Carrier künftig zunächst alle Neubaugebiete per Glasfaser erschließen. "Ein flächendeckender Glasfaser-Rollout", so Boris Kaapke, Pressesprecher bei BT in Deutschland, "ist aber - Stand heute - nicht geplant, denn der Kupferdraht erfüllt derzeit alle Anforderungen." So betrachten die Briten das teure VDSL-Experiment der Telekom eher kritisch, zumal nach ihrer Meinung beispielsweise mit Metro-Ethernet eine Technik zur Verfügung steht, mit der sich Bandbreiten von bis zu 20 Mbit/s ohne weiteres über die bestehende Kupferdoppelader-Infrastruktur realisieren lassen.

Kupfer-Renaissance mit DSM

Diese Technik preist übrigens die T-Com-Schwester T-Systems hierzulande als "EthernetConnect" Unternehmenskunden als "preisgünstige moderne Kommunikationstechnologie" zur Standortvernetzung über das herkömmliche Telefonnetz an.

Eine weitere Renaissance könnte das bereits oft totgesagte Kupferkabel mit der neuen Technik "Dynamic Spectrum Management" (DSM) erleben. Mit DSM sollen über die herkömmlichen Telefonkabel Geschwindigkeiten erreicht werden, wie sie bislang nur mit Glasfasern zu erzielen waren: Über eine zwei Kilometer lange Telefonleitung, so versprechen die DSM-Verfechter, seien noch Bandbreiten von bis zu 10 Mbit/s realisierbar. Auf kürzeren Leitungen (500 Meter) sind sogar Transferraten von bis zu 100 Mbit/s im Gespräch. Zum Vergleich: Die Telekom erreicht in ihrem VDSL-Netz über eine Distanz von 300 Metern lediglich 25 beziehungsweise 50 Mbit/s. Diese Leistungssteigerung schafft DSM dadurch, dass andere Codierungs- und Modulationsverfahren als bei DSL verwendet werden. Namhafte TK-Player wie die spanische Telefonica oder der israelische TK-Ausrüster ECI Telecom arbeiten bereits gemeinsam in einem Konsortium an der neuen Technik.

Mittel- oder langfristig sind jedoch die Tage des Kupferkabels gezählt - egal, ob es für VDSL oder DSM genutzt wird. Davon ist zumindest Andrew Nunn, Sprecher der Arbeitsgruppe "Optical and Metallic Access Networks" der UN-Organisation ITU (International Telecommunications Union), überzeugt. Für ihn gehört die Zukunft den Glasfasernetzen, wie sie heute bereits in Japan, Korea und anderen Teilen Asiens installiert sind. "Nur mit ihnen ist eine entsprechend hohe Anschlussdichte zu bewältigen", so Nunn.

Passive Glasfasernetze

Zudem dürften mit der Entwicklung der passiven Glasfasernetze (Gigabit Passive Optical Networks = GPON) künftig auch die Kosten kein Thema mehr sein. Diese Netze kommen ohne die heute üblichen teuren aktiven Komponenten aus. Ein solches Netz versorgt, so der ITU-Mann, über einen zentralen Switch Teilnehmer in einer Entfernung von bis zu 20 Kilometern. Die Verteilung an die einzelnen Teilnehmer übernehmen dabei passive optische Splitter, die ähnlich wie die im Physikunterricht verwendeten Prismen funktionieren. Entsprechende GPON-Pläne gibt es Nunn zufolge bereits in Japan und den USA. Für Kupfertechniken wie VDSL spreche deshalb nur noch, dass die Kabel bereits verlegt seien und die Carrier hier keine kostentreibenden Neuinstallationen beim Endkunden vornehmen müssten.