Die Wikipedia ist fünf Jahre alt

16.01.2006
Zu Beginn war es ein ehrgeiziges, manchmal auch belächeltes Projekt: Gestern vor fünf Jahren, am 15. Januar 2001, gründeten der US-Unternehmer Adam Wales und der Philosophie-Dozent Larry Sanger die "freie Enzyklopädie" Wikipedia.

Unter Mithilfe aller Internet-Nutzer sollte die größte Wissenssammlung der Welt entstehen. Heute gibt es Wikipedia in mehr als hundert Sprachen. Allein die deutschsprachige Version umfasst weit mehr als 300.000 Artikel, die englischsprachige 850.000. Doch die Freude zum fünften "Wikipedia Day", wie der Geburtstag genannt wird, dürfte in diesem Jahr etwas gedämpft sein.

In den vergangenen Wochen war Wikipedia gleich wiederholt in die Schlagzeilen geraten. Ende des vergangenen Jahres erschien ein Beitrag über Bertrand Meyer, in dem der französische Informatiker für tot erklärt worden war. Das entpuppte sich schnell als schlechter Scherz eines Studenten und wurde umgehend korrigiert. Dennoch sind solche Vorfälle ein gefundenes Fressen für Kritiker in der Diskussion um die Verlässlichkeit der populären Online-Enzyklopädie. Auch Adam Curry, MTV-Mitarbeiter und Miterfinder des Podcast (online abrufbare Audiodaten wie Radio-Sendungen), soll seine Wikipedia-Biografie anonym zu seinen Gunsten geändert haben.

Schmerzlicher dürfte Wikipedia ein anderer Eintrag getroffen haben, der wenige Wochen zuvor für heftige Aufregung gesorgt hatte. Ein "Scherzbold" publizierte eine gefälschte Biografie des amerikanischen Journalisten John Seigenthaler. Darin brachte er Seigenthaler unter anderem mit den Morden an den Kennedy-Brüdern in Verbindung. Alles reine Erfindung, die angeblich einen Kollegen aufs Glatteis führen sollte.

"Im Alter von 78 Jahren dachte ich, ich sei darüber hinaus, überrascht oder verletzt zu sein, wenn irgendetwas Negatives über mich gesagt wird", schrieb der bekannte Journalist im Ruhestand in der Tageszeitung "USA Today". "Da lag ich falsch." Der Rufmord im Netz traf ihn gleich doppelt, da in diesem Fall der Artikel mehr als vier Monate lang im Web nachzulesen war. Den Beitrag unverzüglich zu entfernen und den Urheber ausfindig zu machen, soll ihm selbst mit Unterstützung von Wikipedia-Mitbegründer Wales zunächst nicht gelungen sein.

Inzwischen ist der Artikel gelöscht, und der Urheber hat sich entschuldigt. Doch Wikipedia sei bei der Verbreitung von solchen Gerüchten wie ein Federkissen, schreibt Seigenthaler. Seien die Federn einmal in alle Winde zerstreut, sei es unmöglich, sie wieder in das Kissen hinein zu bekommen.

Die viel gerühmten Selbstheilungskräfte, die Idee, dass die Artikel automatisch reifen, da Fehler schnell gefunden und von jedem Nutzer korrigiert werden können, haben zumindest zeitweise im Fall Seigenthaler ausgesetzt. Für den englischsprachigen Raum hat Wikipedia deshalb Konsequenzen gezogen und erlaubt es nur noch angemeldeten Nutzern, neue Artikel anzulegen. Korrigieren kann allerdings weiterhin jeder, der sich dazu berufen fühlt.

In einem im Internet veröffentlichten Aufsatz zog vor einiger Zeit der Autor und ehemalige Chefredakteur der Encyclopaedia Britannica, Robert McHenry, über die freie Online-Konkurrenz her und verglich Wikipedia mit einer öffentlichen Toilette. "Sie kann zum Beispiel schmutzig sein, so dass der Besucher mit großer Vorsicht handelt", schreibt McHenry. Eine augenscheinlich saubere Toilette wiege ihn dagegen in falscher Sicherheit. "Wer den Ort vor ihm genutzt hat, weiß er sicherlich nicht."

Trotz aller Skandale und Diskussionen bleibt die inzwischen von dem gemeinnützigen Verein Wikipedia Foundation betriebene Enzyklopädie eine Erfolgsgeschichte im Internet. Offiziell fürchten die großen Enzyklopädie- und Lexikon-Verlage ihre Verbreitung nicht und verweisen auf die Seriosität und verbriefte Korrektheit der Einträge in ihren Traditionswerken.

Doch neben dem Grimme Online Award in diesem Jahr in Deutschland hat Wikipedia erst kürzlich eine weitere Auszeichnung erhalten. Mitte Dezember stellte das britische Wissenschafts-Journal "Nature" die Qualität der Einträge fast auf die gleiche Stufe wie die der Encyclopaedia Britannica. Das Fachmagazin hatte Experten ausgewählte und ungekennzeichnete Artikel aus beiden Werken vergleichen lassen. Bei Wikipedia fanden die Prüfer durchschnittlich vier Fehler pro Artikel, bei der Encyclopaedia Britannica drei. Ihr Fazit: In Sachen Qualität liegen beide nahezu gleichauf. (dpa/tc)