Sind Blogger die besseren Journalisten?

Weblogs und die Liebe zum Ich

23.04.2008
Von Handelsblatt 
Die Kommunikationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts scheint die Rolle der Blogger noch nicht wirklich fassen zu können. Jetzt haben Wissenschaftler das Phänomen der Online-Tagebücher genauer unter die Lupe genommen. Ihre Studie sucht nach Antworten auf die Frage, ob Blogger die besseren Journalisten sind.

Wer sich für die Entwicklung der deutschen Sprache interessiert, darf das Internet nicht ignorieren. Es ist längst zum Sammelbecken von Wortvirtuosen geworden. Allen voran die Verfasser von Online-Tagebüchern entwickeln eine eigene Sprache mit spezifischen Darstellungsformen. Blogger heißen diese Netz-Autoren. Als Weblogs oder Blogs bezeichnet man die Texte, die sie schreiben.

Seit einiger Zeit findet eine lebhafte Diskussion statt um die Frage, ob Blogger mit Journalisten gleichgesetzt werden können. Immerhin äußern beide Meinungen, weisen auf Unregelmäßigkeiten hin und geben Informationen weiter. Häufig haben solche Blogs die Anmutung eines journalistischen Kommentars. Oft scheinen sie dieselbe, aufklärende Funktion zu haben wie der gedruckte Leitartikel eines Chefredakteurs.

Was also unterscheidet Weblogs von journalistischen Kommentaren in Zeitungen und Zeitschriften? An der International School of Management in Dortmund (ISM) sind wir dieser Frage mit empirischen Methoden nachgegangen. Für die Studie "Sprachliche Merkmale von Weblogs" wurden 1000 Texte ausgewertet, je zur Hälfte Blogs und journalistische Kommentare. Insgesamt wurden mehr als 350 000 Wörter erfasst.

"Ich blogge, also bin ich", schreibt ein Blogger in erkenntnisreicher Online-Philosophie. Ganz offensichtlich hat dieses "Ich" bei seinesgleichen einen hohen Stellenwert. Durchschnittlich mehr als zweimal pro Blogeintrag taucht in den untersuchten Texten das Wort "ich" auf, fast zehnmal so häufig wie in einem vergleichbaren journalistischen Text.

Auffallend ist aber nicht nur die Liebe zum eigenen Ich. Offenbar neigen Blogger dazu, die Wichtigkeit ihrer Aussagen nachdrücklich zu betonen. Nahezu doppelt so oft wie Journalisten von Zeitungen oder Zeitschriften unterstreichen sie ihre Feststellungen mit einem Ausrufezeichen. Blogger verwenden auch besonders gern Begriffe englischer Herkunft - statistisch gesehen viermal so häufig wie Verfasser von gedruckten Kommentaren. Pro Blog-Eintrag werden damit im Schnitt mehr als acht solcher Anglizismen gezählt.

Wer ein Weblog verfasst, stellt gern die eigene Person in den Vordergrund. Sind Blogs also das Medium für selbstverliebte Internet-Narzissten? Sind Blogger wichtigtuerische Egoisten? Wohl eher nicht, denn die Ichbezogenheit liegt in der Natur der Weblogs, die schließlich zunächst als Internet-Tagebücher definiert sind. Und in jedem Tagebuch spielt das Ich des Schreibers eine herausragende Rolle. Im Journalismus dagegen gilt es traditionell als unfein und als stillos, die Person des Autors in den Mittelpunkt zu rücken. Der Journalist soll kommentieren, einordnen, informieren. Aber er soll sich selbst als Persönlichkeit zurücknehmen. Das Wörtchen "ich" ist zu vermeiden. So lernen es Journalistenschüler seit Generationen.

