Andrea Back über Business-2.0

Social Software wird sich einnisten

19.09.2012
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Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Social Media dringen oft unbemerkt im Unternehmen vor und ergänzen dort E-Mail und Telefon. Das ist gut so, sagt Andrea Back, leitende Business-2.0-Forscherin an der Universität St. Gallen, im Gespräch mit CW-Redakteur Joachim Hackmann.

CW: Öffentliche Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und Google+ haben sich im Privatkundenmarkt für den Informationsaustausch und die Kommunikation etabliert. Sind die Portale auch für die geschäftliche Kommunikation und die Umsetzung von Geschäftsprozessen geeignet?

„Wenn Social-Business-Tools Arbeiten erleichtern und Abläufe verbessern, dann werden sie auch angenommen.“ Andrea Back, Direktorin an der Universität St. Gallen (HSG).
„Wenn Social-Business-Tools Arbeiten erleichtern und Abläufe verbessern, dann werden sie auch angenommen.“ Andrea Back, Direktorin an der Universität St. Gallen (HSG).
Foto: Universität St. Gallen

Back: Die Werkzeuge sind zunächst einmal nutzungsoffen. Unternehmen überlegen sich, wie man sie für die eigenen Belange einsetzen könnte, und tun das dann auch. Die Deutsche Telekom wickelt etwa über Facebook und Twitter Teile ihres Kunden-Supports ab, bildet also einen wichtigen Geschäftsprozess in der öffentlichen Social-Media-Welt ab. Die verbreitetste Einsatzform von Social Media ist bestimmt die Selbstdarstellung der Unternehmen durch das Marketing und die PR-Abteilung, aber auch für das Recruiting sind Facebook und Twitter wichtige Tools - und das Anwerben neuer Mitarbeiter ist keine unbedeutende Geschäftsfunktion.

CW: Ist es für Unternehmen zu verantworten, personenbezogene Informationen oder Projektdaten auf Facebook-Servern zu speichern?

Back: Für die Kommunikation im Projektteam lassen sich geschlossene Nutzergruppen einrichten, aber gerade beim Speichern personenbezogener Daten gilt es, rechtliche Einschränkungen zu beachten. Für die geschäftliche Kommunikation sind die öffentlichen Portale nicht die erste Wahl, dafür stehen sogenannte "Funktions-Klone" bereit, die Plattformen wie Facebook und Youtube kopieren und sich bei Bedarf innerhalb der Unternehmens-IT installieren lassen. Das sind Tools wie Jive, Yammer und Connections.

CW: Warum sollten sich Unternehmen für solche Lösungen überhaupt interessieren?

Back: Die Software kann Arbeitsprozesse verbessern. Dort, wo Menschen miteinander kommunizieren und arbeiten, ist auch Platz für die sogenannte Social-Business-Software. Abläufe in der menschlichen Zusammenarbeit können mit den diversen spezifischen Social-Software-Funktionen wie Bloggen, Wiki-Arbeitsweise oder Enterprise Social Networking besser als bislang informationstechnisch unterstützt werden. Für viele Aufgaben wird noch die E-Mail eingesetzt, die sich aber in der Projektkommunikation oft als ungeeignet erwiesen hat. Social Business kommt heute in Geschäftsfunktionen wie dem Ideen-Management und Kunden-Support sowie der Projektabwicklung und im Bereich Open Innovation zum Einsatz.

CW: Was bewirken die Tools konkret?

Back: Unsere Analyse einer Fallstudiensammlung zeigt, dass es schon eine Fülle von Pionieranwendern gibt. Sie berichten von größerer Agilität, Zufriedenheit, Reputationseffekten, verbessertem Zugang zu Informationen und Wissen und mittelbar auch von Kostensenkungseffekten.

CW: Gibt es Abteilungen oder Unternehmensfunktionen, die schon regelmäßig Social Business nutzen?

Back: Häufig geht es um die Projektkoordination und -kommunikation oder um Leadership-Blogs. Auch der interne Kunden-Support, die Wissensdokumentationen und das Notfall-Management im IT-Betrieb werden oft genannt. Die Bandbreite erstreckt sich vom sogenannten Social Forecasting für die Absatzprognose bis hin zum Ideen-Brainstorming in der Entwicklung.

CW: Wie verbreitet sind die Tools?

Back: Die Pionieranwender weisen den Weg, die Innovationen auszuschöpfen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass andere Anwender folgen und Social Business zum Massenphänomen wird, doch der Markt wächst. Darauf weisen unsere Reifegradanalysen und Fallstudiensammlungen hin.

