Utility Services

Outsourcing 2.0: klug geschnürte Servicepäckchen

22.11.2007
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Der Finanzdienstleister MLP hat seinen Vertrag mit Hewlett-Packard vorzeitig neu verhandelt – und auf eine völlig andere Basis gestellt.

Nur wer die Wahl hat, weiß eine gute Beziehung zu schätzen. Nach diesem Motto hat sich die MLP Finanzdienstleistungen AG entschieden, ihr Outsourcing-Verhältnis mit Hewlett-Packard (HP) zu verlängern und gleichzeitig zu flexibilisieren: Anstatt seine IT-Services en bloc auszulagern, schnürte das in Wiesloch bei Heidelberg ansässige Unternehmen Einzelpäckchen, die es notfalls auch an einen anderen IT-Dienstleister weiterreichen kann. Dank der Unterstützung durch den Münchner Benchmarking-Spezialisten Maturity erzielte er zudem "deutliche" Einsparungen, so CIO Klaus Strumberger.

Neu ausschreiben oder verlängern?

Den ersten Outsourcing-Vertrag mit HP schloss MLP am 1. Oktober 1999. Befristet war das Abkommen auf acht Jahre, also bis zum 30. September 2007. Doch weit vorher begann MLP, sich Gedanken über die Zeit danach zu machen. "Wir haben uns frühzeitig mit dem Thema auseinandergesetzt", sagt Erik Vellmete, Abteilungsleiter IT-Infrastruktur. Ohnehin habe der Vertrag in einigen Punkten verändert werden müssen, weil sich MLP inzwischen auf dem Weg zur Vollbank befinde und damit neuen gesetzlichen Bestimmungen unterworfen sei.

Die zentrale Frage lautete: Neu ausschreiben oder mit HP weitermachen? Eine neue Ausschreibung wäre, so Vellmete, ein "Riesenaufwand" gewesen – ganz zu schweigen von dem Migrationsrisiko, das ein eventueller Anbieterwechsel mit sich gebracht hätte. Außerdem sei MLP mit HP "grundsätzlich" zufrieden gewesen, beteuert der Infrastrukturleiter.

Aktuelle Marktpreise und Zukunftsprognose

Klaus Strumberger, CIO bei MLP, erprobt eine neue Form des Outsourcings, die der Anbieter "Utility-Services" nennt.
Klaus Strumberger, CIO bei MLP, erprobt eine neue Form des Outsourcings, die der Anbieter "Utility-Services" nennt.

Aber MLP wollte doch lieber sichergehen, dass die Vertragsbedingungen noch marktgerecht waren. Deshalb wandte sich der Finanzdienstleiser an den Benchmarking-Anbieter Maturity (siehe auch: "Kontrolle ist Pflicht") – mit dem Anliegen, die aktuellen Marktpreise zu ermitteln und, wo möglich, auch schon eine Prognose über deren künftige Entwicklung abzugeben. "Maturity hat den Leistungskatalog aufgenommen, die Konditionen mit dem Markt verglichen und den Handlungsbedarf bestimmt", erläutert CIO Klaus Strumberger.

Dabei kamen die Münchner zu dem Ergebnis, dass die von MLP gezahlten Preise den Benchmark deutlich überstiegen. Da die Vertragslaufzeit zu diesem Zeitpunkt nur noch etwas mehr als ein Jahr betrug, hatte der Kunde gegenüber dem Anbieter eine gute Verhandlungsposition. Im Resultat wurde das laufende Abkommen im Oktober des vergangenen Jahres, also ein Jahr vor dem regulären Ablauf, beendet und durch eines mit völlig neuen Konditionen ersetzt.

Der neue Vertrag ist wieder auf sieben Jahre festgeschrieben und läuft demnach bis Ende September 2013. Dass die meisten Unternehmensberater zu deutlich kürzeren Laufzeiten raten, ist Strumberger bekannt: "Die schlagen drei Jahre vor, aber das ist schon wegen des Migrationsaufwands nicht machbar." Er habe den Eindruck gewonnen, dass die optimale Vertragslaufzeit zwischen fünf und sechs Jahren betrage: "Und da wir aufgrund der vorzeitigen Verlängerung ein Jahr abziehen können, liegen wir da eigentlich ganz gut."

Die nächste Generation des Outsourcing

Die neuen Konditionen betreffen nicht nur die finanzielle Seite. Nach übereinstimmender Einschätzung von MLP und Hewlett-Packard ist der aktuelle Vertrag weit mehr als eine Fortführung des alten. Er sei "der Einstieg in ein Outsourcing der nächsten Generation", wie HP es formuliert. Die IT werde hier nicht als eine monolithische Infrastrukur betrachtet, die einfach nur den Betreiber wechsle. Vielmehr handle es sich um einen Service, den der Kunde je nach den Anforderungen seines Geschäfts einkaufe. (Zum Thema Einsparungen durch Outsourcing siehe auch: "Per Unterschrift in die Kostenspirale".)

