Trauerspiel

Wie Nokia den Smartphone- und Tablet-Trend verschlief

19.07.2012
Von 
Thomas Cloer war Redakteur der Computerwoche.
Nokia hatte lange vor Apple Geräte entwickelt, die ähnlich aussahen und funktionierten wie das iPhone und das iPad. Nur brachte es die nie auf den Markt.
Die Nokia-Zentrale in Espoo bei Helsinki
Die Nokia-Zentrale in Espoo bei Helsinki
Foto: Nokia

Nokias früherer Chefdesigner Frank Nuovo präsentierte Netzbetreibern und Investoren schon vor mehr als zehn Jahren ein Telefon mit Touch-Farbdisplay über einem einzigen Knopf, berichtet das "Wall Street Journal" heute in einer langen Hintergrundgeschichte. Und schon Ende der 1990er Jahre entwickelte der finnische Konzern heimlich einen Tablet-Computer mit Mobilfunk und Touchscreen.

"Oh mein Gott", sagt Frank Nuovo heute, wenn er durch seine Slides von damals klickt. "Wir hatten den Nagel auf den Kopf getroffen." Die Verzweiflung ist nur allzu verständlich, denn Endkunden bekamen keines der beiden Designs je zu Gesicht, geschweige denn in die Finger. Die Gadgets wurden Opfer einer Unternehmenskultur, in der Unsummen für Forschung und Entwicklung ausgegeben und gleichzeitig jede Menge Chancen ausgelassen wurden, die produzierten Innovationen auch auf den Markt zu bringen.

Das rächt sich heute bitter - Nokia gerät immer mehr ins Hintertreffen, obwohl die Finnen über die letzten zehn Jahre hinweg 40 Milliarden Dollar für R&D ausgegeben haben, fast vier Mal so viel wie Apple im gleichen Zeitraum. Und Nokia sah ganz klar, wohin die Industrie sich bewegte, die der Konzern einst dominierte. Seine Forschung war dem Bericht zufolge aber durch interne Reibereien fragmentiert und losgelöst vom operativen Geschäft, das Telefone auf den Markt brachte.

Statt Verkaufsschlager in Sachen Geräte oder Software zu produzieren, hat die Ausgabenorgie Nokia nun mindestens zwei aufgegebene Betriebssysteme und einen Berg von Patenten eingebracht, dessen Wert Analysten aktuell auf rund 6 Milliarden Dollar (und damit den größten Teil des derzeitigen Firmenwerts) schätzen. CEO Stephen Elop wird vermutlich nicht umhin können, mehr von diesem Tafelsilber zu verkaufen, um Nokia so lange am Leben zu erhalten, bis es möglicherweise aus eigener Kraft den Turnaround schafft.

"Wären die doch bloß in Produkten gelandet", hatte Elop kürzlich in einem Interview über die Entwicklungen des Unternehmens gesagt. "Dann stünde Nokia heute woanders." Ein schwacher Trost, dass es anderen Playern im Markt wie beispielsweise dem Blackberry-Anbieter Research in Motion (RIM) nicht besser ergeht. Wirklich vergleichen kann man beide Firmen aber nicht - RIM fehlte irgendwann das richtige Produkt; Nokia hingegen hatte die Geräte in der Schublade, entschied sich aber strategisch unsinnig zu einer Rückbesinnung auf einfache Telefone, als das iPhone den Markt aufzumischen begann.

"Es hat mir das Herz gebrochen, als Apple mit diesem Konzept abgehoben ist", jammert Designer Nuovo. "Es bringt mich auf die Palme, wenn Leute behaupten, das iPhone sei als Konzept und Stück Hardware einzigartig." Bei den Vergleichen mit Apple lässt Nuovo allerdings einen wichtigen Aspekt außer Acht: Apple ist mit seinen Geräten nicht als reine Hardware erfolgreich, sondern vor allem durch sein geschlossenes und durchgängiges Ökosystem aus Geräten und digitalen Inhalten - die hatte Nokia in dieser Form nie und sein neuer Plattformpartner Microsoft hat sie (von Xbox-Live-Games abgesehen) bis heute auch nicht.

Ob Elop mit der von ihm angestoßenen Restrukturierung mit unter anderem stärker fokussierter Forschung und Entwicklung Nokia auf die Erfolgsstraße zurückbringen kann, steht derzeit in den Sternen. Bislang haben sich die "Lumia"-Telefone mit Microsoft-Betriebssystem zwar nicht als Ladenhüter erwiesen, Kassenschlager sind sie aber auch nicht. Außerdem ist Nokia bei der Softwareplattform vom Partner Microsoft abhängig, der Early-Adopter-Kunden von Windows Phone gerade damit vergrätzt, dass die nächste Version 8 auf ihren Telefonen nicht mehr laufen wird.