Foto: vladgrin, Fotolia.de

Seit dem Start des World Wide Web Anfang der 90er Jahre hat sich der Ort der Innovationen verlagert. Neuerungen etablieren sich meistens zunächst im öffentlichen Internet und dringen dann in die Unternehmensanwendungen vor. Erst gab es Websites, später folgten firmeneigene Intranets. Die Verbreitung von Social Business in Unternehmen wird noch einige Jahre andauern, dafür bedarf es eines Lernprozesses.

CW: Sind Social-Business-Portale überhaupt sinvoll, wenn ein Großteil der Mitarbeiter das Angebot ignoriert?

Back: Das ist nicht der entscheidende Punkt. Unter den Early Adopters sind oft Alphatiere, die einfach ausprobieren, um Erfahrungen zu sammeln. Das ist ein guter Ansatz, denn man kann solche Initiativen auch wieder einstellen, wenn sie keine Probleme lösen. Sobald die Tools Arbeiten erleichtern, Aufgaben lösen und Abläufe verbessern, werden sie erfahrungsgemäß auch angenommen.

Wenn Mitarbeiter eines Autoherstellers ein neues Bordhandbuch für ein Fahrzeug zusammenstellen oder Kollegen eines Unternehmens ein Angebot gemeinsam erarbeiten müssen, dann kann ein Wiki hilfreich sein. Sträubt sich jemand konsequent, die Tools zu nutzen, dann kann man nichts machen. In einem Projekt, das mit Hilfe von Social Software abgewickelt wird, ließe sich so ein Verhalten aber auch als Arbeitsverweigerung werten. Es gibt Anwendungen wie Communities, bei denen das Mitmachen freiwillig ist, und das ist auch gut so.

Die Building Technologies Division bei Siemens nutzt eine Social Software für den weltweiten Erfahrungsaustausch. Mitarbeiter schildern ihr Problem und fragen ihre verteilten Kollegen, ob sie vergleichbare Erfahrungen gemacht haben und eine Lösung vorschlagen können. Ein Community-Manager sorgt dafür, dass die Anliegen ernst genommen und beantwortet werden. So sammeln die Mitarbeiter gute Erfahrungen und nutzen das Werkzeug intensiv.

CW: Benötigt Social Business immer einen Kümmerer?

Back: Der soziale Austausch, also die Plauderei in der Kaffee-Ecke mit einer Software wie Yammer abzubilden, ist nur eine Art der Nutzung, hier wäre eine Betreuung sicher etwas zu viel des Guten. Dringen die Tools tiefer in die Abläufe mit unmittelbarem Geschäftsnutzen vor, dann ist ein Prozessverantwortlicher sinnvoll. Das sind teils neue Rollen, etwa Community-Manager oder Wiki-Gardener.

CW: Gibt es wiederkehrende Muster in der erfolgreichen Einführung?

Back: Man sollte nicht gleich alle Funktionen freischalten, sondern zunächst mit wenigen Angeboten beginnen und dann sukzessive ausbauen. Das ist ein Balanceakt, einerseits sollte man die unsicheren Kollegen nicht überfordern, andererseits darf man die Nutzung nicht behindern, wo sie sinnvoll ist.

Der Rückversicherer Swiss Re hat beispielsweise Jive als Austauschplattform eingeführt, eine Nutzung aber nicht vorgeschrieben. Man hat lediglich Pionieranwender ermuntert, ihre Arbeit damit zu erledigen. Einer hat ein kritisches Projekt mit Jive damit straff abgewickelt, ein anderer einen Leadership-Blog gestartet. Eine Managerin hat für den Aufbau einer neuen Abteilung eine interne Community eingerichtet. Heute gibt es viele Einsatzszenarien, darunter eine digitale Plauderecke. Swiss Re nutzt die Software seit zwei Jahren, man kann dort schön sehen, was Mitarbeiter daraus gemacht haben.

CW: Haben Führungskräfte Vorbehalte gegenüber der Plauderei im Chat-Room?

Back: Man darf die Plauderei nicht unterschätzen. Es geht nicht nur um Smalltalk. Mitarbeiter von internen Chat-Räumen tauschen Link-Empfehlungen aus, erörtern Fachfragen und wickeln die Projektkommunikation darüber ab.

CW: Erhebungen zeigen, dass viele Führungskräfte bremsen und nur wenig Interesse zeigen. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung?

