Das große Gründer-Roundtable

IT-Startup-Wüste Deutschland?

22.06.2010
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Deutschland braucht eine neue Startup-Kultur, meinen Analysten und Vertreter junger Softwarefirmen. Es fehle nicht an Ideen, wohl aber am Mut, ein Geschäft daraus zu machen.

Deutsche Softwareunternehmen mit internationalem Renommee lassen sich an einer Hand abzählen. Nur wenigen Herstellern ist es gelungen, sich mit ihren Produkten in Europa, jenseits des großen Teichs oder in Asien zu etablieren. Woran das liegt, ist unklar, haben es andere Branchen wie die Automobilhersteller oder der Maschinenbau doch geschafft, sich auf den weltweiten Märkten durchzuboxen. Das würde sich auch für Softwareanbieter lohnen: Forrester Research taxiert den weltweiten Softwaremarkt im laufenden Jahr auf ein Volumen von rund 400 Milliarden Dollar.

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Branchenbeobachter, Experten und Verbände führen verschiedene Gründe für die Gründermisere ins Feld. Da ist die Rede von einseitiger Ausbildung, mangelnder Risikobereitschaft, fehlendem Geld und zu großen bürokratischen Hürden. In einem Roundtable der COMPUTERWOCHE haben Analysten von Forrester Research, deutsche Softwareunternehmer und Branchenvertreter diskutiert, warum es die Marke "Software made in Germany" auf internationalem Parkett so schwer hat.

1. Es fehlen Gründerpersönlichkeiten

Stefan Ried, Forrester: "Deutsche sind Tüftler, aber keine Firmengründer."
Stefan Ried, Forrester: "Deutsche sind Tüftler, aber keine Firmengründer."
Foto: Joachim Wendler

"Deutsche sind Tüftler, aber keine Firmengründer", behauptet Forrester-Analyst Stefan Ried. Die hierzulande akzeptierten Werte seien ungünstig für die Entwicklung einer Gründerkultur. Umfragen zufolge genießen Unternehmensgründer in Deutschland ein deutlich geringeres Ansehen als beispielsweise in den USA. Dazu komme, dass ein Scheitern im anglo-amerikanischen Kulturkreis viel eher verziehen werde. Den Makel einer gescheiterten Unternehmung tragen die Betroffenen oft ein ganzes Berufsleben als Bürde mit sich herum.

"Wir haben eine ausgeprägte Risikoaversion", bestätigt Dirk Martin, geschäftsführender Gesellschafter der Helpline Gruppe. Deutschland stelle die überversichertste Gesellschaft der Welt dar, was wiederum hauptsächlich an den hiesigen Familienstrukturen liege. Nach dem Studium - aus seiner Sicht der beste Zeitpunkt, um ein Unternehmen aus der Taufe zu heben - ständen die meisten Absolventen nach wie vor unter dem Einfluss ihres Familienumfelds. "Versuchen Sie Ihren Eltern einmal zu erklären, dass Sie auf der einen Seite ein tolles Angebot von McKinsey haben, und auf der anderen Seite erst einmal gar nichts verdienen würden beziehungsweise sogar erst einmal Geld benötigen, weil Sie eine Firma gründen möchten", beschreibt Martin die Ausgangslage. Die Beratungshäuser lockten mit lukrativen Verträgen, da rücke die Alternative Firmengründung schnell aus dem Blickfeld.

Dirk Martin, Helpline: "Der Wert Sicherheit rangiert hierzulande deutlich höher als der Wert Freiheit."
Dirk Martin, Helpline: "Der Wert Sicherheit rangiert hierzulande deutlich höher als der Wert Freiheit."
Foto: Joachim Wendler

Auch in späteren Lebensphasen ist das familiäre Umfeld aus Martins Sicht das größte Hindernis für Firmengründungen. Beispielsweise liege die Gründungsneigung bei Unverheirateten deutlich höher als bei Verheirateten. "Der Partner wird in aller Regel wenig Verständnis dafür haben, ein gesichertes Einkommen aufs Spiel zu setzen", zieht der Manager Bilanz. "Der Wert Sicherheit rangiert hierzulande deutlich höher als der Wert Freiheit."

Den Einwand, das werde sich mit den jüngeren Generationen ändern, will Martin nicht gelten lassen. Drei Viertel aller Schüler seien prinzipiell bereit, sich später selbstständig zu machen, zitiert er aus einer Bertelsmann-Studie aus dem Jahr 2008. Trotzdem sei keine signifikante Verbesserung der Gründungsaktivitäten zu verzeichnen: "Die Bereitschaft, ein Unternehmen zu gründen, geht offensichtlich in den Universitäten und Hochschulen verloren."