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Schwarze Kassen auch in der Medizintechnik-Sparte?

Siemens-Ermittler stoßen erneut auf dubioses Finanzsystem

24.01.2008
In der Siemens-Schmiergeldaffäre sind nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" vom Konzern eingeschaltete Ermittler in einem weiteren Geschäftsfeld auf ein rätselhaftes Finanzsystem gestoßen.

Hinweisen an den Aufsichtsrat zufolge könnten im Unternehmensbereich Medizintechnik gut 140 Millionen Euro in dunkle Kanäle geflossen sein, berichtet die "SZ" (Donnerstag). Aufsichtsräte sprächen von möglicherweise ernsten Problemen im profitabelsten Siemens-Geschäftsfeld, dessen Jahresumsatz etwa zehn Milliarden Euro betrage. Die US-Kanzlei Debevoise untersuche, ob es in dieser Sparte ähnliche Strukturen wie im Bereich Telekommunikation gegeben habe.

Wie das "Handelsblatt" (Donnerstag) berichtet, könne Thomas Stinnesbeck, ehemaliger Vertriebsleiter der Siemens-Tochter Siemens Audiologische Technik (SAT), belegen, dass er bereits im Juni 2004 den Medizintechnik-Spartenvorstand Erich Reinhardt und den damaligen Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer schriftlich über "Schwarzgeldgeschäfte" unterrichtet habe. Laut Siemens handle es sich bei den fraglichen Zahlungen jedoch nicht um "Schwarzgeld", sondern um die Vergütung regulär erzielter Rabatte. Eine interne Revision habe den Sachverhalt "lückenlos aufgearbeitet", zitiert die Zeitung einen Siemens-Sprecher.

Im Siemens-Schmiergeldskandal stößt das interne Amnestie-Angebot an reuige Mitarbeiter auf große Resonanz. "Das Programm ist äußerst erfolgreich", sagte Konzernchef Peter Löscher am Donnerstag vor der Hauptversammlung in München. Bisher hätten sich 33 Beschäftigte gemeldet. In vier Fällen sei eine Amnestie gewährt, in zweien abgelehnt worden. Den übrigen Fällen werde noch nachgegangen. Siemens will auf drastische Maßnahmen wie Kündigungen und Schadenersatzforderungen verzichten, wenn Mitarbeiter aus eigenem Antrieb zur Aufklärung der Affäre beitragen. Das Angebot gilt noch bis Ende Januar.

Eine Ausweitung der Affäre sieht der Konzern derzeit nicht. Man gehe weiterhin von dubiosen Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro aus, sagte Finanzvorstand Joe Kaeser. Die Siemens-Führung betonte mit Blick auf die neuen Enthüllungen der "Süddeutschen Zeitung" aber, die Summe sei in der bisher genannten Zahl für den Gesamtkonzern enthalten, es gebe "keine neue Entwicklung".

Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2007/08 (30. September) gab Siemens insgesamt 127 Millionen Euro für Berater und die Verbesserung der Kontrollsysteme aus. Damit summieren sich die Kosten des Skandals bereits auf mehr als 1,5 Milliarden Euro. Auch künftig seien Strafzahlungen, Geldbußen und andere Ausgaben in erheblichem Umfang zu erwarten, hieß es. Da sich die drohenden Strafen aber nicht
konkret beziffern lassen, bildete der Konzern noch keine Rückstellungen. Die größte Gefahr droht Siemens nach Einschätzung von Experten aus den USA, wo die mächtige Börsenaufsicht SEC eine Milliardenstrafe verhängen könnte. (dpa/tc)