Back: Ja. Kommen die Tools in Kernprozessen zum Einsatz, dann sind die Geschäftsfunktions-Verantwortlichen gefragt. Typischerweise sind Manager mit operativer Verantwortung sehr sicherheitsbewusst; gerade IT-Verantwortlichen sagtman Zurückhaltung in der zwischenmenschlichen Kommunikation nach, sie müssen sich an die offenere Kommunikation erst gewöhnen. Viele Führungskräfte verhalten sich abwartend und skeptisch; sie können damit ihren Kollegen den Weg zu Tools verbauen, die ihnen das Arbeiten erleichtern würden. Die Führungskräfte sollten zumindest signalisieren, dass Social- Business-Software erwünscht ist, wenn sie nützlich ist.

CW: Wo Social Business zum Einsatz kommt, entsteht Transparenz, Hierarchien weichen auf. Ist das vielleicht Grund für die Skepsis der Manager?

Back: Wenn Führungskräfte eine zurückhaltende Informationspolitik verfolgen, dann stört Social-Business-Software. Als sich E-Mail in der Unternehmenskommunikation durchsetzte, gab es anfangs noch Manager, die sich ihre Mails ausdrucken ließen und betonten, niemals selbst eine Mail zu schreiben. Das ist heute undenkbar. Die Nutzung sozialer Plattformen wird eine ähnliche Entwicklung nehmen.

CW: E-Mail war anfangs ein Segen und wird heute zunehmend zur Belastung. Droht dem Social Business ein ähnliches Schicksal? Immerhin vervielfacht sich die Zahl der Kommunikationskanäle.

Back: Die Sorge ist nur so lange berechtigt, wie das Erlernen des richtigen Umgangs mit den sozialen Plattformen zusätzliche Energie erfordert. Anfangs ist alles neu und ungewohnt. Doch das spielt sich schnell ein und mündet in einer breiten Tool-Palette, die man aufgabenbezogen einsetzen kann, und die insgesamt zu einem effektiven Arbeiten führt. Vor Technikstress, etwa weil man meint, ständig erreichbar sein zu müssen, muss man sich schützen; das ist eine Frage der Organisationskultur und des Selbst-Managements. E-Mail wird heute oft missbraucht, für viele Kommunikationszwecke ist sie ineffektiv. Stehen andere, geeignetere Werkzeuge zur Verfügung, dann wird der E-Mail-Verkehr zwangsläufig leichtgewichtiger.

CW: Alles in allem ist die E-Mail nicht mehr aus der Kommunikation wegzudenken. Wird Social Business einen ähnlichen Stellenwert bekommen?

Back: Ja, aber nicht immer offensichtlich erkennbar. Social-Business-Funktionen werden sich einnisten, etwa als Chat-Fenster im Unternehmensportal oder als Social-Media-Stream in der CRM-Software. Die Nutzer werden das nicht als Social Business wahrnehmen, weil sie kein Programm starten. Die Nutzung läuft eher projektbezogen. Man beginnt mit einer Aufgabe und hat gleich Zugriff auf relevante Informationskanäle. Daneben gibt es auch Social-Business-Plattformen wie Jive und Connections, die typischerweise mit klassischen Intranets konkurrieren, die ja auch zunehmend Social-Media-Elemente integrieren. (mhr)

Zur Person

Prof. Dr. Andrea Back ist Mitherausgeberin des Buchs "Web 2.0 und Social Media in der Unternehmenspraxis".
Prof. Dr. Andrea Back ist Mitherausgeberin des Buchs "Web 2.0 und Social Media in der Unternehmenspraxis".
Foto: Oldenbourg Verlag

Professor Dr. Andrea Back ist Direktorin des Instituts für Wirtschaftsinformatik IWI an der Universität St. Gallen (IWI-HSG).

Sie leitet die Forschungsbereiche Learning Center und Business 2.0, darüber hinaus forscht sie zu Themen wie Mobile Business, Open Innovation, Social Software und WissensManagement. Kern ihrer Tätigkeit ist die Frage, wie sich unsere Arbeitswelt verändert und wie wir in Zukunft Wissen austauschen und kommunizieren.

Back ist Mitherausgeberin des Buchs "Web 2.0 und Social Media in der Unternehmenspraxis", das im August 2012 in dritter Auflage erschienen ist und neben Grundlagen und Management-Methoden zahlreiche Fallstudien zum Einsatz von Social Business im Unternehmen vorstellt. Beispiele aus der Praxis sammeln sie und andere Lehrstühle laufend auch auf der Web-Site www.e20cases.org.