In Deutschland gibt es mehr als 100 000 Blogger. Die meisten sind professionelle Kommunikatoren. Anders als vielfach wahrgenommen, sind zumindest die erfolgreichen Verfasser von Weblogs nahezu ausnahmslos Berufsautoren aus Journalismus, Public Relations, Werbung oder Informationstechnologie. Ihr Erfolg misst sich daran, wie viele Internet-Seiten auf den eigenen Blog hinweisen, also einen Link setzen. Dieser Wert wird regelmäßig in den "Deutschen Blogcharts" erfasst. Die zehn Bloganbieter, die am 3. Oktober 2007 auf den vorderen Plätzen lagen, wurden in unserer Studie ausgewertet. In der Vergleichsgruppe untersuchten wir Texte aus zehn wichtigen gedruckten Leitmedien - darunter die "FAZ", die "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Der Spiegel" und das "Handelsblatt".

Gelegentlich treten Blogger und Journalisten in einer Doppelrolle auf. Stefan Niggemeier etwa ist Journalist und Blogger in einer Person. Er schreibt für die Print-Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und ist gleichzeitig mit zwei Blogs in den Top Ten vertreten. Im "Bildblog" spürt er Geschichten aus der "Bild"-Zeitung nach. Und unter "stefan-niggemeier.de" diskutiert er aktuelle Themen aus der Medienszene. Dafür wurde er 2007 mit dem "Grimme-Online-Award" ausgezeichnet. Auch Handelsblatt-Redakteur Thomas Knüwer gehört mit "Indiskretion Ehrensache" zu den erfolgreichsten Bloggern in Deutschland.

Fest steht, dass das Verhältnis der beiden Systeme noch stark verkrampft ist. Im vergangenen Jahr befragte "News aktuell", eine Tochtergesellschaft der Deutschen Presseagentur, knapp 1200 Journalisten über ihre Einstellung zu Web 2.0. Ergebnis: Nur jeder dritte Mitarbeiter einer Redaktion hielt das interaktive Netz für journalistisch relevant. Neue Kommunikationsformen spielen im Redaktionsalltag kaum eine Rolle. Die Idee der Blogs lässt die meisten Redakteure weitgehend unberührt. 87 Prozent der Befragten gaben an, nicht in einem Weblog zu kommentieren. Auch als Quelle oder als Hilfe bei der journalistischen Themenfindung nutzten die befragten Journalisten das Weblog kaum.

Die Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger, Christian Nuernbergk und Melanie Rischke haben mehrere Studien zu Weblogs und Journalismus ausgewertet. Ihr Fazit klingt wenig schmeichelhaft für die Internet-Autoren: "Blogger sind auch in ihrer Gesamtheit kaum in der Lage, kontinuierlich, thematisch universell und aktuell zu berichten und vor allem zu recherchieren." Es gebe also keine Konkurrenz zwischen Weblogs und professionellem Journalismus, sondern viel mehr eine "komplementäre Beziehung".

Besonders hart geht der Journalismusforscher Siegfried Weischenberg mit den Bloggern ins Gericht. Der frühere Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes hielt vor einigen Wochen die Eröffnungsrede zur Tagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationsforschung in Bremen. Es falle auf, "dass eine nicht unwichtige Gruppe unter den Bloggern nichts anderes tut, als sich an den herkömmlichen Medien und seinem Journalismus, den sie unterirdisch findet, abzuarbeiten", sagte Weischenberg. "Dies sind die neuen Medienkritiker. Als Büchsenspanner der Szene wirken dabei einige Journalisten, die hier mit einem gewissen Guru-Appeal ein bisschen ,off the record´ aus ihrem aufregenden Berufsleben plaudern und ansonsten einen Teil ihres kommunikativen Adrenalins ausschütten, und zwar sehr bewusst."

Die Kommunikationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts scheint die Rolle der Blogger noch nicht fassen zu können - oder zu wollen. Eine wichtige Erkenntnis aber liefert unsere Untersuchung: Es gibt in der sprachlichen Gestaltung fundamentale Unterschiede zwischen Weblogs und den Kommentaren wichtiger Leitmedien. Die Studie wird im Sommer als "Discussion Paper" veröffentlicht. Weitere Details erscheinen in der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift "Absatzwirtschaft".

Christoph Moss leitet den Studiengang Communications an der International School of Management in Dortmund und Frankfurt.