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"Wie ein Messerstich in den Rücken"

Aus für Handyproduktion in Deutschland: Nokia geht nach Südosteuropa

15.01.2008
Aus für die Handyproduktion in Deutschland: Der Weltmarktführer Nokia schließt sein Bochumer Werk und schickt 2300 Beschäftigte in eine ungewisse Zukunft. Betroffen sind darüber hinaus nach Angaben der IG Metall bis zu 1000 Leiharbeiter, die Nokia vor allem in der Produktion einsetzt.

Damit kehrt der finnische Riese als letzter Handyhersteller dem Produktionsstandort Deutschland den Rücken. Erst vor einem Jahr hatte BenQ Mobile seine Produktion eingestellt, vor sechs Monaten kündigte der US-Hersteller Motorola seinen Rückzug aus Deutschland an. Und Siemens prüft inzwischen auch alle Optionen für seine Sparte SHC, die die "Gigaset"-Schnurlostelefone baut.

Der IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard warf dem Nokia-Management "Gewinnsucht zu Lasten der Menschen" vor. Die Ankündigung sei ein Schlag ins Gesicht der Menschen, sagte der Gewerkschafter. Burkhard kündigte Widerstand gegen die Nokia-Pläne an. Die IG Metall werde sich diesen Plänen entgegenstellen und die Arbeitsplätze nicht kampflos aufgeben.

Enttäuscht zeigte sich auch der Branchenverband Bitkom: "Es ist bedauerlich, dass mit Nokia nun auch der weltweit führende Handyhersteller seine deutsche Produktionsstätte schließt. Damit ist die Handyproduktion in Deutschland so gut wie tot", erklärte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer in Berlin.

Aus Kostengründen will der finnische Welt-Konzern die Fertigung nach Rumänien, Ungarn und nach Finnland verlagern. Die Entscheidung sei vom Vorstand nicht leichtfertig getroffen worden, beteuerte der Aufsichtsratschef der Nokia GmbH, Veli Sundbäck. Aber die rasante globale Marktentwicklung habe das Unternehmen zum Handeln gezwungen.

"Damit wir erfolgreich sind, müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich verbessern", begründete er den Schritt. Auch mit neuen Investitionen hätte der Standort Bochum nicht wesentlich rentabler gemacht werden können.

Nokia will jetzt zügig mit den Arbeitnehmervertretern in Verhandlungen gehen, um eine zufriedenstellende Lösung zu erzielen. Betriebsrat und Gewerkschaft hoffen jetzt noch auf die Hilfe von Politikern. Einer Rettung des Standortes wird aber wenig Spielraum eingeräumt. Nordrhein-westfälische Politiker verlangten Sozialpläne für die Beschäftigten.

NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) sagte: "Angesichts erheblicher öffentlicher Gelder, die in die Weiterentwicklung des Nokia-Standorts in Bochum geflossen sind, stellt sich für die Landesregierung unter anderem die Frage, ob die Entscheidung wirklich unumstößlich ist." Laut Thoben scheinen jetzt weitere öffentliche Mittel - in diesem Fall von der EU - von Nokia dafür eingesetzt zu werden, einen neuen Standort in Rumänien aufzubauen. Solche Vermutungen wies Nokia-Manager Sundbäck dagegen zurück. Das Unternehmen habe weder Subventionen vom rumänischen Staat noch von der EU erhalten.

Der Nokia-Manager betonte immer wieder, dass das Kostenniveau in Deutschland sehr hoch sei. Alleine die Arbeitskosten in Deutschland lägen im Vergleich zu Rumänen um das Zehnfache höher. "Wir folgen der globalen Nokia-Strategie, die auf Kosteneffizienz und Flexibilität in der Logistik setzt."

Er sprach von einer sehr harten Entscheidung für die betroffenen 2300 Beschäftigten. Etwa 280 Mitarbeiter könnten mit dem geplanten Verkauf zweier Betriebseinheiten ihre Arbeitsplätze in einem neuen Unternehmen möglicherweise behalten. Bei diesen Einheiten handele es sich um das Line Fit Automotive Business (ab Werk integrierte Lösungen für die Fahrzeugindustrie) sowie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung Adaptation Software. Bedroht sind mit der Verlagerung auch 1000 Stellen bei Zulieferern.

Noch in diesem Quartal soll nach Angaben der Nokia-Sprecherin Arja Suominen die Produktion im rumänischen Cluj aufgenommen werden. Ein weiterer Teil der bisherigen Massenfertigung in Bochum soll auf das Werk Komárom in Ungarn verlagert werden. Für Spitzenprodukte mit Bedarf an hoch qualifizierter Arbeitskraft ist die Verlagerung in das finnische Nokia-Werk in Salo geplant.

Das Bochumer Werk, größter industrieller Arbeitgeber der Stadt hinter Opel, stand bereits 2001 vor dem Aus. Damals wurden letztlich 340 der 3000 Stellen gestrichen. Im vergangenen Jahr hatte zudem das gerade gestartete Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks in Deutschland die Streichung von 2800 bis 2900 Stellen angekündigt. Der finnische Konzern war 1987 nach Deutschland gekommen und hatte zwei Jahre später die Fertigung von Handys in Bochum aufgenommen. Insgesamt zählt Nokia weltweit zusammen mit dem Telekomausrüster Networks rund 112.000 Beschäftigte.