Virtual Reality

Virtueller Erlkönig: Autodesigner lieben Computergrafiken

18.02.2008
Von Handelsblatt 
Autohersteller setzen auf die Fahrzeugentwicklung am Computer. In Originalgröße und möglichst realistisch begleiten virtuelle Kameraflüge und ein strenger Kontrollblick ein neues Auto von der Konzeptphase bis zur Markteinführung. Designer und Entwickler diskutieren über neue Modelle am Monitor - und sparen sich so teure Fehlkonstruktionen.

BERLIN. Bei Audi ist Auto-Design großes Kino. Die Designer überprüfen neuerdings ihre virtuellen Prototypen auf einer riesigen Leinwand in digitaler Kinoqualität auf Stimmigkeit. Sie feilen so lange im Computer daran, bis das Mobil von morgen dem Vorstand präsentiert werden kann, der dann den Daumen hebt oder senkt. Auf diese Weise müssen die Gestalter nun erst viel später ihre Hände mit Ton beschmutzen, um ein möglichst realistisches Modell zu kneten.

Wenn die Entwickler zum "Design-Check" in die "Virtual Reality Studios" laden, klingt das ein klein wenig nach Hollywood. Doch es geht um mehr als ein schnelles, subjektives Urteil "gefällt" oder "gefällt nicht". Der Check sei harte Arbeit, erklärt Carsten Huschka, Virtual Reality-Entwickler bei Audi: "Hier wird die gesamte sichtbare Fahrzeugoberfläche geprüft, um die Anmutungsqualität zu gewährleisten, die der Kunde wahrnimmt und erwartet." In Originalgröße werden die künftigen Audis auf einer sechs Meter breiten und gut zwei Meter hohen Leinwand, die im Fachjargon "Powerwall" heißt, in viermal so hoher Auflösung wie HDTV und mit bis zu 7,4 Millionen Pixel dargestellt.

Für die räumliche Präsentation wird nur ein Projektor von Sony benötigt. Bisher waren sechs und mehr nötig. Vorteil: Störende Überlappungen, sogenanntes "Edgeblending", die durch das Zusammenspiel diverser Beamer entstehen, verschwinden zugunsten eines bruchlosen Bildes. "Ohne Edgeblending haben wir jetzt eine nahtlose Bilddarstellung und können durch die gute Bildqualität und das hervorragende Kontrastverhältnis auch kleinste Details kontrollieren", sagt Christian Ziller, Projekt-Koordinator bei Audi.

Der strenge Kontrollblick begleitet ein neues Auto von der Konzeptphase bis zur Markteinführung. Und das gilt außen wie innen: Im Fahrgastraum sind virtuelle Kameraflüge möglich, bei denen selbst feine Oberflächenstrukturen von Kunststoffen oder Leder, Schattenwürfe und Spiegelungen wirklichkeitsnah erscheinen. So können auch schnell Soll-Ist-Abweichungen der Konstruktionsdaten erkannt und behoben werden - es geht eben nicht nur um den schönen Schein.

Dass sich ein Großteil der Autoentwicklung am Computer abspielt, ist nichts Neues. Allerdings hinkt häufig noch die Darstellung den immer komplexeren Simulationen hinterher. "Die Ansprüche sind enorm gewachsen. Es geht nicht mehr nur darum, einen digitalen Prototypen in 3D zu sehen, sondern ihn möglichst realistisch in verschiedenen Umgebungen und Beleuchtungen", sagt Didier Stricker, Leiter der Abteilung Virtuelle und Erweiterte Realität vom Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD).

Neue Präsentationstechniken wie bei Audi und Augmented-Reality-Systeme, bei denen Autos einfach in Umgebungen eingeblendet werden, spielen eine immer größere Rolle, meint der Fachmann. "Eine gute Simulation lebt davon, dass alles physikalisch korrekt modelliert ist, vom Schattenwurf auf dem Boden bis zu Spiegelungen auf der Motorhaube", sagt Stricker. "So lassen sich im Vergleich zu früher auch mehrere Designvarianten durchspielen und realistisch alte neben neuen Fahrzeugen betrachten." Das IGD arbeitet unter anderem mit VW, BMW und Mercedes zusammen.

Wie weit Hersteller auf digitale Simulation setzen, zeigt Mercedes: "Die neue C-Klasse ist weltweit das erste Serienfahrzeug, das auf Basis eines digitalen Prototypen konzipiert und entwickelt wurde", sagt Ulrich Mellinghoff, Leiter des Bereichs Sicherheit, Akustik und Tests bei Mercedes. In der Computersimulation des Autos stecken rund 2130 Gigabyte. "So wurden nicht nur Crashsicherheit und Insassenschutz simuliert, sondern auch Geräusch-, Schwingungs- und Abrollkomfort, Betriebsfestigkeit, Energiemanagement, Klimatisierung und Aerodynamik" erklärt Mellinghoff. Ziel der Trockenübung sei nicht einmal, möglichst viel Zeit zu sparen. "Sondern wir wollen den Reifegrad der ersten fahrbereiten Prototypen erhöhen, womit letztlich die Qualität steigt", sagt Mellinghoff.

Ähnlich umfassend wird ein Modell auch bei VW und Audi im PC erprobt - mittlerweile werden etwa 250 Simulationsmethoden eingesetzt: Die erste Tests am Rechner gelten der Steifigkeit, Festigkeit und Lebensdauer der Karosserie. Auf dem virtuellen Prüfstand stehen auch der Schwingungskomfort, der Insassenschutz, Interieurbauteile, Verbindungstechnik - und sogar Crashtests erfolgen am Rechner.

Dass die Technik auch taugt, wenn es mal schnell gehen muss, beweist Fiat. Weil der Konzernvorstand alles andere als glücklich mit dem ersten Design des Kompaktwagens Bravo war, wurde das Konzept kurzerhand verworfen und Kollege Computer eingeschaltet. Der Bravo wurde bei Magna Steyr in Gänze am Rechner entworfen - die Entwicklung dauerte nur 18 Monate und war ein halbes Jahr eher abgeschlossen als geplant. Nur fünf Prototypen mussten gebaut werden. Nun passt sogar der Werbeslogan: "Geformt von der Sehnsucht nach Perfektion."