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"Ein bisschen mehr Pep"

Wahlkampf in Deutschland bei YouTube

03.06.2009
Wenn Barack Obama bei YouTube die Hüften kreisen lässt, wird das Video sieben Millionen Mal angesehen.

In dem knapp eineinhalb Minuten langen Clip kommt der damalige Kandidat für die US-Präsidentschaft lässig tanzend ins Fernsehstudio von Moderatorin Ellen DeGeneres. Von solchen Nutzerzahlen können deutsche Politiker nur träumen. Doch auch wenn sie ständig wiederholen, der deutsche Wahlkampf sei nicht mit dem amerikanischen vergleichbar, will doch keine Partei auf die Macht der bewegten Bilder im Netz verzichten.

Alle großen Parteien oder Fraktionen in Deutschland haben mittlerweile einen eigenen YouTube-Kanal und beschäftigen Mitarbeiter, die sich um die Produktion von Filmen fürs Internet kümmern. "In der Regel verstehen Politiker sofort den Sinn der Plattform, da es ja so was Ähnliches wie Fernsehen ist", sagt Blogger Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Die meisten Abgeordneten sind an Auftritte vor der Fernsehkamera gewöhnt. Doch weder der Video-Podcast der Kanzlerin noch die typischen Politiker-Interviews sind bei den Zuschauern im Internet der Renner.

Die FDP hat sich daher ein anderes Format einfallen lassen. Bei "Fricke & Solms" imitieren die beiden Finanzpolitiker Hermann Otto Solms und Otto Fricke das einstige ZDF-Erfolgsduo Bodo Hauser und Ulrich Kienzle. Und nebenbei erklären sie die Positionen der Liberalen etwa zum Thema Mindestlohn oder Bad Banks. Folge elf zum Thema Banken-Enteignung wurde bereits 8000 Mal angeklickt. Ein guter Rat jedoch kommt von Gaststar Kienzle in der Show selbst: "Ein bisschen mehr Pep würde ihrer Sendung gut tun."

Einige Abgeordnete drehen auch auf eigene Faust. Etwa Jörn Thießen, SPD-Bundestagsmitglied aus Schleswig-Holstein. In seinem Video-Blog "Minute mit Jörn" erzählt er "aus dem Leben eines normalen Abgeordneten zwischen Itzehoe und Bad Bramstedt". Der wackere Abgeordnete meldet sich seit dem 19. Januar täglich - etwa nachts vom Kirchentag in Bremen, vom Protestzug der Milchbauern in Berlin oder er filmt eifrig Schlick im Watt, Kuhfladen und Priele. Diese Tourismuswerbung für seine Heimat Dithmarschen kommentiert er mit: "Im Hintergrund unser berühmter Horizont und davor Schafe."

Unangefochtene Klick-Spitzenreiter sind jedoch derzeit die TV-Spots zur Europawahl: Der SPD-Beitrag wurde mehr als 64.000 Mal bei YouTube angeklickt, auf 39.000 Interessenten brachte es der CDU-Spot und der Grünen-Beitrag auf knapp 48.000. Unter den knapp 80 Videos der SPD schneidet auch eine Rede von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier auf dem Parteitag im Oktober in Berlin mit mehr als 10.000 Aufrufen recht gut ab.

Besonders beliebt sind Filme über den politischen Gegner - wie zum Beispiel der Grünen-Clip "Wie Angie und Frank die Abwrackprämie erfanden". "Die meisten Filme sind nicht sehr aufwendig produziert", sagt der Leiter des Online-Wahlkampfes der Grünen, Robert Heinrich, über das Video-Konzept der Partei. "Sie leben vor allem von Witz, Originalität und Authentizität."

Parodien über die Polit-Konkurrenz kamen im US-Wahlkampf häufig zum Einsatz - Video-Material lässt sich relativ einfach schneiden und neu zusammensetzen. Der Berliner Blog spreeblick.de etwa machte einen sogenannten Remix aus der Video-Ansprache von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum neuen biometrischen Pass. Ganz im Gegenteil zu seiner eigentlichen Absicht sagt er da: "Liebe Mitbürger, ich möchte ihnen die organisierte Kriminalität der zweiten Generation heute vorstellen. Wer ab heute einen Pass beantragt, wird ausgeliefert werden können."

Trotz aller bösen Verdrehungen, die im Netz möglich sind, hält FDP-Marketingexperte Thomas Scheffler an YouTube fest: "Bewegtbilder sind für unseren Wahlkampf sehr wichtig. Visuelle Reize haben eine ganz andere Wirkung." Die CDU verzichte bewusst darauf, einfach nur eine Rede abzufilmen, betont Partei-Sprecherin Ina Diepold. Wichtig sei vielmehr, Beiträge zu machen, die einen Blick hinter die Kulissen erlaubten. Wie viel sich die Parteien die Videos kosten lassen, will niemand verraten. Der Großteil der Wahlkampfbudgets fließt noch immer in klassische Medien und den traditionellen Wahlkampf auf der Straße. (dpa/tc)