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2. UPDATE: Microsofts Standard-Manipulationen ziehen Kreise

31.08.2007
Schweden zieht das Ja zu Office Open XML (OOXML) zurück. Norwegen stimmt mit Nein, in Ungarn kippt die Stimmung und in Dänemark könnte es zu einer Parlamentsdebatte über die Microsoft-Politik kommen. Auch in der Schweiz gab es eine wundersame Stimmvermehrung.

Das schwedische Standardisierungsinstitut SIS hat seine Entscheidung vom Montag dieser Woche zugunsten von Microsofts Dokumentenformat für ungültig erklärt. Demzufolge wird das Land bei der ISO nicht mehr für die Anerkennung von OOXML als internationaler Standard stimmen, sondern am Verfahren nicht mehr teilnehmen. In einer Presseerklärung des SIS heißt es, ein an dem Landesvotum beteiligtes Unternehmen habe zwei Stimmen abgegeben, obwohl die Regeln nur eine Stimme pro SIS-Mitgliedschaft erlauben. Die Zeitschrift "OS/2 World" meldet, in der entscheidenden Sitzung seien drei Vertreter von Microsoft präsent gewesen und anscheinend hätten diese zwei Stimmen abgegeben.

Die überraschende Entscheidung des SIS vom 27. August löste einen Skandal aus, der internationale Dimensionen gewonnen hat. Microsoft Schweden hatte Business Partner mit Versprechungen auf Vergünstigungen dazu bewegt, am nationalen Standardisierungsverfahren teilzunehmen und ihre Stimme für OOXML abzugeben. In den letzten Tagen ist herausgekommen, dass Microsoft auch in anderen Staaten die Standardisierungsverfahren mit Stimmenkauf oder anderen Tricks manipuliert hat (lesen Sie hier unsere ausführliche Hintergrundgeschichte "Microsoft manipuliert weltweit Office-Standard"). Jedes Mitgliedsland der ISO hat eine Stimme bei der Abstimmung darüber, ob Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) in den Rang eines internationalen Standards erhoben wird.

Norwegen wird in dem Verfahren mit Nein stimmen Das hat die nationale Standardisierungsbehörde am gestrigen Abend beschlossen. In dem Land hat es anscheinend keine Versuche gegeben, durch Unterwanderung des Gremiums die Abstimmung zu manipulieren. Das sichere Ja Ungarns zu OOXML steht auf der Kippe. Insidern zufolge gibt es massive Interessenkonflikte im nationalen Amt für Standards. Im letzten Moment könnte Ungarns Stimme auf Enthaltung kippen.

In Dänemark haben die Microsoft-Manipulationen die höchste Ebene erreicht. In politische Kreisen gibt es Bestrebungen, das Verhalten Microsofts in der nächsten Woche zum Thema einer Parlamentsdebatte zu machen.

In der auf Neutralität bedachten Schweiz könnte Microsoft zum Auslöser eines politischen Skandals werden. Im für die OOXML-Entscheidung zuständigen Gremium der Schweizer Normierungsbehörde SVN sind allein in den letzten zwei Wochen 20 Geschäftspartner von Microsoft Mitglied geworden. Matthias Stürmer, dort Repräsentant der Gruppe /ch/open, schreibt in seinem Blog: "Dieser ganze Prozess hat seinen technischen Wert absolut verloren und ist ein nur noch politischer Vorstoß zugunsten von Microsoft sowie eine Geldquelle für die SVN geworden." (ls)

CW-Kommentar

Der Schweizer Matthias Stürmer bringt es auf den Punkt: Die Manöver und Manipulationen von Microsoft haben die inhaltliche Arbeit von nationalen technischen Gremien wertlos gemacht. Darüber hinaus ist ein gewaltiger Schaden für sämtliche Standardisierungsorganisationen entstanden. Verantwortlich ist dafür in erster Linie eine Microsoft, der ihre wirtschaftlichen Interessen über alles gehen. Dass sich ein Unternehmen, das derart dreist ohne Rücksicht und Takt agiert, dabei auch noch plump anstellt, ist nicht weiter verwunderlich. Aber auch die Standardisierungsbehörden haben kräftig mitgeholfen, ihre nach außen demonstrierte Unabhängigkeit in Frage zu stellen.

So ist die Erklärung des schwedischen SIS höchst verdächtig. Schließlich hätte den Verantwortlichen anhand der Teilnehmerliste der Sitzung sofort auffallen müssen, dass ein Votum mehr abgegeben wurde, als stimmberechtigte Organisationen vertreten waren. Warum bemerkte das SIS die Wahlmanipulation erst, nachdem die Presse einen Stimmenkauf aufgedeckt hat? Ein derart amateurhafter Zählfehler wirft ein denkbar ungünstiges Licht auf eine Organisation, die über komplexe technische Dinge zu entscheiden hat. Zu erklären wäre er allenfalls mit dem Wunsch, eine leidige oder anrüchige Angelegenheit, nämlich OOXML, möglichst schnell und unauffällig vom Tisch zu bekommen. In jedem Fall hätte dann Microsofts Druck und Verfahrensmanipulation dem Ruf des schwedischen Standardisierungsgremiums schweren Schaden zugefügt. Auch in anderen Ländern, in denen es durch Microsoft-Manöver zu merkwürdigen Vorgängen gekommen ist, hat das Image der höchsten nationalen technischen Institutionen erheblich gelitten. (ls)