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Die Hintergründe der "Strato-Affäre"

17.02.2000
Interview mit dem Ex-Vorstand Norbert Stangl

CW-Bericht von Frank Niemann

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Web-Hoster Strato Medien AG aus Berlin kommt nicht aus den Schlagzeilen. Seit Wochen klagen Kunden immer wieder über technische Probleme beim Dienstleister. Der ehemalige Vorstand und Mitgründer Norbert Stangl sprach nun über die Hintergründe der Misere.

Strato-Panne legt 500 000 Domains lahm

Seit Herbst letzten Jahres jagt beim in Berlin ansässigen Web-Hoster eine Panne die andere. Kunden klagen immer wieder über Ausfälle bei Web-Servern, E-Mail-Diensten, CGI-Skripts und Probleme mit FTP-Zugängen. Der jüngste Vorfall: Anfang Februar dieses Jahres legte ein Totalausfall des zentralen Rechners des beauftragten Internet-Service-Providers Xlink aus Karlsruhe rund 500 000 Domains mit der Endung ".de" lahm. Xlink liefert die gesamte Infrastruktur, Strato kümmert sich um die Auftragsannahme und ist Ansprechpartner und Vertragspartner für die Kunden - falls sie denn bei der überlasteten Hotline jemanden erreichen. Einen Eindruck von den Problemen, mit denen die Kunden konfrontiert sind, vermittelt die Interessengemeinschaft der Kunden der Strato Medien AG beziehungsweise die Website Krisennavigator. Offenbar ist die Geduld einiger Klienten erschöpft: Aus gut informierten Kreisen heißt es, Strato ertrinke in Wechselkündigungen (KK-Anträgen). Viele Kunden gehen also von dem Provider weg zu einem neuen Anbieter.

Strato schiebt Xlink Schuld in die Schuhe

Für Sigram Schindler, Vorstandsvorsitzender der Muttergesellschaft Teles AG, steht fest: Schuld an den Problemen ist Xlink, da dieser "den Vertrag mit Strato in grob fahrlässiger Weise gebrochen hat". Nun soll KPN Qwest aus Amsterdam, die Muttergesellschaft von Xlink, die technische Basis der Strato AG verstärken. Bis zum 23. Februar will die Firma, ein Zusammenschluss des niederländischen Telekommunikationsunternehmens KPN und des US-Carriers Qwest, die Server-Kapazität verdoppeln und die Bandbreite vervierfachen. Ob sich der Service nun wirklich verbessert, daran will Bernd Bruns, Sprecher der Interessengemeinschaft der Strato-Kunden, nicht so recht glauben und vermutet hinter den Verlautbarungen eine Verzögerungstaktik.

Zwar wird der Eindruck erweckt, Xlink sei Verursacher der Misere, doch nach Ansicht von Norbert Stangl verdient der Provider die Rolle des Sündenbocks nicht. Stangl gründete im Juli 1997 gemeinsam mit Marc Ullrich die Firma Strato, verkaufte sie Ende Dezember 1998 an Teles und blieb bis August 1999 Vorstand der Strato AG. Laut Stangl kam es schon während seiner Amtszeit oft zu Engpässen bei Xlink, doch habe man sich daraufhin mehrfach mit dem Provider auf eine Aufstockung der Kapazität geeinigt und so die Probleme aus der Welt geschafft. Außerdem hätten die Strato-Vorstände während ihrer Amtszeit die Verträge mit dem damaligen Xlink-Chef Michael Rotert immer wieder angepasst, da das enorme Wachstum des Hosting-Geschäfts einen Ausbau der Infrastruktur erforderte. "Ursprünglich waren die mit dem Karlsruher Internet-Service-Provider Xlink vertraglich vereinbarten Infrastrukturdienste auf 4000 neue Domains pro Monat ausgelegt, doch tatsächlich kamen alle vier Wochen 20 000 bis 30 000 Internet-Adressen hinzu", erinnert sich Stangl. Insider aus der Umgebung von Xlink bestätigten die Darstellung Stangls.

Offenbar hielt Teles-Chef Schindler jedoch wenig von einer kooperativen Zusammenarbeit mit dem Provider Xlink. So teilte er im Dezember letzten Jahres in einem Schreiben an die Strato-Kunden mit, schwere juristische Geschütze gegen den Provider auffahren zu wollen. Schon damals kündigte der Manager an, den Vertrag mit Xlink in ein Abkommen mit der Muttergesellschaft KPN Qwest umzuwandeln.

