Update IT-Gipfel: Alle lieben Merkel

19.12.2006
Auf dem IT-Gipfel wurde ein 12-Punkte-Programm verabschiedet, um den IT-Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb besser zu positionieren. Zudem will die Bundesregierung die IT-Branche in den kommenden drei Jahren mit 1,2 Milliarden Euro subventionieren.

Die Stimmung auf dem IT-Gipfel am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam zu beurteilen, ist schwer. Thesen sind Thesen, und davon gab es in der Vergangenheit schon viele. Ob Politik, Wirtschaft und Wissenschaft diesmal Fakten schaffen, bleibt abzuwarten. Bemerkenswert aber scheint, dass der IT-Gipfel eine Aufbruchstimmung gezündet hat. Sie könnte die beschlossenen zwölf Programmpunkte wesentlich voranbringen.

Ulrich Dietz, Vorstandsvorsitzender der GFT Technologies AG, der im Arbeitskreis Mittelstand engagiert war, zeigte sich vom IT-Gipfel beeindruckt. "Ich finde es sehr gut, dass die Bundeskanzlerin die IT-Belange dieses Landes zur Chefsache erklärt hat. Das ist das richtige Signal, und es ist ein Aufbruch."

Karl Heinz Streibich, Vorstandsvorsitzender Software AG, der den Arbeitskreis Mittelstand leitete, zeigte sich in seiner Bewertung des IT-Gipfeld geradezu euphorisch: "Das war unglaublich toll. Ich bin begeistert, mit welchem Verständnis die Bundeskanzlerin die Themen angesprochen hat." Streibich bestätigte, dass bis zur CeBIT 2007 die von den Arbeitskreisen formulierten Thesen weiter konkretisiert und in Handlungsanweisungen geformt werden sollen. Ferner habe die Kanzlerin einen weiteren Termin für ein zweites IT-Gipfeltreffen terminiert. Dieser werde in einem Jahr abgehalten.

Winfried Materna, Geschäftsführer der Materna GmbH, sagte: "Aus Unternehmersicht war der erste nationale IT-Gipfel in Potsdam ein guter Auftakt für eine engere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung." Die Stimmung sei "ausgesprochen gut" gewesen. Er sei zuversichtlich, dass "der IT-Gipfel auch für unsere Region - das Ruhrgebiet - neue Impulse schaffen wird."

Das 12-Punkte-Programm

1. Deutschland muss sich fokussieren auf diejenigen Innovations- und Wachstumsthemen, in denen es bereits stark ist wo eine weltweite Marktführerschaft vorhanden oder möglich ist. Hierzu zählen Embedded Systems, integrierte ITK-Services, das Zusammenspiel von Technik, Design und Kommunikation ("Digital Lifestyle") sowie neue Sicherheitstechniken. Es gilt, Cluster zu bilden, in denen kleine und mittelständische Unternehmen mit "Global Leaders" und der Wissenschaft zusammenarbeiten.

2. Mit dem bereits früher von Bundeskanzlerin Angela Merkel initiierten Programm "Informationsgesellschaft Deutschland 2010 (iD2010)" will die Bundesregierung die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen für die ITK-Branche gezielt verbessern, die Innovationspotentiale ausbauen und Investitionen stärken. Konkret wurden 1,2 Milliarden Euro ausgelobt, die der ITK-Branche in den kommenden drei Jahren bis 2009 zufließen werden.

3. Eher allgemein mutet das dritte Vorhaben an: Die Regierung Merkel will durch die Konvergenz von Sprache und Daten, von Festnetz und Mobilfunk sowie von Telekommunikation und Medien die sich bietenden Chancen besser nutzen. Hierzu sollen neue Dienste für Bürger und Unternehmen geschaffen werden.

4. Die vierte Forderung richtet sich gegen die Misere am (Aus-)Bildungsstandort Deutschland. Hier formulierten die Experten, dass Deutschland Toptalente anziehen müsse, um in die Weltspitze zu gelangen. "Nur durch offensives Werben für den Standort Deutschland, angemessene Einreiseregelungen, mehr Stipendien und attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen" könne man die weltweit besten Köpfe für Deutschland gewinnen. Zudem muss die schulische Ausbildung gestärkt und insbesondere Mädchen für die Informatik begeistert werden.

5. Ein größeres Engagement für E-Government soll eine Signalwirkung für den IT-Standort Deutschland entfalten. Hier belegt Deutschland im europaweiten Vergleich nur einen Mittelplatz. Die Bundesregierung will erreichen, dass bis 2012 Transaktionen zwischen öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft nur noch elektronisch abgewickelt werden sollen. Außerdem soll es eine bundesweit einheitliche Servicerufnummer (115) geben, die Bürger bei der Nutzung öffentlicher Dienstleistungen unterstützt. Im Zuge der Föderalismusreform wird zudem geprüft, welche IT-Aufgaben auf Bundes- und Landesebene gemeinschaftlich erledigt werden können.

