Orientierungshilfe

Native App oder mobile Website?

03.11.2011
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Wer seinen Web-Auftritt für mobile Endgeräte anpassen will, gerät schnell in Entscheidungsnöte. Mobile Website oder lieber eine App? Eine Orientierungshilfe.

Das Apple iPhone hat nicht nur den Trend zu benutzerfreundlichen und Touch-gesteuerten Smartphones ausgelöst, das Kultgerät bereitete auch mobilen Applikationen, kurz Apps, in einer breiten Öffentlichkeit den Boden. Als Folge, so scheint es, präsentiert nun jedes noch so kleine Unternehmen seine Inhalte in einer eigenen App. Mobile Web-Seiten, das bisherige Mittel der Wahl, treten immer mehr in den Hintergrund.

Mit dem Aufkommen von HTML5 und anderen Errungenschaften häufen sich jedoch die Stimmen, die über kurz oder lang ein Ende des App-Hypes prophezeien. „Native Apps werden die Verbesserungen im Web nur dann überleben", so etwa Gartner Anfang des Jahres, „wenn sie eine persönlichere und reichere Erfahrung bieten."

Bookmark oder Icon?

Apps sind über das Icon immer auf dem Smartphone präsent.
Apps sind über das Icon immer auf dem Smartphone präsent.

Scott Jenson, Creative Director von Frog Design und erstes Mitglied der User-Interface-Group von Apple in den späten 1980ern, sieht in den Apps sogar ein Überbleibsel aus der PC-Ära – und erwartet ihr Aussterben. Es sei einfach nicht mehr zeitgemäß, eine App für jeden Shop, den man besucht, jedes Produkt, das man kauft, oder jede Website, die man besucht, zu haben, argumentiert Jenson. Dabei entstehe eine stetig wachsende Sammlung, die laufend gepflegt, neu organisiert und aussortiert werden müsse. Aus einigen Dutzend würden schnell Hunderte von Apps, die allesamt auf dem Smartphone gespeichert seien.

Trotz aller Kritik: Derzeit leben beide mobilen Inhaltsformen in einer friedlichen Koexistenz. Wir haben uns mit den Vor- und Nachteilen beschäftigt.

Marketing und Vertrieb

Mit dem iTunes App Store, dem Android Market und anderen Marktplätzen haben deren Anbieter den Unternehmen eine Möglichkeit geschaffen, digitale Inhalte einem größeren Publikum zu präsentieren und zu verkaufen. Das betrifft einzelne Downloads ebenso wie Abonnements für regelmäßig neue Contents. Zwar streicht der Marktplatzbetreiber dafür einen Anteil vom Umsatz ein, trotzdem ist der Vertrieb meist effektiver als beispielsweise das Angebot eines Premium-Zugangs auf einer Website. Die Appstores ermöglichen neue digitale Geschäftsmodelle – deshalb sind sie bei Inhalteanbietern jeglicher Couleur so beliebt.

Einige Medienkonzerne gehen inzwischen sogar so weit, dass sie mobilen Endgeräten den Zugang über den Browser verweigern, um die Nutzer zum Kauf der entsprechenden App zu bewegen. Mit Hilfe des App-Modells machen sie aus kostenlosen Inhalten zahlungspflichtige. Als das iPhone noch kein Massenprodukt war, boten Apps außerdem die Möglichkeit, gezielt gut betuchte Nutzer und damit attraktive Werbekunden anzusprechen. Heute würde kaum noch jemand versuchen, über eine iPhone-App Interessenten für Luxusartikel erreichen zu wollen.

In einem Punkt sind Anwendungen allerdings Marketing-technisch unterlegen: Verglichen mit einer mobilen Website, über die man beim Surfen oder der Google-Suche stolpert und aufruft, gelangen Apps erst nach einem relativ hohen Aufwand auf das Endgerät. Auch wenn sie später länger auf Smartphone oder Tablet bleiben, müssen sie zuerst ausgewählt, bezahlt und installiert werden. Außerdem spielen sie in Suchmaschinen praktisch keine Rolle.

Mobile Websites können leichter über Suchmaschinen gefunden werden.
Mobile Websites können leichter über Suchmaschinen gefunden werden.

So gesehen tut sich ein Anbieter, der Neukunden erreichen will, wesentlich leichter, seine Angebote über eine mobile Website zu bewerben. Bestehende Kunden kann er dagegen eventuell besser mit einer App an sich binden. Marketing-Strategen und Geschäftsführer sollten sich solche Fragen stellen, bevor sie Entscheidungen treffen. Heute ist die App oft per se gesetzt, weil sie zum guten Ton gehört. Doch nur weil ein Icon auf dem iPhone oder iPad besser sichtbar als das Bookmark einer Website im mobilen Browser ist, rechtfertigt das noch keine App. Ist die Anwendung nicht wirklich nützlich oder cool, beeinflusst sie das Marken- oder Firmenimage sogar negativ.