Schindler entlässt Ullrich und Stangl

Schindler griff auch in die Führungsetage von Strato ein. Schon im August 1999 ließ er die beiden Strato-Vorstände Stangl und Ullrich beurlauben und im September ihrer Ämter entheben. Berichten zufolge soll sogar ein Hausverbot verhängt worden sein. Der Grund: Beide hätten unabhängig voneinander versucht, teilweise unter Einsatz sehr unfreundlicher Mittel, wieder in den Besitz des Unternehmens zu gelangen, das sie gemeinsam gegründet und an Teles verkauft hatten. Doch auch dieser Darstellung widerspricht Stangl: Schindler habe ihm und Ullrich bei der Übernahme von Strato mündlich zugesichert, dass beide im Falle eines Börsenganges einen Teil des Unternehmens zurückkaufen könnten. Eine schriftliche Fixierung dieser Absprache war aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Als die damaligen Strato-Vorstände im Juli 1999 dann den Teles-Vorstandsvorsitzenden um Einlösung seines Versprechens baten, forderte dieser laut Stangl für einen 20-prozentigen Anteil ein Vielfaches des Preises, den Teles für Strato in Form von Aktien gezahlt hatte. Hieraus entstand ein Dissens zwischen der Strato-Leitung und Teles. Nach Ansicht von Stangl und Ullrich hat Teles nichts zum Erfolg der Strato beigetragen. "Wir fühlten uns unfair behandelt, da wir die Firma weiter vorangetrieben haben und man uns schließlich zugesagt hatte, bei einem Börsengang Anteile an Strato zurückerwerben zu können." Da dies nicht gelang, versuchten beide unabhängig voneinander, gemeinsam mit Investoren, Strato zurückzukaufen. Stangl war zwar überrascht, als Ullrich zuerst mitteilte, Strato übernehmen zu wollen, doch zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden Vorstandskollegen sei es deshalb nicht gekommen. Ebenso könne nicht die Rede sein von dem Versuch einer feindlichen Übernahme: Teles-Chef Schindler habe Stangl vor Zeugen angeboten, Strato für 120 Millionen Mark zurückzukaufen.

Strato-Rückkauf scheitert

Gemeinsam mit der Bertelsmann AG wollte Stangl das von ihm mitgegründete Unternehmen wiedererwerben. Der Medienkonzern hatte bereits Geschäftsbeziehungen zum Web-Hoster aufgenommen: Etwa drei Monate zuvor hatte Strato mit dem von dem Medienkonzern und America Online gemeinsam betriebenen Online-Dienst AOL ein Vertriebsabkommen für den deutschen Markt geschlossen. Auch Stangls Vorstandskollege Ullrich bemühte sich gemeinsam mit Investoren um den Rückkauf des Internet-Dienstleisters. Neben Bertelsmann waren Microsoft, der amerikanische Internet-Service-Provider Verio sowie die Deutsche Post als Kaufinteressenten im Gespräch. Doch die Übernahmeverhandlungen schlugen fehl. "Schindler hat seine Forderungen hochgeschraubt, als er erfuhr, dass namhafte Investoren mitboten", erinnert sich Stangl. Demnach habe der Teles-Chef den Kaufpreis auf 150 Millionen Mark erhöht und wollte außerdem 25 Prozent an Strato behalten. Doch dies passte den Investoren nicht, und die Übernahmeverhandlungen wurden beendet. Seit Anfang September 1999 führt Teles die Geschäfte bei Strato. "Ab dem Zeitpunkt begannen die Probleme", bemerkt Bruns von der IG Strato-Kunden.

Interview mit Norbert Stangl

Mit Norbert Stangl, Ex-Vorstand der Strato Medien AG, sprachen die CW-Redakteure Wolfgang Miedl und Frank Niemann.

CW: Wieso haben Sie Strato an Teles verkauft?

STANGL: Das Unternehmen ist trotz einiger Probleme in seinem Sektor eines der erfolgreichsten weltweit. Uns wurde von der Teles eine sehr hohe Summe geboten. Außerdem fürchteten wir den Wettbewerb, denn auch die Telekom und die 1&1-Gruppe wollten in den Web-Hosting-Markt vordringen. Ursprünglich hatten wir nicht vor, die ganze Firma zu verkaufen, Teles wollte aber alles. Wir sind schließlich auf das Angebot eingegangen, was sich im Nachhinein natürlich als Fehler herausstellte.

CW: Hat sich das Wachstum noch beschleunigt?

STANGL: Zu meiner Zeit haben wir 20 000 bis 30 000 Domains pro Monat angemeldet, zur Zeit liegt die Rate etwa bei 30 000 bis 40 000. Damals haben wir die Wachstumsprobleme gemeinsam mit Xlink gelöst. Heute scheint das nicht mehr der Fall zu sein. Es nutzt nun mal nichts, einen Lieferanten ausbluten zu lassen.

CW: Sigram Schindler, Vorstandsvorsitzender der Strato-Mutter Teles, behauptet, schuld an den Problemen sei der Provider Xlink, deshalb wolle er einen Vertrag mit der Muttergesellschaft KPN Qwest in Amsterdam.