6. Ferner will die Bundesregierung zunächst drei so genannte Leuchtturmprojekte als beispielhaft vorantreiben. "Theseus" ist ein Suchtechnologien-Projekt für das Internet, das unter dem Namen "Quaero" ursprünglich von Deutschen und Franzosen gemeinsam verfolgt wurde. Im Rahmen einer Public Private Partnership wollten beide Länder rund 400 Millionen Euro in Quaero investieren und auch Privatfirmen in das Vorhaben involvieren. Offensichtlich lief aber die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen nicht reibungslos. Allerdings werde man nicht alle Brücken abbrechen, sagte Hartmut Schauerte, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, auf dem IT-Gipfel.

Ein weiteres Leuchtturmprojekt ist "E-Energy". Dahinter verbergen sich Energiekonzepte, sie im Zusammenhang mit der ITK-Branche entwickelt werden sollen. SAP-Chef Henning Kagermann hatte bei seiner Ansprache darauf verwiesen, dass ITK-Unternehmen einen erheblichen Energiebedarf hätten. Es sei ein Fehler gewesen, sich vom Atomstrom zu verabschieden. Schon auf ihrer Eröffnungsrede zur Cebit 2006 hatte zudem Bundeskanzlerin Merkel auf die RFID-Technik (= Radio Frequency Identification = elektronische Funketiketten) als Zukunftsthema verwiesen. Auch sie gilt als Leuchtturmprojekt.

7. Ein Vorhaben, das allgemein erwartet und von Wirtschaftskreisen gefordert worden war, wurde nicht beschlossen: die Etablierung eines CIOs, der bundesweit zuständig ist. Einige Bundesländer haben solch einen koordinierenden IT-Verantwortlichen benannt. Hierzu gab es allerdings auf dem IT-Gipfel keine Stellungnahme von der Kanzlerin. Allerdings konzediert die Bundesregierung, dass "ein professionelles Management von Großprojekten, eine effektive Umsetzungsorganisation und ausreichende Ressourcen für die Projektsteuerung" erforderlich seien. Deshalb sollen zentrale IT-Verantwortliche in den Bundesministerien benannt werden. Zudem werde man die IT-Strategie und -Architektur der Bundesverwaltung stärker als bisher in der Bundesregierung bündeln und koordinieren. Merkel beauftragte die Bundesminister Wolfgang Schäuble (Inneres) und Peer Steinbrück (Finanzen) mit der Erarbeitung eines entsprechenden Konzepts.

8. In dem achten Programmpunkt richtet sich die Aufmerksamkeit der Regierung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus Deutschland. Diese ist zunehmend von modernen ITK-Systemen und -Anwendungen abhängig. Um den Erfolg im internationalen Vergleich zu fördern, sind anwenderorientierte und auf die spezifischen Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) zugeschnittene ITK-Lösungen nötig. Die Bundesregierung will diesbezüglich den raschen Transfer von Innovationen unterstützen und den Zugang von KMUs zu staatlicher Forschungsförderung erleichtern.

9. Ein weiterer Ansatz, Deutschland in Sachen IT-Standort Prominenz zu verleihen, ist das Thema E-Health. Neben dem Aufbau einer Telematik-Plattform im Gesundheitswesen soll ein Masterplan "E-Health für Nutzung und Anwendung von ITK im integrierten Gesundheitsmarkt" die elektronische Abwicklung aller Dienstleistungen im Gesundheitswesen fördern. Die Einführung der Gesundheitskarte und in diesem Zusammenhang die Vernetzung von Ärzten, Krankenkassen, Apotheken und Patienten kann aus Sicht des Bitkom allerdings nur ein erster Schritt sein. "Die Gesundheitskarte entfaltet ihre Wirkung nur, wenn sie um Funktionen wie die elektronische Patientenakte ergänzt wird. Dafür muss der Gesetzgeber die Voraussetzung schaffen", sagte Willi Berchtold, Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom).

10. Ein wesentlicher Programmpunkt auf dem IT-Gipfel war die Sicherheit der Nutzung des Internet. Hier wurde betont, dass mit der Gründung des Vereins "Deutschland sicher im Netz" eine produktneutrale Plattform geschaffen worden sei. Der Bundesinnenminister soll die Schirmherrschaft über den Verein übernehmen, so der Beschluss. 13 Partner aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft hatten am 31. Januar 2005 die Initiative "Deutschland sicher im Netz" für mehr Online-Sicherheit gestartet.

11. Geplant ist auch, die Serviceleistungen von Call-Centern zu verbessern und damit den Kundennutzen und Verbraucherschutz zu verstärken. Etwas schwammig formulierten die Gipfelteilnehmer, dies ließe sich durch eine Qualitätsoffensive erzielen. Konkret ist hingegen das Ziel, ein Qualitätssiegel für Call-Center zu vergeben.

12. Last, but not least will die Regierung weitere gemeinsame IT-Referenzprojekte entwerfen, die eine sichtbare Modernisierungs- und damit wohl auch Signalwirkung entfalten sollen. Dazu gehöre auch eine stärkere Fokussierung der Außenwirtschaftsförderung und des Marketing auf den IKT-Standort Deutschland. (jm)

(siehe auch Interview mit dem Gründer und Aufsichtsratsvorsitzende der IDS Scheer AG, August-Wilhelm Scheer)