Oberflächlich betrachtet, kommt das auf dasselbe heraus. MLP hat seine IT-Landschaft komplett ausgelagert: "Uns gehört kein einziger Rechner", sagt Vellmete. Doch der Gesamtvertrag umfasst 100 einzeln bepreiste Services, die sich auf elf Leistungsscheine verteilen. "Dabei handelt es sich jeweils um die kleinste Serviceeinheit, die auch an einen anderen Anbieter vergeben werden könnte", erläutert der Infrastrukturexperte (siehe hierzu auch: "Jeden Service separat bewerten").

Beispielsweise wurden für Desktops und Notebooks – einschließlich deren Wartung – sowie für SAP-Instanzen Komplettpreise vereinbart. Die Softwarelizenzen sind darin allerdings nicht eingeschlossen. Vellmete begründet damit, dass die Softwarelieferanten für Servicelizenzen "teilweise absurde Aufschläge" forderten. Deshalb müsse MLP die Nutzungs- und Wartungsentgelte für einige Standardsoftwareprodukte selbst aufbringen.

Das Utility-Konzept

Erik Vellmete, Infrastrukturexperte bei MLP: "Wir konzentrieren uns jetzt auf Dinge, die uns der Dienstleister nicht abnehmen kann."
Erik Vellmete, Infrastrukturexperte bei MLP: "Wir konzentrieren uns jetzt auf Dinge, die uns der Dienstleister nicht abnehmen kann."
Foto: MLP

Die zu Services gebündelten Leistungen kann MLP nach Bedarf abrufen und nach Vebrauch bezahlen. Der Dienstleister nutzt dafür den Begriff "Utility-Konzept". Damit will er andeuten, dass die IT-Leistungen ähnlich wie Strom oder Wasser bezogen werden. "Wenn wir morgen 500 neue Mitarbeiter bekommen, die einen PC oder ein Notebook benötigen, ist das nicht mehr unser Problem", beschreibt Vellmete die tägliche Arbeitserleichterung. MLP könne sich jetzt "auf die Dinge konzentrieren, die uns HP nicht abnehmen kann". Dafür beschäftigt MLP in der IT rund 100 Mitarbeiter.

Als Beispiel für einen Service, den HP dem Kunden abnimmt, führt der Dienstleister die "schlüsselfertige" Bereitstellung der kompletten IT für eine Geschäftsstelle an. Als weiteres Vorzeigeprojekt dient ihm die Installation eines neuen Telekommunikationsservice, an der Alcatel und Arcor beteiligt sind, bei der HP aber als alleiniger Ansprechpartner gegenüber dem Kunden fungiert.

Servicevereinbarungen und -kennzahlen sind dem Konzept entsprechend ausgelegt, richten sich also nicht auf die Verfügbarkeit einer technischen Infrastruktur, sondern auf die vom Anwender wahrgenommene Dienstleistung. Das ermöglicht MLP, seinen Fixkostenblock zu verkleinern und einen großen Teil der IT-Aufwendungen dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Die Folgen: weniger Kapitalbindung, mehr Kostentransparenz und eine verursachergerechte interne Verrechnung. "Auf diese Weise sind sowohl positives wie negatives Wachstum abgefedert", ergänzt Vellmete.

Garantien für kritische Prozesse

Zudem enthält der neue Servicevertrag ein abgestuftes System von Garantieleistungen für die als geschäftskritisch eingestuften Prozesse, die – dem Geist des Vertrags entsprechend – streng von der Anwenderebene aus definiert wurden. Grundsätzlich gibt es während der Vertragslaufzeit einen "Bestandsschutz" für die mit HP vereinbarten Services. Das heißt, ohne triftigen Grund kann MLP einen Service nicht vor Ablauf der Gesamtvertragszeit kündigen und neu vergeben. Wie Strumberger berichtet, hat der Kunde jedoch Sonderkündigungsrechte – beispielsweise dann, wenn er einen Service überhaupt nicht mehr benötigt. Außerdem besitzt HP kein Abonnement auf neue Services. Wenn MLP – wie für das kommende Jahr geplant – SAP CRM einführt, kann der Betrieb durchaus an einen anderen Dienstleister vergeben werden.

Eine lange Laufzeit bedeutet immer auch eine gewisse Abhängigkeit vom Dienstleister, weiß Vellmete: "Wir haben deshalb gemeinsam mit Maturity intensiv überlegt, wie wir uns gegenüber dem Anbieter absichern können." Zwei gern genutzte Möglichkeiten seien Boni und Pönale. Besonders Letztere hält der Infrastrukturspezialist aber für nicht besonders sinnvoll: "Wenn sie wirklich weh tun, sind sie bereits eingepreist."

