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Klassische Medien als Abnehmer

Afghanistan-Coup könnte Wikileaks die Kassen füllen

26.07.2010
Weltverbesserung ist ein mühsames Geschäft - das wissen die Macher von Wikileaks.

Im vergangenen Herbst sah es düster aus für die Plattform: Über ein Spendenkonto bei der Wau-Holland-Stiftung aus dem Umfeld des deutschen Chaos Computer Clubs kamen lediglich 2000 bis 3000 Euro pro Monat zusammen. Das war viel zu wenig, um den aufwendigen Betrieb der Serverplattform und die Reisekosten des Enthüllungsnetzwerks zu finanzieren - von Gehältern für die Vollzeit-Beschäftigten des Projekts ganz zu schweigen. Wikileaks-Kopf Julian Assange sprach in Interviews davon, dass mindestens 200.000 Dollar pro Jahr nötig seien - besser noch 600.000 Dollar.

"Erst als Wikileaks vorübergehend seinen Betrieb einstellen musste, zogen die Spenden deutlich an", sagte Stiftungssprecher Hendrik Heye Fulda der Deutschen Presse-Agentur. Bis zum Frühjahr seien mehr als 400.000 Euro zusammengekommen. Genug, um gut ein Jahr lang weiter zu arbeiten. "Nachdem Wikileaks dann erneut online ging, gingen aber die Spenden wieder auf das alte niedrige Niveau zurück." Fulda geht davon aus, dass die Wau-Holland-Stiftung das Gros der globalen Einnahmen von Wikileaks besorgt.

Die klassischen Medien spielen bei der Finanzierung eine entscheidende Rolle. Von den Medienpartnern des aktuellen Scoops hat Wikileaks nach Angaben von "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo zwar kein Geld erhalten. Mit der weltweiten Aufmerksamkeit für das Enthüllungsnetzwerk dürfte es der Stiftung jedoch leichter fallen, Geld einzuwerben.

"Das Spendenvolumen ist immer dann hoch, wenn Menschen bewusst verstehen, dass das, was wir machen, wichtig ist", sagt Daniel Schmitt, der die Organisation in Deutschland vertritt und wie die meisten seiner konspirativen Kollegen seinen richtigen Namen nicht nennen will. "Wir brauchen jemanden, der den Zugang zum Material aufmacht - und das sind die klassischen Medien."

Sei das Thema erst bekannt, falle es Laien leichter, sich das Originalmaterial anzusehen und durchzustöbern, ist sich Schmitt sicher. Je mehr Menschen die Plattform nutzen, desto mehr spenden auch - auf diesen Effekt, der auch vom Online-Lexikon Wikipedia bekannt ist, hoffen die Macher. Zuwendungen von Unternehmen und Regierungen lehnen die Aktivisten ab, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu beschädigen.

Der Afghanistan-Coup macht Assange, Schmitt und Co Hoffnung auf mehr. "Gerade bei solch großen Veröffentlichungen sehen wir immer wieder, dass wir viel mehr Ressourcen gebrauchen können, um die Arbeit zu bewältigen", sagt Schmitt.

Während die Weltverbesserer den finanziell Engpass erst einmal überbrückt haben, tut sich eine andere Lücke auf: Es fehlt an vertrauenswürdigen Mitstreitern, die Dokumente überprüfen. "Wir erhalten jede Menge hochrangige Enthüllungen der "Whistleblower"" genannten Informanten, sagte Assange kürzlich bei einer Konferenz. "Wir haben aber nicht genügend Leute, um diese Informationen verarbeiten zu können." Nicht jeder darf im Geheimzirkel der Weltverbesserer mitmachen. (dpa/tc)