STANGL: In diesem schnell wachsenden Business muss man partnerschaftlich miteinander umgehen. Offenbar hat nach unserer Abberufung die Kommunikation zwischen Strato und Xlink nicht mehr gestimmt. Der Provider war während unserer Amtszeit immer ein guter und verlässlicher Partner. Wir haben stets eine Lösung für die aus dem schnellen Wachstum resultierenden Probleme gefunden. Später wurden von Teles anscheinend nicht die erforderlichen Investitionsentscheidungen getroffen.

CW: Ist Ihnen bekannt, dass schon viele Kunden zur Konkurrenz gewechselt sind?

STANGL: Davon weiß ich nur aus Gerüchten. Nach meiner Überzeugung kann Strato die technischen Probleme in den Griff kriegen und den Kunden die Leistung liefern, die sie erwarten. Der Web-Hoster hat ja auch in den ersten zwei Jahren sein Wachstum gemeistert.

CW: Der jetzige Strato-Vorstand Rochus Wegener behauptet, Sie hätten nach der Übernahme durch Teles das Unternehmen nicht weiter vorangebracht. Laut dem Berliner "Tagesspiegel" seien Sie an einem wirtschaftlichen Erfolg nicht interessiert gewesen, da Sie die Firma billig zurückkaufen hätten wollen.

STANGL: Nach der Übernahme haben wir härter gearbeitet als je zuvor. Unser Interesse war es ja, Strato an die Börse zu bringen.

CW: Hatten Sie das Gefühl man wollte Sie aus dem Unternehmen drängen?

STANGL: Nein. Im Gegenteil. Nach unserer plötzlichen Abberufung wurde ich immer wieder seitens Teles gefragt, ob ich nicht in den Strato-Vorstand zurückkehren möchte. Teles war aber nicht bereit, sich mit mir auf faire Konditionen zu einigen.

CW: Gab es, nachdem Sie das Unternehmen verlassen haben, eine Fluktuation beim Web-Hoster?

STANGL: Ein Teil der Führungsmannschaft ist zu Herrn Ullrich gewechselt. In meiner heutigen Firma arbeitet jedoch kein ehemaliger Strato-Mitarbeiter. Ich beschäftige bewusst keine ehemaligen Mitarbeiter in meinem neuen Unternehmen, um Konfrontationen zu vermeiden.

CW: Gab es schon zu Ihrer Amtszeit Personalprobleme?

STANGL: Ja, so wie bei jedem schnell wachsenden Unternehmen. Aber man kann mir heute - mehr als sechs Monate nach meinem Ausscheiden aus der Strato AG - sicher nicht anlasten, dass die Hotline nicht funktioniert. Gegenüber der Presse hat sich Teles-Chef Schindler jedoch dahingehend geäußert, dass die jetzigen Probleme auf Fehler in der Vergangenheit zurückzuführen und vom damaligen Management gemacht worden seien.

CW: Wie war denn das Verhältnis zwischen Ihnen und Schindler?

STANGL: Schindler und ich kennen uns schon seit vielen Jahren. Kennen gelernt habe ich ihn in meiner Funktion als Geschäftsführer bei 1&1. Damals war Teles unser Lieferant für ISDN-Karten. Schindler und ich haben jahrelang geschäftlich zusammengearbeitet und schätzen uns gegenseitig. Noch in einem Gespräch im September letzten Jahres hat er mir versichert, dass das von mir aufgebaute Marketing und die Operations der Strato AG exzellent funktionieren. Die Leitungsebene werde er jedoch massiv ausbauen und mir mal zeigen, wie man ein solches Unternehmen richtig managt.

CW: Wird sich Ihrer Meinung nach die Situation für die Strato-Kunden verbessern?

STANGL: Man wird sich mit Xlink zusammenraufen müssen. Erste Anzeichen dafür sind, dass KPN Qwest, die Muttergesellschaft von Xlink, mit im Boot ist und zugesagt hat, die technische Infrastruktur auszubauen.

CW: Wie beurteilen Sie den Zukauf von ABC Telemedia?

STANGL: Es ist ein Unternehmen mit einem großen Marktanteil, mit dem Strato weiter wachsen kann.

CW: Was raten Sie den Strato-Kunden?

STANGL: Bei der Firma zu bleiben. Die Technik ist in den Griff zu bekommen, wenn man partnerschaftlich mit dem Lieferanten nach Lösungen sucht. Die große Masse der Kunden ist aber eher zu leidensfähig. Ich würde da als Kunde wesentlich mehr Druck ausüben.

CW: Auf welche Weise denn?

STANGL: Ich habe kein Standardrezept. Es ist natürlich schwierig, als Mieter einer Domain für 49 Pfennig im Monat gegen eine Firma vorzugehen.