Stattdessen hat MLP die vereinbarten Service-Level-Agreements (SLA) in relativ unkritische und in geschäftsentscheidende unterteilt. Ausfälle bei Ersteren werden als Bagatellen betrachtet und de facto ignoriert. Sollte HP jedoch eines der geschäftskritischen SLAs dreimal innerhalb von zwölf Monaten verfehlen, so kann MLP den jeweiligen Service kündigen. "Im Falle eines Falles bedeutet das für HP einen erheblichen Schaden", weiß Vallmete, "dafür haben wir aber die Schwelle sehr hoch gelegt."

Die Voraussetzungen für das Gelingen

Selbstverständlich wäre das auch für den Kunden kein Spaß. Ohne eine Übergangsfrist von ein bis zwei Jahren wäre die Migration kaum praktizierbar. Die Mitwirkungspflichten, die HP dabei hätte, sind ebenfalls im Vertrag festgehalten.

Wichtig für die Praktikabilität einer solchen Lösung ist auch der Zuschnitt der Leistungsscheine. "Daran haben wir mit Maturity lange gearbeitet", unterstreicht Vellmete die Bedeutung dieses Themas. Wenn man hier einen Fehler mache, riskiert man ein "Fingerpointing" zwischen den unterschiedlichen Dienstleistern, sprich: dass im Zweifelsfall einer dem anderen die Verantwortung in die Schuhe schiebt.

Das Wichtigste zum Vertrag

  • 1999 übernahm HP unter anderem das Rechenzentrum von MLP – einschließlich der etwa 40 IT-Mitarbeiter. Die Hardware blieb anfangs im Besitz von MLP, HP erbrachte reine Betriebsdienstleistungen.

  • Zum 1. Oktober 2006 wurde ein neuer Outsourcing-Vertrag mit einer Laufzeit von sieben Jahren geschlossen. Er bündelt Leistungen zu definierten Services mit Dienstgütevereinbarung, Kennzahlen und Stückpreisen.

  • Der Vertrag umfasst unter anderem den zentralen Service-Desk für alle MLP-Berater; das Management von 5000 PCs, zwölf Domino-Servern, 160 Domino-Instanzen, 5000 Lotus-Notes-Mailboxen, 95 Anwendungs- und Datenbank-Servern, 160 Standort-Servern in den MLP-Geschäftsstellen und 28 Novell-Netware-Servern; den Betrieb der MLP-Homepage und das Dokumenten-Management, das Storage- und Backup-Management, das RZ-Management an drei Standorten und das Management von 1100 aktiven Netzkomponenten sowie den SAP-Basisbetrieb einschließlich des Datenbank-Managements für mehr als 20 SAP-Instanzen.

  • Die Hardware ging in den Besitz von HP Financial Services über, die Nutzungskosten werden über die Servicegebühren umgelegt.

  • Während es im alten Vertrag hauptsächlich um die Verfügbarkeit auf Server-Ebene ging, richten sich die neuen Vereinbarungen stärker danach, was für den Benutzer spürbar ist.

  • Das Serviceprinzip wird auch auf Projekte angewendet. So hat MLP für das 2008 beginnende Projekt zur Umsetzung einer elektronischen Kundenakte einen Preis pro Gigabyte ausgehandelt.

Projektsteckbrief

  • Projektart: Outsourcing von IT-Dienstleistungen; "Utility-Services".

  • Branche: Finanzdienstleister.

  • Umfang: für rund 5000 Anwender.

  • Zeitrahmen: Vertrag trat am 1. Oktober 2006 in Kraft und läuft sieben Jahre.

  • Ziel: flexible Services zu marktgerechten Kosten.

  • Ergebnis: unter anderem deutliche Einsparungen gegenüber dem Vorgängervertrag.

  • Dienstleister: Hewlett-Packard Financial Services.

  • Besonderheiten: neue Vertragsverhandlungen während der Laufzeit, vorzeitige Erneuerung des Abkommens.

Best Practices

  • MLP ermittelte die aktuellen Marktpreise mit Hilfe eines Benchmarking-Anbieters.

  • Laut CIO Klaus Strumberger liegt die ideale Laufzeit für einen Outsourcing-Vertrag bei fünf bis sechs Jahren.

  • Der Kunde nimmt nur die Leistung ab, die er benötigt. Damit bindet er weniger Kapital. Zugleich ermöglicht er eine verursachergerechte interne Leistungsverrechnung.

  • Die Services wurden so geschnitten, dass sie sich notfalls auch an einen anderen Partner vergeben lassen.

  • Statt pauschaler Pönale enthält der Vertrag ein je nach Gewichtung des jeweiligen Service-Level-Agreement abgestuftes System von Gütegarantien.