Wikileaks-Chef Julian Assange scheut die Öffentlichkeit

Mit seinen schlohweißen Haaren sieht Julian Assange viel älter aus als 39 Jahre. Doch der Chef der Enthüllungsplattform Wikileaks ist ein Kind der siebziger Jahre. Als Jugendlicher wählte er sich mit seinem Heim-Computer, einem Commodore 64, nicht nur in Mail-Box-Systeme ein, sondern brach auch in Netzwerke von Unternehmen und Behörden ein. Schon damals hatte er amerikanische Militärrechner im Visier. Der Australier möchte sich heute nicht mehr "Hacker" nennen lassen. "Dieses Wort ist inzwischen vor allem mit der russischen Mafia verknüpft, die die Bankkonten Ihrer Großmutter plündern möchten", sagte Assange kürzlich auf der Medienkonferenz "TED" in Oxford. "Ich bin ein journalistischer Aktivist."

Als eine Gruppe von Aktivisten versteht Assange auch das Enthüllungsnetzwerk Wikileaks, das im Jahr 2007 von ihm gegründet wurde. Dort werden brisante und heikle Dokumente veröffentlicht, die nach Ansicht von Assange und seinen Mitstreitern dazu beitragen, dass die Welt besser wird. "Großherzige Menschen schaffen keine Opfer, sie kümmern sich um Opfer", erläutert Assange seine Motive. "Ich selbst bin eher ein kämpferischer Typ. Zu meinen Stärken gehört nicht unbedingt die Fürsorge. Man kann sich aber auch um die Opfer kümmern, in dem man die Täter verfolgt."

In die Kategorie "Täter" gehören aus Sicht von Assange auch die Militärs, die in Konflikten unbeteiligte Zivilisten töten. Großes Aufsehen erregte Wikileaks mit der Veröffentlichung des Bordvideos eines amerikanischen Kampfhubschraubers aus dem Jahr 2007. In dem Video aus Bagdad war deutlich zu sehen, wie elf zivile Passanten - darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters - aus dem Hubschrauber heraus erschossen wurden.

Seitdem tauchen immer wieder Gerüchte auf, dass US-Geheimdienste Julian Assange und seinen Mitstreitern nachstellen. Um Agenten der amerikanischen Heimatschutzbehörde aus dem Weg zu gehen, sagte der Australier erst vor zwei Wochen einen lange geplanten Auftritt auf einer Konferenz in New York ab. Dem Magazin "New Yorker" sagte er, er lebe zurzeit auf Flughäfen. Selbst in Europa fühlt Assange sich unter Beobachtung: "Wir haben hier in den letzten Monaten einige Vorfälle entdeckt", sagte der Wikileaks-Chef vor einer Woche der "Süddeutschen Zeitung".

Kritiker werfen Assange vor, mit einer großen Geheimniskrämerei die Glaubwürdigkeit des Enthüllungsnetzwerks Wikileaks zu unterlaufen. "Man kann (die Arbeit von Wikileaks) nicht beurteilen, weil jede Transparenz fehlt", schreibt der Web-Aktivist John Young auf seiner Website Cryptome.org. Der Wikileaks-Chef verteidigt seine Verschwiegenheit mit einem Hinweis auf den Schutz seiner Quellen.

Andere Kritiker bemängeln einen zu lockeren Umgang mit den Persönlichkeitsrechten von Betroffenen. So seien mit der Veröffentlichung der E-Mails der US-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin auch viele Menschen ins Visier der Öffentlichkeit geraten, die lediglich einen privaten Umgang mit Palin hatten.

Assange räumt ein, dass Wikileaks nicht jedes Geheimnis veröffentlichen darf. "Uns kommt es darauf an, um welche Information es sich handelt und ob eine Veröffentlichung dazu beitragen kann, einen Reformprozess in Gang zu setzen", sagte der Wikileaks-Chef auf der "TED"-Konferenz. Wenn Organisationen sich anstrengen, eine Information zu verbergen, sei dies ein gutes Indiz dafür, dass diese Information besser veröffentlicht werden sollte. Es gebe aber auch legitime Geheimnisse: "Ihre Unterlagen bei Ihrem Arzt gehören beispielsweise dazu."